Brasilien: Schwergewicht der Basisbewegungen in Regierung berufen

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Lula da Silva ernennt Guilherme Boulos (PSOL) zum neuen Leiter des Präsidialbüros
Lula da Silva ernennt Guilherme Boulos (PSOL) zum neuen Leiter des Präsidialbüros

Brasília. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat den Bundesabgeordneten Guilherme Boulos von der linken Partei Sozialismus und Freiheit (Partido Socialismo e Liberdade, PSOL) zum neuen Leiter des Präsidialbüros im Ministerrang ernannt.

Im Mitte-Links-Lager gilt die Berufung von Boulos als Korrektur einer Fehlentwicklung. Der bisherige Leiter des Präsidialbüros, Márcio Macêdo (Partido dos Trabalhadores, PT), vertritt den stark institutionalisierten PT-Flügel und galt als "bürokratisch" und "wenig basisnah".

Laut dem Politikwissenschaftler Paulo Roberto de Souza von der Stiftung für Soziologie und Politik von São Paulo (FESPSP) ist die Ernennung von Boulos ein Versuch von Lula, den Dialog der Regierung mit den sozialen Bewegungen wiederzubeleben sowie ihre Führungsposition im progressiven Lager auf personeller und symbolischer Ebene zu festigen. Zugleich gehe es darum, das Mitte-Links-Lager im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr online und "auf der Straße" neu zu organisieren.

"Die Ernennung ist eine Verpflichtung von Lula wie von Boulos. Lula hat auch als Staatspräsident immer versucht, die Verbindung zu den sozialen Bewegungen zu bewahren und Räume für Interaktion zu schaffen", sagte Souza. Boulos hatte seit längerem Interesse an einem Ministeramt bekundet. Er verpflichtet sich, das Amt bis Ende der Legislatur auszuüben, und verzichtet im nächsten Jahr auf eine Kandidatur im Bundesstaat São Paulo, da Ministerkandidat:innen ihre Posten sechs Monate vorher aufgeben müssen.

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Der 43-jährige Boulos besitzt eine ungewöhnliche politische Biographie und gilt vielen als das größte Talent des progressiven Lagers. Aus einer Akademikerfamilie in São Paulo stammend, engagierte er sich früh in der "Bewegung der obdachlosen Arbeiter" (MTST), in der er bald zur unangefochtenen Führungspersönlichkeit aufstieg. Zwei Jahrzehnte lang widmete er sich dem Kampf für Stadtreformen und angemessenen Wohnraum. Zugleich studierte er Philosophie und Klinische Psychologie, lehrte an Schulen und Universitäten und tat sich als Autor hervor. Unter seinen Büchern zählen die Titel "Warum besetzen wir" (2014), "Auf welcher Seite stehst du" (2015) und "Ohne Angst vor der Zukunft" (2022).

Bei den Präsidentenwahlen 2018 errang er für den PSOL einen Achtungserfolg. 2020 und 2024 gelang es ihm, in die Stichwahl um das Bürgermeisteramt gegen die Kandidat:innen des Mitte-Rechts-Lagers zu kommen. 2022 war er mit mehr als eine Million Stimmen der meistgewählte Bundesabgeordnete im Bundesstaat São Paulo.

Souza betont, dass das Ministeramt für Boulos wie für die Regierung eine strategische Bedeutung habe. "Boulos kann sich als Vertreter des progressiven Lagers und der sozialen Bewegungen institutionell etablieren". Das neue Amt ermögliche es Boulos, seine Führungskompetenz und die Zusammenarbeit auf nationaler Ebene auszubauen und seine Ausgangsbasis für spätere Kandidaturen, möglicherweise auch in Konkurrenz zu PT-Kandidat:innen, zu verbessern.

Boulos' Nachfolger in der Abgeordnetenkammer ist der Physiker Ricardo Galvão (PSOL). Er war Direktor des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (Inpe) und ist derzeit Präsident des Nationalen Rats für wissenschaftlich-technologische Entwicklung. Galvão erlangte 2019 große Bekanntheit, als er die Korrektheit der Inpe-Daten über die fortschreitende Abholzung im Amazonasgebiet gegenüber dem damaligen rechten Staatspräsidenten Jair Bolsonaro verteidigte und daraufhin entlassen wurde.