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Brasilien weltweit größter Pestizid-Verbraucher

Grund ist weitere Industrialisierung der Landwirtschaft. Einsatz vor allem im Sojaanbau. Bayer und BASF unter führenden Unternehmen. Forscher:innen verweisen auf erhöhtes Krebsrisiko

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Organisationen wie die Landlosenbewegung MST verweisen auf tödliche Gefahren durch Pestizideinsätze
Organisationen wie die Landlosenbewegung MST verweisen auf tödliche Gefahren durch Pestizideinsätze

Brasília. Nach Presseinformationen hat Brasilien seine Position als größter globaler Markt für Pestizide im Jahr 2024 mit einem geschätzten Umsatz von 14,3 Milliarden US-Dollar konsolidiert. Das Land übertrifft damit die USA (13,3 Milliarden Dollar) und China (10,8 Milliarden Dollar). Grund ist die weitere Industrialisierung der Landwirtschaft.

Der Einsatz von Ackergiften in Brasilien wuchs 2024 wertmäßig um 9,2 Prozent und mengenmäßig um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, gemäß Daten des brasilianischen Dachverbandes der Pestizidindustrie. Der Gesamtverbrauch belief sich demnach auf rund 1,5 Millionen Tonnen.

Dieser chemie- und energieintensive Fußabdruck beruht überwiegend auf drei landwirtschaftlichen Erzeugnissen: Soja 56 Prozent, Mais 16 und Baumwolle acht Prozent, auf die zusammen 80 Prozent der in Brasilien verbrauchten Pestizide entfallen. Hinzu kommt der Agrarchemieverbrauch auf riesigen Zuckerrohr- und Kaffee-Plantagen. Zum Einsatz kamen vor allem Herbizide, Insektizide und Fungizide. Der Rest wurde für andere Zwecke wie Saatgutbehandlung verwendet.

Die Bundesstaaten Mato Grosso und Rondônia führen aufgrund großflächiger Soja-Monokulturen mit einem Marktanteil von 28 Prozent beim Pestizideinsatz, gefolgt von São Paulo und Minas Gerais, jeweils 18 Prozent,  und den Bundestaaten des Nordostens, Bahía, Maranhão, Tocantins, Piauí und Pará, mit 15 Prozent.

Der Vormarsch von Soja im Amazonasgebiet und der tropischen Savannenregion Cerrado hängt stark vom Einsatz von Pestiziden ab, nicht zuletzt deshalb, weil das Vordringen großer Monokulturen die Vermehrung von Schädlingen, Pilz- und Viruskrankheiten begünstigt.

Die großen Gewinner des steigenden Pestizidverbrauchs in Brasilien sind die fünf marktbeherrschenden multinationalen Konzerne Syngenta, Bayer, BASF, Corteva Agriscience und UPL. Die Unternehmen verkaufen in Brasilien auch die meisten in Europa verbotenen Pestizide. Bis 2030 wird trotz Weltmarktschwankungen ein weiteres jährliches Wachstum von 1,8 Prozent prognostiziert.

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Lateinamerika festigt so seine Position als Wachstumsmotor des Agrarchemikalien-Sektors mit Brasilien und Argentinien an der Spitze. Viele der hier eingesetzten Pestizide sind in Ländern mit strengerer Umweltgesetzgebung wie der EU verboten, weil sie eine Vielzahl von Krankheiten verursachen, darunter Krebs, neurologische Krankheiten und Dysregulation des endokrinen Systems.

Die zunehmende Verschmutzung der brasilianischen Böden und Wassereinzugsgebiete wird politisch durch Steuer- und Abgabenbefreiung befördert. Laut Professor Dr. Marcos Pedlowski von der staatlichen Universität von Rio müssen also die Steuerzahlenden selbst das pestizidintensive, krankheitsfördernde Agrarmodell subventionieren, während zugleich der Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten abnimmt.

Eine neue Studie der Universität von Caxias do Sul in der Zeitschrift "Saúde em Debate" zeigt, dass Landwirt:innen, die Pestiziden ausgesetzt sind, ein erhöhtes Krebsrisiko haben. Die Untersuchung analysiert 29 zwischen 2012 und 2021 veröffentlichte Studien aus der ganzen Welt. Demnach kann ein längerer Kontakt mit  Pestiziden Zellschäden verursachen, die die Entwicklung jeder Art von Krebs begünstigt. Am häufigsten sind Lungen-, Brust- und Prostatakrebs sowie hämatologischer Krebs (Leukämien und Lymphome).

Wesentlich ist laut der Autorin Fernanda Meire Cioato die Art und Dauer des Kontaktes. Das Risiko sei bei männlichen Landarbeitern noch ausgeprägter, da sie beim Spritzen oft nicht die thermisch unbequeme Schutzausrüstung nutzten. Auch Frauen seien betroffen, wenn sie mit kontaminierten Geräten umgehen oder die Pestizide lagerten. Häufig erhöhe sich die Toxizität der Pestizide, da die Landwirte oft mehrere Substanzen kombinierten.

Die Forscher:innen halten staatliche Maßnahmen für unerlässlich, um bessere Kontrolle und Sicherheit beim Einsatz von Pestiziden zu gewährleisten. Ebenso die Ausbildung medizinischen Fachpersonals, um betroffene Landarbeiter:innen frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Zudem müsse die Risikokommunikation verbessert werden: Da viele Landwirt:innen nur über eine geringe Schulbildung verfügten, müssten die komplizierten Sicherheitshinweise auf den Pestizid-Etiketten vereinfacht werden, um die negativen Auswirkungen der Ackergifte auf die Gesundheit der Landbevölkerung zu verringern.