Santiago. Jeanette Jara von der Kommunistischen Partei Chiles hat die internen Vorwahlen am Sonntag mit großem Vorsprung gewonnen. Fünfzehn Millionen Wähler waren aufgerufen, zwischen Vertretern von vier Parteien oder Allianzen die Person zu wählen, die im November als gemeinsamer Kandidat zur Präsidentschaftswahl antritt. Wahlberechtigt waren 15 Millionen Mitglieder der teilnehmenden Parteien und parteilose Sympathisanten. Bei einer Wahlbeteiligung von etwas mehr als neun Prozent setzte sich Jara überraschend deutlich durch.
Auf die Kandidatin der Allianz aus Kommunistischer Partei, Humanistischer Partei und Christlicher Linke entfielen 60 Prozent der Stimmen. Carolina Tohá, Kandidatin der Sozialistischen Partei, PPD (Partido por la Democracia), erreichte gemeinsam mit der Radikalen Partei 28 Prozent. Die Frente Amplio (Breite Front) von Präsident Boric stellte Gonzalo Winter auf, der als Drittplatzierter auf neun Prozent kam. Der vierte Kandidat, Jaime Mulet von der Federación Regionalista Verde Social (Regionale, Grüne, Soziale Föderation), erhielt 2,7 Prozent der Stimmen.
Auf einer großen Bühne im Zentrum von Santiago feierte Jara den Erfolg mit Parteimitgliedern und Unterstützern. Sie bedankte sich für die große Unterstützung im kurzen Wahlkampf und betonte, dass sie nun Präsidentschaftskandidatin einer Koalition sei, die noch wachsen müsse, um im November erfolgreich zu sein. Als Eckpunkte ihrer Kandidatur nannte sie die Vertiefung der sozialen Reformen der jetzigen Regierung, eine souveräne Wirtschaftspolitik in einer multipolaren Welt zur Sicherung anhaltenden Wachstums sowie mehr Sicherheit im Alltag, damit Menschen wieder ohne Angst auf die Straße gehen können.
Über den Tellerrand schauen?
Mit Ihrer Spende können wir Ihnen täglich das Geschehen in Lateinamerika näher bringen.
Bereits im Wahlkampf sprach sie sich für die Aufhebung des Bankgeheimnisses aus, um den Geldfluss mafiöser Banden zu unterbinden. Sie wolle weiter für die Abschaffung der privaten Rentenversicherungen arbeiten und die Verträge zur Ausbeutung der Lithiumvorkommen überdenken. Jara bedankte sich bei Carolina Tohá und Gonzalo Winter für den fairen Wahlkampf und lud sie und ihre Parteien ein, gemeinsam für die Präsidentschaft und eine Mehrheit im Parlament zu kämpfen. Nur so könne ein möglicher Wahlsieg rechter und ultrarechter Parteien verhindert werden, die eine Verkleinerung des Staates anstreben und bereits die Rücknahme von Reformen angekündigt haben. Die bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Arbeiterhaushalte und Mittelschichten könnten nur mit mehr Staat gelöst werden. Jara wandte sich an die anwesenden Winter und Tohá: "Wir alle hier auf der Bühne werden ab morgen an einem gemeinsamen Wahlprogramm arbeiten."
Einige Medien versuchten, die Bedeutung der Vorwahlen herabzusetzen, indem sie auf die niedrige Beteiligung verwiesen. Tatsächlich lag die Wahlbeteiligung unter der letzten Wahl im Jahr 2021, entsprach aber dem Durchschnitt anderer Wahlen dieser Art. Bemerkenswert ist, dass Jara 132.000 Stimmen mehr erhielt als Daniel Jadue vor vier Jahren, der ebenfalls für die Kommunistische Partei antrat, und landesweit alle Städte mit mindestens 50 Prozent der Stimmen gewann. Carolina Tohá lag bis zuletzt in allen Umfragen vorn und sprach von einem enttäuschenden Ergebnis. Die Concertación de Partidos por la Democracia (Allianz der Parteien für die Demokratie), die Mitte-Links-Koalition, die Chile fast 20 Jahre regierte, konnte ihre Anhängerschaft nicht mobilisieren. Ähnlich erging es Gonzalo Winter von der Frente Amplio. Diese wurde infolge der sozialen Proteste 2019 stark und ist heute deutlich stärker in den Parlamenten auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene vertreten als die Kommunistische Partei.
Am selben Abend versicherten Winter und Tohá, ihre Wahlabsprachen einzuhalten und die Gewinnerin Jara im Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen. Die Vorsitzenden der Sozialistischen Partei und der PPD von Carolina Tohá signalisierten am Montag Einigkeit. Die zweimalige Präsidentin Michelle Bachelet hatte bereits vor der Wahl in einem Telefongespräch aus dem Ausland ihre Unterstützung für den Wahlsieger zugesagt.