Santiago. Der Wahlkampf für die Stichwahlen in Chile ist in vollem Gange. Politiker:innen, Wahlbündnisse und politische Gruppierungen bringen sich für die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember in Stellung. Die Linke versucht Kräfte zu vereinen, um den ultrarechten Kandidaten José Antonio Kast zu verhindern. Mittlerweile ist auch klar, wie die Wahlen zum Senat und Abgeordnetenhaus ausgegangen sind.
In einer am vergangenen Montag veröffentlichten Stellungnahme hat sich das parteilose linke Bündnis "Volksliste" (Lista del Pueblo, LDP) für Gabriel Boric ausgesprochen: "Gabriel, heute rufen wir dazu auf, für dich zu stimmen, aber wir klettern nicht auf deinen Baum, weil unsere inhaftierten Kameraden das nicht können, ganz zu schweigen von den Toten und Verschwundenen. Wir bleiben hier unten bei ihnen", beginnt die Erklärung.
Unterdessen erklärte Bildungsminister Raúl Figueroa als erstes noch amtierendes Kabinettsmitglied seine Unterstützung für Kast als Kandidaten des Establishments, der für ihn "das Streben nach Freiheit, größerer Sicherheit und Gewissheit in Zeiten der Unordnung" garantiere.
Dem hält Boric entgegen, Kast sei "ohne Zweifel eine Neuauflage der amtierenden Regierung mit starken Zügen der vergangenen Diktatur". Die große Mobilisierung und die offenen Wahlempfehlungen zeugen vom Schock innerhalb großer Teile der politischen Linken, den die Ergebnisse der Wahlen am 21. November ausgelöst haben.
Insgesamt ist die Rechte stärker als nach den Wahlen zum Verfassungskonvent im vergangenen Mai erwartet werden konnte. Sicher ist, dass der Senat in Chile weiter nach rechts rückt, während das Abgeordnetenhaus die Fragmentierung der Parteienlandschaft widerspiegelt. Nicht nur das starke Abschneiden des ultrarechten Kandidaten Kast ist für viele Linke alarmierend, auch im Senat hat die Rechte Sitze gewonnen: Ab März 2022 wird sie die Hälfte aller Senator:innen stellen, so viele, wie seit dem Ende der Diktatur 1989 nicht mehr. Andererseits konnte auch die Kommunistische Partei erstmals seit der Regierungszeit (1970 bis 1973) des Sozialisten Salvador Allende wieder einziehen.
Für die neugewählten 155 Sitze im Abgeordnetenhaus ist das Ergebnis diverser. Das Mitte-links-Bündnis, das ehemals die Koalition "Concertación" repräsentierte, fällt auf 37 Sitze zurück. Jedoch gewannen die Frente Amplio um Präsidentschaftskandidat Boric sowie die Kommunistische Partei dazu. Gemeinsam stellen sie nun 74 Abgeordnete in verschiedenen Blöcken. Der rechte Flügel, zusammengesetzt aus dem Regierungsbündnis "Chile Podemos Más" von Präsident Sebastián Piñera (53 Sitze) und der "Frente Social Cristiano" von Präsidentschaftskandidat Kast (15 Sitze), bleibt in etwa gleich stark.
"In der Abgeordnetenkammer ist die Linke sehr zersplittert", analysierte Daniel Mansuy, Forscher am Institut für Gesellschaftsstudien (IES), "die größten Parteien sind die Sozialistische Partei mit 13 Sitzen und die Kommunistische Partei mit zwölf Sitzen, aber es gibt auch viele Parteien mit sechs, acht oder neun Abgeordneten." In dieser Konstellation sei es schwierig, stabile Mehrheiten zu schaffen, die dem Programm von Boric eine stabile Unterstützung bieten könnten, so Mansuy weiter.
Für die kommende Legislaturperiode dürfte ebenfalls entscheidend sein, wie sich die sieben unabhängigen Abgeordneten der Volkspartei (Partido de la Gente) vom drittplatzierten neoliberalen Kandidaten Franco Parisi positionieren. Dieser hat bisher noch keine Wahlempfehlung für seine Wähler ausgesprochen.
Das Wahlergebnis in Chile verdeutlicht die Auflösung von parteipolitischen Strukturen und die anhaltende Kraft des neoliberalen und offen rechten Diskurses, den viele zuletzt auf dem absteigenden Ast gesehen hatten.
Der Ausgang der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen ist derzeit offen, wenngleich Boric bei einer Umfrage des Instituts Criterio mit 54 Prozent knapp vor Karst lag.