Chilenisches Militär nach Tod eines Wehrdienstleistenden in der Kritik

Justiz ermittelt nach tödlichem Ausbildungsmarsch in den Anden. Kameraden berichten verbreitete Misshandlungen und Demütigungen

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Junge Wehrdienstleistende in der chilenischen Armee sind ihren militärischen Vorgesetzten ausgeliefert
Junge Wehrdienstleistende in der chilenischen Armee sind ihren militärischen Vorgesetzten ausgeliefert

Arica. Vor dem regionalen Gericht von Arica hat der Prozess um den Tod eines Wehrdienstleistenden begonnen. Der 14. Mai war der erste Prozesstag über die Klage des chilenischen Instituts für Menschenrechte (INDH) gegen verantwortliche Militärs wegen Nötigung mit Todesfolge im Falle des 19. jährigen Franco Vargas. Dieser verstarb am 27. April und seine Kollegen haben schwere Vorwürfe gegen die Vorgesetzten erhoben.

Demnach soll das Militär für den Tod Vargas verantwortlich sein. Die Vorgesetzen einer Kompanie sollen zudem alle ihre Soldaten misshandelt und sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben. "Wir sind davon überzeugt, dass die Wehrdienstleistenden schwere Menschenrechtsverletzungen erlitten haben", so die Direktorin des INDH, Consuelo Contreras.

Laut Klageschrift des INDH wurde die Kompanie der Wehrdienstleistenden am 21. April in ein Camp des Militärs auf mehr als 4.000 Meter Höhe in den Anden, nahe der Grenze zu Bolivien geschickt. Ihnen wurde, so der Bericht, teilweise verboten zu schlafen, sie bekamen nicht genügend Essen und erhielten zu wenig Ausrüstung für das extreme Wetter in den Anden. Die Vorgesetzten sollen die Soldaten konstant beleidigt, geschlagen und Tränengasgranaten vor ihren Gesichtern betätigt haben, so die Klage weiter.

Bei einem Fußmarsch auf über 4.600 Meter Höhe und bei Minusgraden soll der verstorbene Vargas früh seine Erschöpfung geäußert haben. Anstatt ihm zu helfen, verhöhnten ihn seine Vorgesetzten. Der junge Mann brach zusammen und wurde tot in die nächste Krankenstation eingeliefert.

Das Militär wies zuerst die Anschuldigungen zurück, bis der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Javier Iturriaga schließlich am 6. Mai zugeben musste, dass die Befehlshaber der Kompanie Fehler begangen hatten. Iturriaga versprach eine interne Untersuchung und entließ die beiden direkten Befehlshaber aus dem Dienst.

Während sich viele Politiker bestürzt über den Vorfall zeigten, bezeichnete eine lokale Politikerin der rechtsradikalen Partei Republicanos die Wehrdienstleistenden mitsamt dem verstorbenen Vargas als "Müttersöhnchen". Nach Kritik an der Äußerung entschuldigte sie sich.

Die linksreformistische Regierung unter Präsident Gabriel Boric versprach ihrerseits eine rasche Aufklärung des Falls. Der Präsident und die Verteidigungsministerin Maya Fernández trafen sich mit der Mutter des Verstorbenen. Die Ministerin bestätigte Oberbefehlshaber Iturriaga indes in seinem Amt.

Derweil steht immer noch aus, ob schlussendlich ein Zivil- oder das Militärgericht den Fall bearbeiten wird. Am ersten Prozesstag erklärte der regionale Gerichtshof von Arica seine Zuständigkeit. Das Oberste Gericht in Santiago könnte dies jedoch revidieren.

Die Vorkommnisse um die Wehrdienstleistenden sind kein Einzellfall in dem südamerikanischen Land. Regelmäßig kommen Berichte auf, nachdem junge Soldat:innen und angehende Polizist:innen und Gefängniswärter:innen scheinbar institutionalisierter schlechter und herabwürdigender Behandlung ausgesetzt sind.

Nur wenige Tag nach dem Todesfall Vargas wurde bekannt, dass eine angehende Gefängniswärterin aufgrund einer Lungenentzündung verstorben ist, nachdem sie trotz Erkrankung gezwungen wurde, bei Kälte zu trainieren, sich in kalten und feuchten Räumen aufzuhalten und bei Minusgraden Wache zu halten. Auch in diesem Fall ermittelt nun die Justiz.

In Chile müssen im Prinzip alle jungen Männer Wehrdienst leisten, die per Los dazu einberufen wurden. Allerdings können sich Studierende vom Wehrdienst befreien lassen. Dies führt dazu, dass meist nur Personen aus ärmeren Verhältnissen den Wehrdienst tatsächlich ableisten. Betuchtere schlagen die Offizierslaufbahn ein, die getrennt von den einfachen Soldaten funktioniert.