Erster Rückschlag für Milei in Argentinien: Justiz bremst Arbeitsreform aus

Erfolg der Gewerkschaften. Kräftemessen zwischen Präsident, Parlament und Justiz. Kritik an Milei auch aus dem Regierungslager

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Abgeordnete und Senatoren der peronistischen Unión por la Patria beraten über Strategien gegen die DNU von Milei
Abgeordnete und Senatoren der peronistischen Unión por la Patria beraten über Strategien gegen die DNU von Milei

Buenos Aires. Die Nationale Arbeitskammer hat die Bestimmungen zur Arbeitsreform des von Präsident Javier Milei erlassenen Notstandsdekrets DNU vorläufig außer Kraft gesetzt. Das Gericht gab damit einem Antrag der peronistisch orientierten Gewerkschaft CGT (Confederación General de Trabajo) und anderer Gewerkschaften statt. Die Aussetzung gilt bis zur endgültigen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der DNU.

Damit sind die von Milei geplanten Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte vorerst auf Eis gelegt. Dazu gehörten die Verlängerung der Probezeit auf acht Monate oder vereinfachte Kündigungsmöglichkeiten. In der Urteilsbegründung warnt die Kammer zudem davor, dass mit Mileis DNU "soziale Konflikte zunehmen und zu Gewalttaten führen können".

Die Regierung beschuldigte die Richter der gewerkschaftsfreundlichen Voreingenommenheit und kündigte Berufung an. Die Gewerkschaften feierten das Urteil. "Sie werden uns nicht besiegen, solange wir vereint bleiben", erklärte der CGT-Vorsitzende Héctor Daer und bekräftigte den Aufruf zum Generalstreik am 24. Januar.

Auch auf parlamentarischer Ebene geht der Kampf um Mileis Deregulierungsmaßnahmen weiter. Der Nationalkongress befasst sich mit dem sogenannten Omnibus-Gesetz, das viele Lebensbereiche neu ordnen und der Exekutive große Machtfülle geben würde. Dabei wird deutlich, dass Mileis Vorschlag selbst mit den Abgeordneten der eigenen Partei La Libertad Avanza (LLA) wenig abgestimmt wurde und dass es an politischer Koordination wie an Verhandlungskanälen mit der Opposition fehlt.

Allein die formalen Kräfteverhältnisse im Kongress sind unklar: Während LLA im Senat zusammen mit Alliierten eine Mehrheit von 49 zu 33 besitzt, kommt die Regierungsallianz im Abgeordnetenhaus nur auf 79 Sitze, die linke und peronistische Opposition auf 107. Entscheidend werden die 71 "unabhängigen" Abgeordneten sein, von denen allein 34 auf die bürgerliche Unión Cívica Radical (UCR) entfallen.

Schon die Bildung der Kommissionen, die sich in der Abgeordnetenkammer mit dem Omnibusgesetz befassen werden, ließ nach Ansicht von Beobachtern das kommende parlamentarische Chaos erahnen. So kam es bei der Bildung der Ausschüsse zu Unregelmäßigkeiten bei den Abstimmungen, zu Geschrei und Beleidigungen. Der LLA gelang es, Teile der unabhängigen Opposition, vor allem die UCR und provinzielle Kräfte, in die eigene Fraktion zu integrieren und die Zahl der Ausschussvertreter der peronistischen Unión por la Patria zu reduzieren.

Widerstand gegen den Omnibus-Vorschlag gibt es aber auch im Regierungslager. So lehnen der Gouverneur der Provinz Chubut und der Bürgermeister des Kreises General Pueyrredón die geplanten Änderungen im Fischereisektor ab. Die beiden Politiker der Partei Propuesta Republicana (PRO) sind Anhänger von Milei und Ex-Präsident Mauricio Macri. Wie andere kritisieren sie, dass Milei "die wirtschaftliche und soziale Realität im Landesinneren nicht kennt". Sie befürchten, dass die Deregulierung rund 35.000 Arbeitsplätze in ihren von Tourismus und Fischerei geprägten Bezirken vernichten könnte.

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Angespannt ist auch das Verhältnis zwischen Milei und den Gouverneuren, die dem Präsidenten und seiner Alles oder Nichts-Taktik fehlenden Dialogwillen vorwerfen. Viele fühlen sich vom Präsidenten zudem in Knebelhaft genommen, da dieser die Wiedereinführung der Mehrwertsteuer und die damit verbundenen Einnahmen für die Provinzen von der Zustimmung im Kongress abhängig macht.

Hintergrund ist die Diskussion über die Finanzlage der Provinzen. Milei will Transferzahlungen in die Provinzen abschaffen, was deren Etatlücken vergrößert. Zum Ausgleich sollte die Schecksteuer aufgeteilt werden, was von allen Parteien unterstützt, aber von Wirtschaftsminister Luis Caputo abgelehnt wurde, da es das Ziel einer schwarzen Null im Haushalt gefährde. So versprach Milei, die Abschaffung der Mehrwertsteuer rückgängig zu machen, die der peronistische Finanzminister Sergio Massa vorangetrieben hatte und für die bisher auch Milei gestimmt hatte.

Ermutigt vom Erfolg der Gewerkschaften hat auch der argentinische Gemeindeverband FAM (Federación Argentina de Municipios), der circa fünfhundert meist peronistisch regierte Kommunen vertritt, eine Schutzmaßnahme gegen Mileis Deregulierungsdekret beantragt. Die Eingabe wurde von Fernando Espinoza, Bürgermeister der 1,5 Millionen-Stadt La Matanza, der größten Stadt der Provinz Buenos Aires, eingereicht.

"Wir sehen, wie ein Zusammenbruch der ganzen Wirtschaft herbeigeführt wird", so Espinoza. Nunmehr trügen die Gemeinden "die Verantwortung dafür, die Stimmen von Millionen Frauen, Männern, Großmüttern und Großvätern zu verteidigen" und für Studenten, Arbeiter, Kleinunternehmen wie ländliche und regionale Produzenten zu sorgen.

Allen Widerständen zum Trotz äußerte Milei die Hoffnung, mit seinen Initiativen voranzukommen. "Fußballspiele dauern 90 Minuten", sagte der Präsident im Radio-Interview. Er versicherte, dass sich die Anstrengungen "lohnen werden" und er sich des Leids der Menschen "bewusst" sei, die wegen der Maßnahmen nicht über die Runden kämen. "Nichts zu tun oder mit dem Gleichen weiterzumachen", so der Präsident zugleich, "wäre viel schlimmer."

Der als Hauptideologe der Maßnahmen geltende Präsidentenberater Federico Sturzenegger gab zudem bekannt, dass die Regierung dem Nationalkongress in Kürze einen weiteren Gesetzentwurf vorlegen wird, der die Abschaffung von 160 als "absurd oder veraltet" betrachteten Vorschriften vorsieht. Die bisherige DNU mache nur 40 Prozent der angestrebten Reformen aus.

Für den Ökonomen Sturzenegger, der unter Macri rund 2,5 Jahre Präsident der Zentralbank war, sollen Mileis Maßnahmen "das Land radikal verändern". "Die Reformen haben eine Dimension, die über sie selbst hinausgeht: Eine Revision der wirtschaftlichen Machtstruktur", so Sturzenegger gegenüber Bloomberg.