Argentinien: Neue Anklage gegen Cristina Fernández de Kirchner

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Die Frage des Missbrauchs der Justiz während der Regierungzeit von Mauricio Macri beschäftigt die argentinische Öffentlichkeit
Die Frage des Missbrauchs der Justiz während der Regierungzeit von Mauricio Macri beschäftigt die argentinische Öffentlichkeit

Buenos Aires. In dem Prozess gegen die frühere Präsidentin und aktuelle Vizepräsidentin Cristina Fernandez de Kirchner und weitere zehn Angeklagte um vermeintliche Korruption bei öffentlichen Aufträgen in Patagonien hat am Montag Staatsanwalt Diego Luciani mit der Erhebung der Anklage begonnen.

Der Prozess gilt inzwischen vielen Beobachtern als ein Paradebeispiel von Lawfare (Nutzung des Rechtssystems zur Erreichung eines politischen Ziels), in Gang gesetzt unter der Regierung Macris gegen Mitglieder vorangegangener Regierungen. Der Vorwurf konstruierter Beschuldigungen begleitete von Beginn an eine Reihe von Verfahren.

Im aktuellen Verfahren sollen Anhörungen der 114 Zeugen ab 2019 gezielt in die Länge gezogen und nach dem Wahlkalender ausgerichtet worden sein. In letzter Zeit sagten rechtsgerichtete Medien die von der Anklage geforderten Strafen früh voraus und kündigten ein Urteil noch in diesem Jahr an, obwohl der Prozessverlauf dafür keinen Anlass gab. Der frühere Richter des obersten Gerichtshofes, Raul Zaffaroni, bezeichnete dies jüngst als Versuch der Proskription der Vizepräsidentin.

Staatsanwalt Luciani erklärte per Videokonferenz in einer vehementen, von einigen Beobachtern als theatralisch empfundenen Form, dass das Ehepaar Kirchner eine pyramidale Struktur aufgebaut hätte, mit dem Ziel, der Provinz Santa Cruz (aus der Nestor Kirchner stammte) einen höheren Anteil des Bundesbudgets zukommen zu lassen. Aufträge seien an die Firma eines befreundeten Unternehmers (Austral Construcciones von Lázaro Baez) gegangen, der angeblich überhöhte Preise und unfertige Arbeiten abgerechnet hätte.

Luciani führte dabei Argumente an, die im laufenden Prozess bereits widerlegt wurden. So sollen die Ausschreibungen in der Provinz keiner Kontrolle unterstanden haben. Dem wurde in Zeugenaussagen sowohl von Beamten wie von Bauunternehmern widersprochen.

Lucianis Behauptung, viele bezahlte Bauvorhaben seien nicht beendet worden, verfehlte die Verantwortlichkeiten. Sie wurden erst 2016 abgebrochen, als die Regierung Macris die Zahlungen aller öffentlichen Aufträge einstellte. Angeblich überhöhte Preise wurden im Verfahren nicht bewiesen.

Angebliche finanzielle Verwicklungen zwischen Lázaro Baez und den Kirchners waren bereits in den Prozessen um Geldwäsche (Ruta del dinero K) sowie um illegale Bereicherung (Hotesur/Los Sauces) Gegenstand der Untersuchungen. Diese ergaben jedoch nichts. Hotesur endete mit einem Freispruch der Kirchners, der andere Prozess mit der Verurteilung von Baez wegen Steuerhinterziehung, jedoch einer Einstellung der Untersuchung gegen die Expräsidentin aus Mangel an Beweisen.

Der Kläger bezog sich auch auf Zeugen, die in diesem Prozess gar nicht gehört wurden und vermeintliche Beweise, die bisher nicht vorlagen. Der Hinweis auf den "gesunden Menschenverstand" anstelle von Fakten zeigt Parallelen zur skandalösen Verurteilung Lula da Silvas durch Richter Sergio Moro in Brasilien, die dieser trotz fehlender Beweise aus seiner "intimen Überzeugung" begründete.

Neben Mangel an Beweisen hat die Anklage ein weiteres Problem. Das vermeintliche Verbrechen war in der beschriebenen Form nicht möglich. Über das Budget und die öffentlichen Vorhaben entscheidet in Argentinien nicht die Exekutive, sondern das Parlament. Um die Anteile wird ausgiebig und öffentlich zwischen den Vertretern der Provinzen diskutiert. Die Mittel werden dann vom Kabinettsminister verwaltet und an die Gouverneure verteilt. Die Provinzen schreiben aus und erteilen die Aufträge. Die Kontrolle darüber obliegt einer Kombination von Bundes- und Provinzbehörden.

Insgesamt liegen dreizehn Instanzen zwischen dem Präsidenten und der Beauftragung. Es hätten hunderte oder gar Tausende von Komplizen teilnehmen müssen, inklusive dem Parlament. Eine persönliche Verantwortung der Präsidentin ist dabei kaum herzuleiten.