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Bolivien vollendet Verstaatlichung der Renten nach 26 Jahren privatem System

Regierung erwartet bessere Renditen, niedrigere Gebühren und damit höhere Renten. Opposition spricht von "Aneignung des Geldes des Volkes"

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Der Leiter der Gestora Pública, Jaime Durán, stellt sich auf einer Pressekonferenz Fragen zum neuen Rentensystem
Der Leiter der Gestora Pública, Jaime Durán, stellt sich auf einer Pressekonferenz Fragen zum neuen Rentensystem

La Paz. Bolivien wird den Übergang von einem privaten zu einem staatlichen Rentensystem im Mai abschließen. Der Umbau geht zurück bis ins Jahr 2006, als der Gewerkschaftsdachverband Central Obrera Boliviana die Forderung erhob. Der Übergangsprozess wurde 2015 eingeleitet.

Am 2. Mai werden die fast 24 Milliarden US-Dollar, die die Bolivianer für ihre Altersvorsorge eingezahlt haben, nicht mehr von zwei privaten Unternehmen in ausländischem Besitz verwaltet, sondern von der Gestora Pública. Diese Einrichtung hat die bolivianische Regierung über 13 Jahre hinweg aufgebaut. Das Land überwindet im Bereich des Rentensystems eine Wirtschaftsstruktur, die vor 26 Jahren während der neoliberalen Periode am Ende des letzten Jahrhunderts geschaffen wurde.

Die beiden privaten Rentenfonds AFP (Fondo de Administración de Pensiones) Futuro und Previsión werden ihre Tätigkeit nun einstellen. Diese Fonds hatten bisher die individuellen Rentenbeiträge eingezogen und verwaltet.

Die individuellen Konten, die die große Neuerung der Rentenreformen der 1990er Jahre in Lateinamerika waren, werden im neuen System beibehalten. Ein Solidaritätsfonds, der eine Mindestrente für diejenigen gewährleisten soll, die weniger eigene Beiträge leisten konnten, ergänzt die früheren Reformen. Nur 60 Prozent der Erwerbstätigen in Bolivien haben jemals in ihre Rentenversicherung eingezahlt, was durch den hohen Anteil informeller Beschäftigung bedingt ist.

Die bolivianische Verfassung von 2019 und das Rentengesetz von 2010 bilden die Grundlagen, um mit dem neoliberalen Modell abzuschließen und die staatliche Gestora Pública ins Leben zu rufen. Laut Verfassung dürfen "öffentliche Sozialversicherungsdienste nicht privatisiert oder konzessioniert werden".

Bereits 2010 argumentierte die Regierung von Evo Morales (2006-2019), dass die AFP nie miteinander konkurriert hätten, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit nur mittelmäßig gewesen seien, diese Unternehmen jedoch riesige Gewinne erzielten. Offiziellen Angaben zufolge haben die AFP in den Jahren, in denen sie die Rentenbeiträge verwalteten, mehr als 224 Millionen Dollar an Gewinnen aus Bolivien abgezogen.

Der Wechsel des Rentenmodells bleibt jedoch umstritten. Erst jüngst gab es wieder Proteste gegen eine staatliche Rentenverwaltung mit der Begründung, dass die Regierung diese Mittel zweckentfremden und das System der sozialen Sicherheit gefährden könnte. Die politische Opposition schürt den Argwohn, dass der Staat die Gelder zum Abbau des Haushaltsdefizits verwenden wolle.

Die Proteste konzentrierten sich vor allem auf die Städte Santa Cruz, Zentrum der größten Wirtschaftskraft und der alten Eliten, La Paz, dem Sitz von Exekutive und Legislative, sowie auf Cochabamba. Zu den Gegnern gehören vor allem Sektoren wie Lehrkräfte, Studierende, die Polizei und das Militär, aber auch Teile der Lohnabhängigen.

Eine ausdrückliche Feindseligkeit führte zu Parolen wie "Tod der Gestora Pública", die von einer Gruppe von Demonstranten vor den Türen des Wirtschaftsministeriums in La Paz gerufen wurden. In Santa Cruz fand eine Demonstration statt, bei der gefordert wurde, dass über die Änderung der Rentenverwaltung per Referendum entschieden werden sollte.

Der Leiter der Gestora Pública, Jaime Durán, erklärte auf einer Pressekonferenz, dass man sich vor dem Umbau "nicht fürchten" müsse, da "alle erworbenen Rechte und die mit den AFP abgeschlossenen Verträge anerkannt und respektiert werden". Er schloss aus, dass die Rentenbeiträge dem Staat "zur freien Verfügung" stünden, da dies gesetzlich nicht ginge.

Durán sagte weiter, dass die Rendite von drei Prozent, die die AFP in zweieinhalb Jahrzehnten durchschnittlich erzielt hätten, im neuen System auf über vier Prozent steigen würde. Auf die Erhebung von Provisionen, die die Fonds bisher von den Anlagen abgezogen hätten, werde künftig verzichtet. Auch die direkte Provision, die die Privaten von jedem Rentner verlangen, werde von 1,81 auf 0,5 Prozent sinken. "Wir werden es besser und kostengünstiger machen", versprach er.

Ein Referendum, um zu entscheiden, wer die Rentenbeiträge verwaltet, schloss der Leiter der Gestora Púbica aus, da diese Aufgabe "in der ausschließlichen Zuständigkeit der zentralen Ebene des Staates liegt".

Die Regierung beruft sich bei der Reform darauf, dass mit dem privaten Modell 26 Jahre ein Rentensystem etabliert war, das laut Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank hohe Verwaltungskosten und eine geringe Rentabilität aufweist.

Als 1997 die AFP Previsión, eine Tochtergesellschaft der spanischen BBVA, und Futuro, mit Mehrheitskapital der Schweizer Zurich South America Invest A.B., ihre Tätigkeit in Bolivien aufnahmen, stießen sie auf heftige Proteste vor allem der organisierten lohnabhängigen Bevölkerung.

2015 genehmigte die Regierung Morales das Dekret zur Gründung der Gestora Pública und erließ im September 2017 eine weitere Verordnung zur Aufnahme der Vorbereitungen. Im September 2022 kündigte Präsident Luis Arce schließlich den Übergang zum neuen staatlichen Rentensystem an.

Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gingen diesen Schritt bereits im Jahr 2002 Ecuador, 2005 Nicaragua und 2008 Argentinien.