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Chevron: Höchststrafe in der Geschichte des Umweltrechts

Gespräch mit dem ecuadorianischen Botschafter in Deutschland, Jorge Jurado, zum Prozess gegen den Ölmulti Chevron und den Charakter von Abkommen zum Investitionsschutz

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Jorge Jurado studierte in den 1970er Jahren Ingenieurswissenschaften in Berlin. Seit Februar 2011 ist er Botschafter seines Landes in Deutschland
Jorge Jurado studierte in den 1970er Jahren Ingenieurswissenschaften in Berlin. Seit Februar 2011 ist er Botschafter seines Landes in Deutschland

Im Jahr 1993 schloss sich in der Provinz Sucumbios im Nordosten Ecuadors eine Opfervereinigung von rund 30.000 Bewohnern zusammen. Sie klagten gegen die Verschmutzung des Regenwaldes durch die Ölförderung der Firma Texaco. Diese hatte von 1964 bis 1990 in der Region Öl gefördert und Milliarden Liter giftiger Ölabfälle entsorgt, ohne auf Umweltstandards zu achten. Bis heute sind die Böden und Flüsse kontaminiert. Es kam zu Krankheiten und Todesfällen unter den Einwohnern in der Region. Im Jahr 2001 erwarb Chevron das Unternehmen Texaco und "erbte" damit auch die Klage.

Die Rekordstrafe von 19 Milliarden Dollar versuchte der Konzern durch den Vollzug der Strafe in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern zu blockieren. Chevron argumentiert, Texaco sei beim Auszug aus dem Gebiet von jeglicher Verantwortung entbunden worden, die Rechtsnachfolge sei an die staatliche Erdölgesellschaft Petroecuador übergegangen. Die ecuadorianische Justiz hingegen hält die Rechtsnachfolge Chevrons für gegeben.

Weiter behauptet Chevron, das Urteil sei durch Betrug herbeigeführt worden und das Resultat der parteiischen und unfairen ecuadorianischen Justiz. Chevron fürchtet, wie auch andere Öl-Unternehmen, dass dieses Urteil zu einem Präzedenzfall werden könnte. Im November 2013 bestätigte das Oberste Gericht in Ecuador die Urteile von 2011 und 2012. Es reduzierte die Geldstrafe aber um fast zehn Milliarden Dollar. Ecuadors Präsident Rafael Correa begrüßte das Urteil mit den Worten: "Der Gerechtigkeit wurde genüge getan". Chevron hingegen nimmt die Strafe nicht an und versucht nun seinerseits Klage gegen Ecuador zu erheben.


Die unglaublichen Ausmaße der langjährigen Verschmutzung des Amazonasgebietes seitens Texacos – heute Chevron – sind evident und bewiesen. Sie entsprachen schon damals nicht den Mindeststandards für Unternehmen der Ölindustrie. Ist der Begriff "Amazon Tschernobyl" angemessen für diese Umweltkatastrophe?

Im Laufe der Jahre haben sich viele Experten dazu geäußert und es gibt sehr genaue Schätzungen über die Menge an Öl und Schwermetallen, die in das Grundwasser, in Flüsse, Bäche und Böden gelangt sind, aufgrund der mangelnden Vorsichts- und Umweltmaßnahmen, die Texaco hätte anwenden müssen.

Ich kenne den Begriff seit mehren Jahren, ab 2004 habe ich ihn gehört und kann den Ausdruck mittragen. Die Verschmutzung, die dadurch entstand, ist auf jeden Fall bedeutend größer als von manch anderer Öl-Leckage, zum Beispiel der von Exxon Valdez oder auch die BP-Katastrophe im Golf von Mexiko, weil sich die Verschmutzung über die Jahre akkumuliert hat.

Der Fall Chevron-Texaco hat eine lange Geschichte. Im Jahr 1993 wurde das Verfahren "Aguinda vs. ChevronTexaco" in New York eröffnet. Nach neunjährigem Prozess gelang es Chevron, den Fall an ein ecuadorianisches Gericht zu verweisen, weil sie hofften, dass die dortige Jurisdiktion "zu schwach sei, um den Fall zu verhandeln".

Der Fall wurde jedoch erfolgreich verhandelt. Im Jahr 2011 verurteilte das Gericht in Lago Agrio den Konzern zu einer Zahlung von 8,6 Milliarden Dollar. Später wurde die Summe mehr als verdoppelt, auf rund 18 Milliarden, weil sich der Ölmulti nicht wie in dem Urteil gefordert öffentlich entschuldigte. Wie kam es zu dieser Eskalation?

Es war die Verurteilung in zweiter Instanz. Der Gerichtshof hatte geurteilt, dass sich das Unternehmen innerhalb von zwei Wochen, nach der Verkündigung des Urteils entschuldigen müsse, sonst würde die Strafe erhöht. Chevron hat überhaupt nichts getan und zwei Wochen danach hat der Gerichtshof die Strafe fast verdoppelt, auf 18 Milliarden Dollar.

Wichtig ist – und das ist eine Nachricht vom 12. November 2013 – das neue und endgültige Urteil in dritter Instanz in Ecuador. Es ist das Urteil des obersten Revisionsgerichtes. Das Gericht hat das gesamte Gerichtsverfahren unter die Lupe genommen, um Fehler und Unstimmigkeiten mit der Verfassung zu prüfen. Das Urteil, das daraufhin gefällt wurde, ist unumstößlich. Es gibt keine Möglichkeit zur Berufung mehr.

Chevron wurde zu 9 Milliarden Dollar verurteilt; die Verdopplung der Summe aufgrund der Entscheidung der zweiten Instanz wurde nicht mehr wahrgenommen. Es steht jetzt fest, Chevron wurde zur Zahlung von 9,51 Milliarden Dollar - entsprechend dem jetzigen Währungskurs rund 7,07 Milliarden Euro – verurteilt. Das ist die höchste Strafe in der Geschichte des Umweltrechts weltweit.

Was hat sich seit der juristischen Erneuerung der Gerichtsbarkeit durch die Nationalversammlung im ecuadorianischen Rechtssystem verbessert?

Es hat nicht nur damit zu tun, sondern überhaupt mit einem neuen Prozess, der seit 2006 im ganzen Land im Gange ist; und zwar einem neuen politischen Prozess, der eine absolute Erneuerung sämtlicher politischer, administrativer und juristischer Instanzen Ecuadors hin zum Guten versucht.

Früher haben wir sehr große Probleme mit der Justiz gehabt. Mehr als eine Million Prozesse lagerten irgendwo auf Papier in den Kellern und die Leute warteten auf ihre Prozesse. Das hat sich jetzt geändert. Die Regierung hat in den vergangenen zwei Jahren eine sehr umfangreiche und große Veränderung des Justizwesens und dessen Administration erreicht. Die Lage der Leute, die dort arbeiten und die Prozeduren der Verwaltung wurden verbessert, es gibt neue Gebäude und die Anzahl der Richter wurde fast verzehnfacht auf rund 500 Leute.

Früher gab es das nicht, heute schon. Es ist eine Erneuerung der Verwaltung insgesamt. Ob das tatsächlich mit dem Urteil etwas zu tun hat, das würde ich nicht wagen zu bejahen. Ich glaube, es wurde ganz klar, dass dieses Urteil ein rechtmäßiges Urteil gegenüber dieser äußerst schlimmen Verseuchung ist, die dieses Unternehmen, das damalige Texaco, heute Chevron, in unserem Land verursacht hat.

Wie hat Chevron sich verhalten? Waren sie jemals zu einer Kooperation bereit oder torpedierten sie den Fall die ganze Zeit, um einen Präzedenzfall zu vermeiden?

Bis zum 12. November 2013 hat Chevron alle möglichen Machenschaften in die Wege geleitet, um überhaupt zu vermeiden, dass dieses Urteil gefällt wird und dass die ecuadorianische Justiz international nicht anerkannt wird. Jetzt können sie machen, was sie wollen, sie sind rechtskräftig verurteilt. In der Zwischenzeit gibt es mehrere Anzeichen, dass die Gerichte in den USA es doch auch bemerkt haben – es gibt jetzt mehrere Fälle, wo sie gegen Chevron in dieser Sache geurteilt haben. Aber das Unternehmen wird, glaube ich, weiterhin alles versuchen, um Ecuador Schaden zuzufügen.

Ende Januar 2013 gab ein argentinisches Gericht der ecuadorianischen Klägergemeinschaft Recht und verurteilte Chevron zu einer Schadenersatzzahlung. Das Urteil brachte die argentinische Regierung in die Bredouille, die mit Chevron ein Abkommen im Wert von 1,5 Milliarden US-Dollar zur Erschließung der Schiefergasvorkommen plant. Der Berufung des Konzerns wurde vom Obersten Gericht im Juni stattgegeben. Bahnt sich hier ein weiterer Präzedenzfall an? Wie sehen sie die Rolle Argentiniens?

Ich bin kein Anwalt, aber ich kann mir vorstellen, dass es ein Versuch ist, Chevron dazu zu zwingen, die Zahlung zu leisten. In Ecuador selbst haben sie keine Investitionen oder andere Güter, die verwertet werden könnten, das heißt also, man muss in die USA oder andere Länder gehen, wo das Unternehmen investiert und sie dort verklagen.

Der Fall geht nun in eine weitere Runde. Mit einem perfiden Dreh verklagt Chevron nun die ecuadorianischen Opfer der Umweltzerstörungen in den USA als Mitglieder des organisierten Verbrechens. Was ist davon zu halten?

Das ist eine absolute Unverschämtheit. Man kann doch überhaupt nicht Menschen in demselben Muster verurteilen, das für Leute der Mafia, also der organisierten Kriminalität, geschaffen wurde. Hier werden nun einige einfache Bauern kriminalisiert, die über fast zwanzig Jahre versucht haben, ihr Recht gegenüber Chevron durchzusetzen. Das ist nicht nur eine Unverschämtheit, es zeugt auch von absolutem Unwissen.

Chevron akzeptiert die rechtskräftige Verurteilung nicht. Das Unternehmen klagt nun sogar von Washington aus gegen den Staat Ecuador wegen "Verletzung des bilateralen Investionschutzvertrages" mit den USA. Welche Konsequenzen kann das haben?

Chevron versucht Ecuador anzuklagen, um zu erreichen, dass der ecuadorianische Staat die Zahlungen gegenüber den indianischen Gemeinden übernimmt, die eigentlich Chevron zahlen müsste. Das geht aber nicht, denn es handelt sich hier um einen privaten Prozess, der Staat steht jenseits davon. Es handelte sich um einen Prozess zwischen zwei privaten Akteuren. Chevron will jedoch aufzeigen, dass sie damals nicht genügend Rechtshilfe vom ecuadorianischen Staat bekommen haben. Die Argumentation ist unsinnig und stützt sich auf die BIT (Bilateral Investment Treaty) – also ein Abkommen zum Schutz von Investitionen. Ecuador hat diese Abkommen mit den USA 1995 unterzeichnet, rechtskräftig wurde es im folgenden Jahr.

Bereits 1992 hat Chevron all seine Operationen in Ecuador aufgegeben und nun versucht die Firma das Unglaublichste, was man juristisch überhaupt probieren kann, nämlich die aktuelle Rechtslage rückwirkend für seinen Fall geltend zu machen. Der Vertrag, auf den sich Chevron bezieht, existierte zu der Zeit, als Texaco in Ecuador aktiv war – zwischen 1967 und 1992 – überhaupt nicht. Es gab keinen Schutzvertrag zwischen Ecuador und den USA. Wie kann man also ein Gesetz benutzen, was noch gar nicht existierte, um den Staat anzuzeigen?

Ecuador hat nun eine Revision sämtlicher bilateraler Verträge angestrengt. Ende des Jahres wird dieser Prozess abgeschlossen sein und man wird sich weiter entscheiden. Laut unserer Verfassung müssen solche Abkommen zum Investitionsschutz gekündigt werden.