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"Kampf gegen das Böse": Brasiliens Präsident vereinnahmt Staatsakt für seinen Wahlkampf

Bolsonaro stellt am Unabhängigkeitstag Portugals Staatschef bloß und droht Lula. Tausende folgen dem Präsidenten an die Copacabana

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Bolsonaro stimmte Anhänger:innen an der Copacabana auf die Wahl gegen Lula ein (Screenshot)
Bolsonaro stimmte Anhänger:innen an der Copacabana auf die Wahl gegen Lula ein (Screenshot)

Brasília/Rio de Janeiro. Präsident Jair Bolsonaro hat die Feierlichkeiten zum 200. Unabhängigkeitstag Brasiliens am Mittwoch für eigene Wahlkampfauftritte vereinnahmt. Nach der Abnahme der Militärparade auf der Hauptachse in Brasília wechselte das Staatsoberhaupt nur die Straßenseite, um an selber Stelle mehrere Zehntausend seiner angereisten Anhänger:innen auf einen "Kampf zwischen Gut und Böse" einzuschwören.

In seiner Rede deutete er die Präsidentschaftswahl in drei Wochen in eine Schlacht gegen den linken Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva um. Dieser "Bandenchef mit neun Fingern" wolle das brasilianische Volk seiner Freiheit berauben, so Bolsonaro mit Verweis auf Lulas Handverletzung aus dessen Zeit als Metallarbeiter. "Diese Leute müssen aus dem öffentlichen Leben getilgt werden", drohte er.

Anschließend nutzte Bolsonaro ein Manöver der brasilianischen Marine vor der Küste von Rio de Janeiro als Kulisse, um an der Copacabana das Militär und die Polizei sowie Brasilien, Gott und sich als Beschützer einer brasilianisch-christlichen Identität zu preisen. Niemals werde seine Regierung "Drogen oder Abtreibung zulassen", versprach er unter dem Jubel der über 60.000 Sympathisant:innen, die sich aus erzkonservativen Evangelikalen und Vertreter:innen einer Law-und-Order-Philosophie sowie des Agrarbusiness zusammensetzen. Wie bei vorherigen Kundgebungen forderten sie auf Plakaten eine "Militär-Intervention" oder die Absetzung des Obersten Gerichtshofes (STF). Es blieb am Mittwoch niemandem verborgen, dass Bolsonaro seine Wähler:innen massenhaft mobilisieren kann.

Auf Drängen seiner politischen Partner verzichtete Bolsonaro dieses Jahr selbst auf offene Drohungen gegen den Kongress und den Obersten Gerichtshof, die seine exekutiven Alleingänge immer wieder ausgebremst haben. Dennoch spielte er beim morgendlichen Staatsempfang mit der Drohkulisse eines Staatsstreichs und betonte mit Verweis auf den Militärputsch von 1964, dass sich die Geschichte wiederholen könne.

Anspielungen auf eine Entmachtung von Justiz und Parlament durch das Militär haben in den vergangenen Jahren zu etlichen Ermittlungsverfahren und Versuchen der Amtshebung gegen den Regierungschef geführt.

Dessen ungeachtet hat der Abgeordnete und Sohn des Präsidenten, Eduardo Bolsonaro, alle Waffenbesitzer:innen aufgerufen, sich Bolsonaro anzuschließen. Wer eine Waffe besitze oder einem Schützenverein angehöre, solle sich zu einem "Freiwilligen Bolsonaros" machen, postete er auf Twitter.

Generäle, die Justiz und Koalitionspartner hatten im Vorfeld darauf gedrängt, die offiziellen Feierlichkeiten von den Wahlkampfveranstaltungen wenigstens räumlich zu trennen. Insbesondere die Militärs, die einen Großteil seines Kabinetts stellen, wollten nicht für die parteipolitischen Zwecke vereinnahmt werden. Zudem folgten sie einer Auflage des Obersten Gerichtshofes, ihre Neutralität zu wahren und Bolsonaro keine Kulisse wie die geplante Landung von Fallschirmjäger:innen an der Copacabana zu bieten.

Unterdessen hat die linke Opposition rechtliche Schritte angekündigt, um die Vermischung von Staatsakt und Wahlkampf aufzuarbeiten. Die drei bestplatzierten Herausforder:innen Bolsonaros, Lula da Silva (PT), Ciro Gomes (PDT) und Simone Tebet (MDB), kritisierten das Vorgehen und den aggressiven Ton des Amtsinhabers. Nie habe er in seiner achtjährigen Amtszeit den Unabhängigkeitstag für Parteipolitik gebraucht, so Lula. Der Oppositionsführer im Senat, Randolfe Rodrigues (Rede), hat angekündigt, Bolsonaros Auftritte vor Gericht zu bringen. Die Justiz solle prüfen, ob dieser den Staatsapparat für Wahlkampfzwecke missbraucht habe, erklärte Rodrigues.

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Zum diplomatischen Eklat kam es, als der Bolsonaro-Vertraute und Milliardär Hang (rechts im Bild) Portugals Staatschef Sousa wegdrängte
Zum diplomatischen Eklat kam es, als der Bolsonaro-Vertraute und Milliardär Hang (rechts im Bild) Portugals Staatschef Sousa wegdrängte

Der amtierende Präsident provozierte zudem einen diplomatischen Eklat mit Portugal.

Anlässlich der 200-jährigen Unabhängigkeit von der früheren Kolonialmacht Portugal war Staatschef Marcelo Rebelo de Sousa nach Brasília gereist, um an Bolsonaros Seite die Militärparade abzunehmen. Doch nach kurzer Zeit drängte ein Freund und Unterstützer Bolsonaros, der Milliardär Luciano Hang, den portugiesischen Präsidenten zur Seite und nahm dessen Platz ein.

Diesen Bruch des diplomatischen Protokolls rechtfertigte der Präsident mit seiner Unterstützung für Hang. Der Geschäftsmann profilierte sich bereits vor den Wahlen 2018 als Anhänger des neoliberalen Bolsonaro.

Seit Kurzem ermitteln die Bundesbehörden gegen den Unternehmer Hang und sieben weitere Multimillionäre wegen Umsturzplänen im Falle eines Wahlsieges von Lula (amerika21 berichtete). Die polizeilichen Razzien gegen die Umstürzler hält Bolsonaro für Verletzungen ihrer Privatsphäre.