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Venezuela: Eisbären in Caracas

Staatliche Behörden dekorieren Venezuelas Hauptstadt zu Weihnachten mit kanadischen Tannenbäumen, Eisbären, Santa Claus aus der Coca Cola-Werbung, Schlitten und Rentieren, die die Einwohner außer im Fernsehen noch nie gesehen haben

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Seit Anfang November sind die Straßen von Caracas weihnachtlich geschmückt
Seit Anfang November sind die Straßen von Caracas weihnachtlich geschmückt

Caracas. Venezuela war schon immer der hegemonialen Kultur der USA ausgesetzt. Deren Einfluss auf Mode, Filme, Musik usw. ist enorm und bei manchen Gelegenheiten wird dies deutlich sichtbar.

Das ist eine Folge unserer Nähe zu den USA, der globalen Dominanz der US-Kulturindustrie und auch eine direkte Folge unserer überaus bedeutenden Ölindustrie. Am Rande der Ölfelder begannen die Menschen zum Beispiel Baseball zu spielen. Später, als eine neue Klasse im Geld schwamm, tat sie nichts anderes, als die Konsumgewohnheiten des Nordens zu imitieren.

Ich spreche diese Dinge an, weil gerade zu Weihnachten die Straßen von Caracas mit riesigen, beleuchteten Eisbären geschmückt sind, von denen einige als Nikolaus verkleidet sind, während andere aussehen, als kämen sie direkt aus einer Coca-Cola-Werbung.

Nicht nur das, jede Weihnachtsdekoration, die ich in unseren Parks, auf Autobahnen, Plätzen usw. gesehen habe, scheint eine direkte Kopie dessen zu sein, was man in einer US-amerikanischen Stadt finden würde.

Und an Weihnachtstraditionen mangelt es in Venezuela eigentlich nicht. Wir könnten die Instrumente präsentieren, die in den aguinaldos, parrandas und gaitas, den traditionelle Musikgenres verwendet werden, die in unserem Land einzigartig und im Dezember ein vertrauter Soundtrack sind.

Wir könnten an Dekorationen denken, die auf unseren speziellen Weihnachtsgerichten, auf traditionellen Spielen oder sogar auf der kreolischen Krippe basieren: mit Maria aus den Anden und einem San José aus den Llanos. Obwohl das Christentum in diesem Teil der Welt ebenso wenig heimisch ist, hat man es sich angeeignet und sogar mit anderen Traditionen kombiniert, auch mit denen der Afro-Venezolaner.

Aber staatliche Behörden bevorzugen kanadische Tannenbäume, Eisbären, Nikolaus aus der Cola-Werbung und die Schlitten und Rentiere, die wir außer im Fernsehen noch nie gesehen haben. All dies erregt in der ganzen Stadt große Aufmerksamkeit. Der Verkehr rund um die geschmückten Bereiche ist ein Albtraum, weil die Leute dort anhalten, um Fotos zu machen oder TikTok-Videos zu drehen.

Um ehrlich zu sein, hätte ich noch vor ein paar Jahren einen Kreuzzug dagegen angeführt. Im Jahr 2013 schrieb ich einen Artikel mit dem Titel "#HalloweenCostumes", in dem ich kritisierte, dass unter diesem Hashtag venezolanische Jugendliche darüber diskutierten, was sie an Halloween tragen würden.

Ich schimpfte, dass sie alle nichts über Samhain wüssten, ein gälisches Fest, das seit etwa 2.000 Jahren im heutigen Irland und Schottland gefeiert wird und das Ende des Sommers und den Beginn des Herbstes markiert. Ich nannte sie auch unpatriotisch, weil sie sich um eine ausländische Tradition kümmerten, Süßes oder Saures spielten und den Geburtstag von Venezuelas "Sänger des Volkes" Alí Primera ignorierten.

Wenn ich heute meine Worte lese, fühle ich mich schlecht wegen meines alten Ichs, das voller Arroganz war und den Kontext völlig falsch verstand. Mit anderen Worten: Wenn es Halloween in Venezuela gibt, dann deshalb, weil diese kulturelle Durchdringung bereits da ist. Der Staat sieht das nicht als Problem an, die Institutionen haben sogar ihre eigenen Partys. Alles, was ein Minimum an wirtschaftlicher Aktivität auslöst, wird toleriert.

Genauso hat sich hier der "Schwarze Freitag" durchgesetzt, denn angesichts der wirtschaftlichen Lage ist jeder auf der Suche nach einem Rabatt oder der Möglichkeit, Geräte auf Raten zu kaufen. Und die derzeitige Politik gibt dem privaten Sektor und dem konsumorientierten Einzelhandel immer mehr Gewicht.

Bei den Weihnachtsdekorationen ist das nicht anders. Wenn die Leute einen beleuchteten Eisbären sehen, machen sie Fotos mit ihm. Nicht, weil sie "gehirngewaschen" oder "leicht zu täuschen" sind, sondern sie wollen sich einfach nur amüsieren und suchen nach Orten, an denen sie mit ihren Kindern eine angenehme Zeit verbringen können.

Mit anderen Worten: Wir können diese Art der kulturellen Invasion nicht mit extremen Maßnahmen bekämpfen.

Eine solche absurde Idee des venezolanischen Staates war der jüngste Plan, Reggeaton aus den Schulen zu verbannen. Es ist ein bisschen widersprüchlich, wenn der Staat selbst superteure Reggeaton-Konzerte mit lokalen und internationalen Stars als "Belohnung" für Schulabgänger organisiert. Wo bleibt da die Konsequenz?

Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit der Einflussnahme einer Kultur auf andere Kulturen, aber die Regierung kann zumindest erkennen, dass es sich um ein Problem handelt, und die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um dagegen anzukämpfen.

In Venezuela zum Beispiel haben wir Burger und Hotdogs zu einem festen Bestandteil unseres Straßenessens gemacht. Und nicht nur das: Die Venezolaner sind fest davon überzeugt, dass dies die besten Burger und Hotdogs der Welt sind. Und diese Verbreitung von Straßenimbissen hat dazu geführt, dass Fast-Food-Ketten hier kaum Fuß fassen konnten. Es gibt viele Möglichkeiten, diesen Kampf zu führen.

Vor einiger Zeit war es im Zentrum von Caracas üblich, dass sich Kinder mit Männern und Frauen fotografieren ließen, die als einige unserer bekanntesten historischen Persönlichkeiten verkleidet waren. Das war Teil einer ganzen "historischen Route" mit Aufführungen, Liedern und Vorträgen an jeder Ecke. Jetzt gibt es nicht einmal mehr einen Schatten davon. Stattdessen sieht man Leute, die als Mickey und Minnie Mouse verkleidet sind und einen US-Dollar pro Foto verlangen.

Meine Schlussfolgerung ist, dass wir wieder anfangen müssen, über diese Themen zu sprechen. Sie mögen irrelevant erscheinen, aber sie sind es nicht. Kultur ist nicht irgendein isolierter Bereich, der nur die Dekorationen betrifft, die wir mögen oder nicht, oder die Influencer, denen wir in den sozialen Medien folgen. Letzten Endes spiegelt sie die Art von Gesellschaft wider, die wir haben oder haben wollen. Kultur ist nicht weniger politisch als die Partei, die wir bei jeder Wahl wählen.

Aber zugleich müssen wir uns auch bewusst sein, dass wir diese Schlacht nicht über Nacht gewinnen können. Sie erfordert Studien, Planung und vor allem einen klaren Horizont. Andernfalls wird sich die hegemoniale Alternative einfach durchsetzen, beginnend mit Eisbären und endend mit ihren "common sense"-Überzeugungen, dass der Kapitalismus großartig ist und die USA das Modell sind, das wir alle anstreben sollten. Und das müssen wir bekämpfen.