Erneuter Ausnahmezustand in Ecuador

Präsident setzt bei Bekämpfung der Kriminalität weiter auf Militär und die Einschränkung von Freiheiten. Straflosigkeit bei Rechtsbrüchen der Sicherheitskräfte. Kritik von Menschenrechtsorganisationen

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Präsident Noboa bleibt unbeirrt bei der Militarisierung der Kriminalitätsbekämpfung in Ecuador
Präsident Noboa bleibt unbeirrt bei der Militarisierung der Kriminalitätsbekämpfung in Ecuador

Quito. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität hat der ecuadorianische Präsident Daniel Noboa erneut den Ausnahmezustand über Teile des Landes verhängt. Das gab er nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats auf dem Mikroblogging-Dienst X bekannt. Die Maßnahme gilt zunächst für 60 Tage in sieben der 24 Provinzen des Landes.

In den letzten fünf Monaten habe sich der "Krieg" aufgrund der Aktionen des Militärs auf diese Provinzen "regionalisiert", so der Präsident. Für den neu gesetzten Zeitraum sind unter anderem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und das Briefgeheimnis ausgesetzt. Eine Ausgangssperre gibt es nicht. In den sozialen Netzwerken sprach Noboa von einer "zweiten Etappe des Krieges" gegen die organisierte Kriminalität.

Zuletzt hatten Gerichte am 10. Mai den von der Regierung zuvor ausgerufenen Ausnahmezustand in fünf Küstenprovinzen aufgehoben. Die Richter sahen nicht die notwendige Rechtfertigung für die drastischen Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bevölkerung.

Einen Tag vor den gerichtlichen Entscheidungen hatte die Regierung erklärt, dass man sich in einem "bewaffneten internen Konflikt" befinde. Sie verhängte landesweit den Ausnahmezustand. Eine nächtliche Ausgangssperre trat in Kraft und dem Militär wurden umfangreiche Kompetenzen der Polizei übertragen. Außerdem übernahm das Militär die Kontrolle über die Gefängnisse des Landes, in denen es immer wieder zu Gewaltexzessen kommt.

Seitdem hat die Gewalt im Andenstaat immer wieder neue Maßstäbe erreicht. Die US-amerikanische Menschenrechtorganisation Human Rights Watch (HRW) erhebt nun schwere Vorwürfe. Demnach sei es zunehmend zu extralegalen Hinrichtungen, willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen bis hin zu Folterungen in Gefängnissen durch Sicherheitskräfte gekommen. Es handele sich um Verstöße gegen internationale Menschenrechtskonventionen und nationale Gesetze.

HRW prangert darüber hinaus an, dass eine Vielzahl von Inhaftieren weder Staatsanwälten noch Richtern vorgeführt würden. Trotz einer Verpflichtung, die Justiz über Festnahmen zu unterrichten, seien mehr als 13.000 Menschen kurzfristig außerhalb der regulären Verfahren festgehalten worden. Oftmals tauchen sie anschließend misshandelt, geschlagen oder nach Erleiden erniedrigender Behandlung wieder auf. Konsequenzen müssen die Täter nicht fürchten. Abgeordnete der Nationalversammlung forderten eine generelle Amnestie bzw. Begnadigung für Polizei und Militär "wann immer es notwendig ist, um die Arbeit zu gewährleisten".

Die HRW-Direktorin für Nord- und Südamerika, Juanita Goebertus, kritisierte die fortschreitende Übernahme von Polizeitätigkeiten durch das Militär. Dies erhöhe das Risiko des Missbrauchs: "Ecuador braucht mehr und besser ausgebildete Justiz- und Strafverfolgungsbeamte, die gegen das organisierte Verbrechen ermitteln, und nicht noch mehr Soldaten auf den Straßen", so Goebertus.

Die ecuadorianische Ombudsstelle (DPE) verurteilte ebenfalls die Verletzung von Menschenrechten innerhalb der Justizvollzugsanstalten. Zwischen dem 9. Februar und dem 7. März dieses Jahres seien bereits 24 Menschen in Haft gestorben. Nur teilweise sei der Tod auf natürliche Ursachen zurückzuführen. In anderen Fällen vermutet die Organisation Gewalteinwirkungen bis hin zu Folter durch Sicherheitskräfte.

Bei mindestens einer Person hält es die Ombudsstelle für möglich, dass der Häftling im Zusammenhang mit einer Unterernährung starb. Sie führt dies auf mangelnde Lebensmittelversorgung in den Gefängnissen in Esmeraldas, Santo Domingo, Carchi, Imbabura, Pichincha, Cotopaxi, Sucumbíos und Napo zurück. Ursache seien ausbleibende Zahlungen an Lieferanten. Während die Regierung dem bisherigen Lieferanten Lafattoria Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorwirft, weist das Unternehmen dies zurück und gibt an, dass der Staat hohe Zahlungsversäumnisse angehäuft habe.

Vor dem Hintergrund der mangelnden Essensversorgung und den Berichten über Misshandlungen betont DPE die Verantwortung des Staates. Dieser sei verpflichtet, die sich in seinem Gewahrsam befindlichen Gefangenen ausreichend schützen. Gleichzeitig forderte die Ombudsstelle, dass Beamte für ihre Handlungen oder Unterlassungen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden, wenn diese das Gesetz brechen.

Noboa zeigt sich von derartiger Kritik unbeeindruckt. Bereits im Februar bezeichnete er einen Richter, der Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen verurteilte als "antipatriotisch". Während eines kürzlichen Staatsbesuchs in Spanien kündigte Noboa im Interview mit der Nachrichtenagentur EFE an, dass in "zwei bis drei Wochen" mit dem Bau eines weiteren Hochsicherheitsgefängnisses in der Provinz Santa Elena begonnen werde.