Santa Cruz/La Paz. Auch nach der Verkündigung des Zensus-Termins findet Bolivien keine Ruhe. Der unbefristete Streik in Santa Cruz wird fortgesetzt und die rechte Opposition fordert "Föderalismus". In der Regierungspartei von Präsident Luis Arce, Bewegung zum Sozialismus (MAS), gibt es derweil Unstimmigkeiten.
Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen vom letzten Wochenende verurteilte die Vertretung des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Bolivien die gewalttätigen und rassistischen Handlungen in Santa Cruz und rief zu einer umfassenden Untersuchung der Geschehnisse auf.
Währenddessen forderte das "Interinstitutionelle Komitee Santa Cruz" die Regierung auf, die 15 inhaftierten Personen infolge der Auseinandersetzung freizulassen und berief eine Kommission ein, um "die zukünftige politische Beziehung zwischen Santa Cruz und dem bolivianischen Staat zu prüfen". Der regierungsnahe Gewerkschaftsverband Central Obrera Boliviana (COB) sieht darin separatistische Bestrebungen und fordert ein hartes Durchgreifen der Regierung, um einen Putsch zu verhindern.
Das Comité Impulsor de Justicia erstattete auch eine Strafanzeige gegen den Gouverneur von Santa Cruz , Luis Fernando Camacho, sowie gegen den Präsidenten des Bürgerkomitees von Santa Cruz, Rómulo Calvo, wegen verschiedener Straftaten im Zusammenhang mit dem Streik.
Derweil heizt Camacho die Polarisierung weiter an und ruft dazu auf, den Kampf der "cruceños" (Einwohner Santa Cruz) nun auf den Föderalismus auszurichten, um "die Macht an die Regionen und Menschen zu übergeben". Zugleich warf er der Zentralregierung Machtmissbrauch und Verheimlichung von Informationen vor. Er forderte zudem, dass das Präsidialdekret 4824 über die Volkszählung in ein Gesetz umgewandelt wird. Die Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen müsse festgelegt werden und das Oberste Wahlgericht mit den neuen Ergebnissen des Zensus die Parlamentssitze für die Wahl 2025 verteilen.
Der ehemalige Präsident Boliviens, Jaime Paz Zamora, (1989 - 1993) beschwor nach dem Föderalismus-Aufruf von Camacho auf Twitter "den Anfang des Endes des Plurinationalen Staates Bolivien und die Umwandlung in eine föderale Republik Bolivien". Die per Referendum im Jahr 2009 verabschiedeten Verfassung legt dagegen fest, dass Bolivien "ein sozialer, plurinationaler Rechts- und Einheitsstaat, freier Gemeinschaft, unabhängig, souverän, demokratisch, interkulturell, dezentralisiert und mit Autonomien" und "seine Regierungsform die partizipative, repräsentative und kommunitäre Demokratie" ist.
Unterdessen kam es am Donnerstag erneut zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Streikbefürwortern und -gegnern. Der Randdistrikt "Plan 3000" von Santa Cruz war erneut Schauplatz der Geschehnisse. Dabei wurde auch ein elfmonatiges Mädchen in einem Kinderwagen durch eine Gasgranate verletzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Laut Medienberichten griffen Mitglieder der rechten Unión Juvenil Cruceñista (UJC) von Gouverneur Camacho Geschäfte und Privathäuser an, mehr als 20 Geschäfte wurden geplündert.
Auf der politischen Bühne in La Paz kamen derweil laut Medienberichten im Parlament interne Unstimmigkeiten in der MAS zum Vorschein. Die "evistas" (Evo Morales-Anhänger) kritisierten demnach die "arcistas" (Luis Arce-Anhänger), da diese einen Gesetzes-Vorschlag der Behörden von Santa Cruz auf die Tagesordnung bringen wollten, obwohl es bereits ein von Präsident Arce erlassenes Dekret zur Volkszählung am 23. März 2024 gibt. Das Thema wurde schließlich nicht besprochen, da die Tagesordnung wegen fehlender Stimmen nicht geändert wurde. Der "reformistische Flügel" der MAS scheint die Umwandlung des Dekrets in ein Gesetz zu befürworten, während die "evistas" einen solchen Vorschlag bisher ablehnen.