Brasilien: Druck auf Regierung Lula steigt, die versprochene Agrarreform voranzubringen

Brutaler Überfall auf eine Ansiedlung der Landlosenbewegung. MST: Regierung soll endlich handeln, über 60.000 Familien warten auf Lösungen

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Die MST-Siedlung Olga Benario wurde brutal überfallen, drei Menschen starben
Die MST-Siedlung Olga Benario wurde brutal überfallen, drei Menschen starben

Tremembé. Nach dem Anschlag auf ein Lager der Landlosenbewegung MST am 10. Januar, der drei Tote und fünf schwer Verletzte forderte, hat die brasilianische Bundespolizei nun die ersten zwei Festnahmen bekannt gegeben. Vier weitere Beteiligte seien identifiziert, jedoch noch nicht gefasst.

Auf Grund der Schwere der Tat forderte die Polizei Untersuchungshaft für die festgenommen Verdächtigen.

Eine Gruppe von mindestens zehn Bewaffneten hatte in der Nacht bei Tremembé, im Bundesstaat Sao Paulo, die Siedlung Olga Benario der MST überfallen und das Feuer auf die Anwesenden eröffnet. Die Angreifer töteten Valdir do Nascimento, einen der lokalen Anführer der Bewegung, und Gleison Barbosa do Carvalho. Ein dritter Verletzter starb im Krankenhaus, fünf weitere Personen wurden mit Schusswunden eingeliefert. Der Überfall hat landesweit für Empörung gesorgt.

Die MST veranstaltet seitdem zahlreiche Gedenk- und Protestaktionen und fordert von der Regierung, für ein Ende der Gewalt auf dem Land zu sorgen und endlich die versprochene Agrarreform durchzuführen.

Der Chef der lokalen Polizei hatte das Ereignis mit einem Streit unter Nachbarn um den Verkauf von Parzellen erklären wollen, was die Führung des MST jedoch scharf zurückwies. Der paramilitärisch anmutende Angriff mit so vielen Beteiligten und unter Verwendung von mehreren Fahrzeugen und Motorrädern deute auch in eine andere Richtung.

Auf Anordnung des Generalstaatsanwalts Paulo Sergio de Oliveira wird die Sondergruppe für den Kampf gegen organisierte Kriminalität die Ermittlungen unterstützen. Bewohner der Siedlung hätten bereits in der Vergangenheit Drohungen bekommen, da das von Ihnen besetzte Land Begehrlichkeiten für ein touristische Projekt weckt.

Paulo Teixeira, Minister für landwirtschaftliche Entwicklung und familiäre Landwirtschaft, und Macaé Evaristo, Ministerin für Menschen- und Bürgerrechte, nahmen an der Totenwache für die Opfer Teil. Teixeira forderte die Aufklärung der Tat und des Auftraggebers. Evaristo prangerte das Klima der Gewalt an, das von jenen, "die gegen die Demokratie handeln, verursacht wird".

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Die Siedlung Olga Benario ist eines von mehreren "Territorios da Resistencia" (Widerstandsgebieten), die zum Teil seit Jahrzehnten besitzlose Landarbeiterfamilien besiedeln und bei denen es immer wieder Versuche gegeben hat, sie zu räumen.

Ein Beispiel ist das Lager "Quilombo Campo Grande" in Minas Gerais, das seit 1996, als die dortige Zuckerplantage Usina Ariadnópolis (4.000 Hektar Land) Konkurs anmeldete und ihre Arbeiter nicht bezahlte, von diesen besetzt wurde. Dort gab es bis zu elf Räumungsversuche, einer davon während der Pandemie, als Ausgangssperre verhängt war.

Bereits seit dem vergangenen Jahr gibt es den Plan, im Zuge einer Agrarreform einige symbolträchtige Gebiete von insgesamt circa 9.400 Hektar zu enteignen und damit ein politisches Zeichen zu setzen.

Zum Jahresende 2024 hatten die Anführer des MST die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gedrängt, das Dekret zur Enteignung vor Weihnachten zu unterzeichnen, um die Agrarreform endlich voranzutreiben. Ceres Hadich von der nationalen Leitung der MST äußerte, dass die Menschen eine "Weihnacht ohne Hunger und mit Land forderten". Ein geplantes Treffen mit dem Präsidenten musste auf Grund seiner Notoperation vertagt werden.

Fünf Enteignungen fanden in den letzten zwei Jahren bereits statt. Die Führung des MST ist jedoch frustriert über den langsamen Fortschritt in Sachen Agrarreform und übte zuletzt scharfe Kritik an der Regierung Lula (amerika 21 berichtete). Über 60.000 Familien würden weiterhin auf eine definitive Lösung warten und in provisorischen Lagern ‒ wie der zuletzt überfallenen Siedlung ‒ ausharren.

Der Name dieser Siedlung erinnert an die deutsche Kommunistin Olga Benario, die in den 1930er Jahren nach Brasilien ging, um sich dem Kampf gegen die Oligarchie anzuschließen. Sie wurde von der Regierung unter Getulio Vargas an die Nationalsozialisten ausgeliefert und 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg in der Gaskammer ermordet.