Besorgniserregende Zahlen zum Verschwindenlassen in El Salvador

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Forum stellt Bericht vor
Bei dem Seminar wurden erschreckende Zahlen präsentiert

San Salvador. Im Rahmen des internationalen Seminars "Suche und Gerechtigkeit für Verschwundene" in El Salvador sind besorgniserregende Statistiken und Einschätzungen zur Praxis des Verschwindenlassens vorgelegt worden. Das Seminar fand am 9. und 10. August in San Salvador statt und wurde von der Arbeitsgruppe für verschwundene Personen veranstaltet.

Der Bericht, den die Arbeitsgruppe vorstellte, beschäftigt sich mit dem organisierten Verschwindenlassen von Personen, insbesondere von Frauen, Kindern, Jugendlichen und Personen aus der LGBTIQA+-Gemeinschaft. Zwischen 2019 und Juni 2022 listet der Bericht 6.443 verschwundene Personen auf. Zwischen 2021 und 2022 stieg die Anzahl der Verschwundenen um 18,9 Prozent.

Für die zweite Hälfte des Jahres 2022 wie auch für das laufende Jahr kann die Organisation keine offiziellen Zahlen nennen, weil die Politik keine Statistiken mehr zur Verfügung stellt. Laut Daten von Infosegura, einem Projekt des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen und der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID), gab es allein von Januar bis März 132 Fällen, was einen Anstieg von 29 Fällen im Vergleich zum Vorjahr darstellt.

Die Arbeitsgruppe identifizierte drei Muster des Verschwindenlassens: Zum einen werden Menschen in öffentlichen Räumen von Polizei und Militär festgenommen, während Zeugen zugegen sind. Später wird ihren Angehörigen jedoch jede Information über die Festnahme und den Verbleib der Festgenommenen verweigert. Erst Wochen oder Monate später erfahren die Familien vom Verbleib ihrer Angehörigen, nachdem sie oft mehrere Polizeistellen aufgesucht haben.

Ein weiteres Muster ist, dass trotz öffentlicher Festnahme und anwesender Zeugen Polizeistellen leugnen, dass eine Festnahme stattgefunden hat. Die Inhaftierten verschwinden im System.

Im dritten Fall werden Menschen festgenommen, in Gefängnisse gebracht, sterben schließlich aus verschiedenen Gründen in Haft und Angehörigen erfahren nichts von ihrem Tod, während die Leichen in Massengräbern begraben werden.

Die Berichte und Zahlen zeigen wieder einmal erschreckend die Dimensionen des Ausnahmezustands, der inzwischen zur Norm geworden ist.

Die Sozialforscherin Jeanette Agular sagte während des Forums: "Die aktuellen Formen des Verschwindenlassens und ihre grausamen Praktiken, die Vielfalt der Beteiligten an diesen abscheulichen Taten zeigen deutlich, wie sehr extreme Gewalt strukturell in der salvadorianischen Gesellschaft verankert wurde."

Familienangehörige schilderten die fehlende Unterstützung und lange Suche nach den Vermissten. Sie würden außerdem stigmatisiert und in den sozialen Medien angegriffen. Die teilnehmenden Organisationen solidarisierten sich mit den Betroffenen und warfen der Regierung vor, sie werde ihrer Verantwortung nicht gerecht, bei der Suche nach den Verschwundenen zu helfen. 

Der Direktor der Menschenrechtsorganisation Fespad (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho) forderte, dass die Regierung Informationen zu den Verschwundenen, wie etwa ihren Aufenthaltsort, ihren Gesundheitszustand und die Gründe für ihre Inhaftierung bereitstellt und die Generalstaatsanwaltschaft die Fälle professionell und ernsthaft untersucht.

Der Bericht der Arbeitsgruppe, an dem sechs Organisationen beteiligt waren, wurde auch dem Ausschuss der Vereinten Nationen für das Verschwindenlassen von Personen (Committee on Enforced Disappearances) übergeben.