Haiti / Wirtschaft

Haiti: Keine wirtschaftliche und humanitäre Stabilisierung in Sicht

Armut, Hunger und Gewalt nehmen weiter zu. Immer mehr Menschen versuchen das Land zu verlassen. Inflationsrekord verstärkt Krise. Anhaltende Bandenkriminalität

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Die wirtschafltiche Situation Haitis verschlechtert sich rasant
Die wirtschafltiche Situation Haitis verschlechtert sich rasant

Port-au-Prince. Das Wirtschafts- und Finanzministerium von Haiti prognostiziert ein Schrumpfen der Wirtschaft um 0,4 Prozent. Mit 29 Prozent verzeichnet die Inflationsrate den höchsten Wert im vergangenen Jahrzehnt. Die Preise von Importprodukten sind um über 40 Prozent angestiegen.

Eine Reihe von Maßnahmen der haitianischen Behörden und der Zentralbank zielen darauf ab, dem Anwachsen Wirtschaftskrise Einhalt gebieten. Beispielsweise soll eine verpflichtende Angabe von Preisen in der Landeswährung Gourdes zur Senkung der Lebenshaltungskosten führen.

Eine Aufstockung des Devisenmarktes noch vor Ende September um 100 bis 150 Millionen US-Dollar soll bewirken, dass sich der informelle Wechselkurs des Gourdes zum US-Dollar dem offiziellen anpasst und dass damit Währungsspekulationen in der Bevölkerung eingedämmt werden. Zurzeit erhalten Personen informell mehr Gourdes für einen US-Dollar, als bei einem offiziellen Umtausch. Zum 23. August lag der offizielle Wechselkurs bei etwa 124 Gourdes für einen US-Dollar, der informelle hingegen bei bis zu 150 Gourdes für einen US-Dollar.

Laut dem haitianischen Ökonomen Enomy Germain seien dies jedoch nur temporäre Maßnahmen, die die darunterliegenden Probleme nicht lösen würden.

Zur sozialen und wirtschaftlichen Krise meldete sich nun auch der Unternehmerverband Haitis zu Wort, der die Regierung des Karibikstaates aufforderte, seine wirtschaftlichen und rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Der Präsident des Verbands, Joseph Harold Pierre, kritisierte jedoch nicht nur die staatliche Verwaltung. Er nannte unter anderem als Grund für die Korruption, die das Land zerstöre, die Koexistenz des öffentlichen und privaten Sektors. In diesem Geflecht würden viele Unternehmen Steuern und Zölle hinterziehen.

Einen weiteren Zusammenhang stellte am vergangenen Mittwoch die Amerikanische Handelskammer der benachbarten Dominikanischen Republik zwischen den fehlenden Steuereinnahmen und der Unterstützung der Polizei her. Die unkontrollierte Bandengewalt verschlechtere für die Haitianer die Position des Rechtsstaats und die Wirtschaftstätigkeit und sie sei ein Grund für die aufgeschobene Durchführung von Wahlen.

Die Einheit für Antikorruption der haitianischen Regierung veröffentlichte Ende August einen 30-seitigen Bericht. Demnach fehlen dem Staat aufgrund von Korruption etwa 4 Millionen US-Dollar und dies zu einem Zeitpunkt, in dem die staatliche Infrastruktur zu verfallen drohe und Armut sich ausbreite. In dem Bericht wurden auch Korruptionsvorwürfe gegen Einzelpersonen veröffentlicht. Identifiziert werden unter anderem Scheinbeschäftigungen und -verträge der Regierung, politische Klientelpolitik und Veruntreuung. Es werden Universitätsangestellte und Beamte genannt, die Bankkonten der Regierung als persönliche Scheckbücher nutzen.

Anfang der vergangenen Woche versammelten sich in mehreren Städten der Republik Bürger und blockierten teilweise Straßen und Geschäfte, um gegen die Inflation und Unsicherheit zu protestieren. Außerdem forderten sie den Rücktritt von Premierminister Ariel Henry. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei und mit Anhängern Henrys gab es ein Todesopfer sowie elf Verletzte. Erst Mitte August starben bei Protesten zwei Menschen. Der haitianische Senat verurteilte daraufhin die Polizei für die Schüsse auf Demonstranten.

Zur Lage der Bürgerinnen und Bürger des Landes veröffentlichte das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten Ende August einen Bericht. Darin heißt es, dass 5,9 Millionen Menschen unzureichend ernährt seien – ein Anstieg um 1,16 Millionen Personen in den letzten drei Monaten. Die Mittel für humanitäre Hilfe sind laut dem Bericht unzureichend. Von den für den Humanitären Reaktionsplan benötigten 373,2 Millionen US-Dollar seien erst 114,4 Millionen US-Dollar bereitgestellt worden.

Angesichts dieser sozioökonomischen Krise bleiben Emigrationsströme haitianischer Bürger nicht aus. Erst am vergangenen Donnerstag repatriierte die US-amerikanische Küstenwache 83 Haitianer vor der Küste Kubas zurück nach Cap-Haitien in Haiti. Laut der Küstenwache sollen zwischen Oktober 2021 und heute mehr als 7.000 Migranten von der US-Behörde aufgegriffen worden sein. Ein Jahr zuvor lag die Zahl noch bei etwa 1.500 Personen.

Auch auf den Festlandswegen wird illegale Immigration nun erschwert. Wie der Generaldirektor für Migration der Dominikanischen Republik, Venancio Alcántara, sagte, werden stärkere Kontrollen entlang der Grenze zu Haiti geprüft. Ziel sei die Aufrechterhaltung der "nationalen Souveränität". Dazu sollen Schwachstellen entlang der gesamten Grenze identifiziert und weitere Kontrollen eingerichtet werden.

Mitte August startete die dominikanische Regierung eine Ausschreibung an Unternehmen zum Bau des zweiten Teils des geplanten Grenzzauns zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti.