Es ist ein Buch, das bereits vor seinem Erscheinen Kontroversen ausgelöst hat: das Werk der Schweizer Nichtregierungsorganisation MultiWatch über den Rohstoffkonzern Glencore Xstrata, der sich vor kurzem wieder in Glencore umbenannt hat. Wegen des ursprünglich vorgesehenen Buchtitels "Drecksgeschäfte – Milliarden mit Rohstoffen" drohte Glencore mit einer Klage wegen Rufschädigung. Um einen langwierigen Rechtsstreit zu verhindern, der das Erscheinen des Buches hätte verzögern können, entschied MultiWatch, den Begriff aus dem Titel zu entfernen, der auf die Zwielichtigkeit gewisser Geschäfte des Unternehmens hinweisen wollte.
Trotz dieser Anpassung bleibt das Buch brisant. Dies nicht etwa, weil es Fakten ans Licht brächte, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich wären. Das Neue ist, dass erstmals in kompakter Buchform die sensibelsten Bereiche der Konzerntätigkeit – Arbeitskonflikte, Umweltprobleme und soziale Auseinandersetzungen – in den Rohstoffabbaugebieten beschrieben werden.
Das Buch bietet auch einen Überblick über die Unternehmensgeschichte von Glencore, die Konzentrationsprozesse im internationalen Rohstoffmarkt und den Aufstieg der Schweiz zur Drehscheibe im transnationalen Handel mit Rohstoffen. So rangierte nach der Fusion der Handels- und Produktionsgesellschaft Glencore mit dem Bergbauunternehmen Xstrata im Jahr 2013 der neugeschaffene Konzern auf dem 12. Platz der weltweit größten Unternehmen. Glencore und Xstrata erwirtschafteten 2012 bei einem Gesamtumsatz von 236 Milliarden US-Dollar einen Gewinn von 12,9 Milliarden. Der fusionierte Großkonzern ist damit – wenn man von den Großbanken UBS und Credit Suisse absieht – die größte Firma der Schweiz, weit vor Giganten wie dem Nahrungsmittelmulti Nestlé oder den Pharmariesen Novartis und Roche.
Das Hauptaugenmerk der Autorenschaft liegt auf den Konflikten und Widerständen, welche die rücksichtslose Geschäftspolitik dieses Großkonzerns in den Abbauländern hervorruft. Als Beispiel mag die weltweit größte Kohletagebaumine El Cerrejón im Norden Kolumbiens herhalten, die seit 1995 im Besitz Glencores ist. Auf dem fast 70.000 Hektare großen Gebiet werden pro Jahr über 30 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Über 10.500 Arbeiterinnen und Arbeiter werden in der Mine beschäftigt, mehr als die Hälfte davon sind über Subunternehmen angestellt Leiharbeiter.
Diese arbeiten unter prekären Bedingungen und genießen ungenügenden Gesundheitsschutz, weshalb es zu einer Häufung von Atemwegserkrankungen aufgrund der schweren Kohlestaubbelastung gekommen ist. 2013 wurden die Verträge der Leiharbeiter während eines Streiks der Belegschaft kurzerhand suspendiert, womit diese mehrere Wochen von der Arbeit ausgesperrt blieben. Gleichzeitig berichteten Streikführer über Drohungen per SMS und die Präsenz bewaffneter Personen in der Nähe ihrer Wohnhäuser. Klagen von Gewerkschaften über mangelnde Verhandlungsbereitschaft seitens von Glenocre, Entlassungen von aktiven Gewerkschaftsmitgliedern und offene Drohungen sind eine Konstante, die sich durch das Buch zieht – egal ob von den Glencore-Abbaustätten in Kolumbien, Peru, Sambia oder Australien die Rede ist.
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Auch bezüglich der Umweltverschmutzung stellt MultiWatch dem Unternehmen ein schlechtes Zeugnis aus. Massive Eingriffe in die Landschaft – etwa durch den Kohlebergbau – führen zu Veränderungen in Ökosystemen, Desertifikation des Bodens und Verschlammung von Flüssen. Durch Schwermetalle werden Böden und Trinkwasserreserven verschmutzt, was für lokale Bevölkerungen ein Gesundheitsrisiko darstellt und die Landwirtschaft beeinträchtigt. Bei alledem, so MultiWatch, zeige Glencore eine ungenügende Bereitschaft, Anwohnerinnen und Anwohner zu schützen oder zu entschädigen.
Dasselbe gilt für den Umgang mit sozialen Konflikten, etwa im Zusammenhang mit Umsiedlungen von Dorfgemeinschaften zugunsten neuer Erschließungsgebiete für Kohle oder Mineralien. Ein Vorwurf an Glencore lautet, der Konzern würde mit sogenannten "Entwicklungsprojekten" jeweils Teile der ansässigen Bevölkerung begünstigen, die Gemeinschaften spalten und die entstehenden Konflikte für seine Geschäftsinteressen ausnutzen. Zudem wird auf die Problematik hingewiesen, dass staatliche Repressionsorgane mithilfe von Gewalt und speziellen Anti-Terror-Gesetzen die Interessen von Glencore gegen die eigene Bevölkerung zu verteidigen pflegen. Auch hier ähneln sich die Berichte aus Kolumbien, Peru, Argentinien und den Philippinen in frappanter Weise.
Als Fazit lässt sich ein Satz zitieren, der vielleicht erklären kann, weshalb Glencore die Veröffentlichung des Buches zu blockieren suchte und der Herausgeberschaft auch nach dem Erscheinen mit rechtlichen Schritten gedroht hat: "Die Konflikte ähneln sich in auffälliger Weise, Anwohner und Minenarbeiter in verschiedenen Abbauländern klagen über dasselbe Geschäftsgebaren von Glencore Xstrata, über dieselbe Arroganz, mit der der Konzern über Rechte und Interessen der Menschen hinweggeht. In der Art, wie die lokale Bevölkerung übergangen, ungenügend informiert oder wie Zustimmung zu Entwicklungsprojekten ‘erkauft‘ wird, scheint sich ein Muster zu wiederholen."
Doch die Autoren machen auch hoffnungsvolle Zeichen aus. Durch die gestiegene Bedeutung des Rohstoffhandels sei – zumindest in der Schweiz – auch das öffentliche Interesse an den daran beteiligten Firmen gestiegen. Indigene Gemeinschaften forderten in den Abbaugebieten überall auf der Welt ihr Mitbestimmungsrecht ein und Gewerkschaften begännen, sich zur Verteidigung der Rechte der Arbeitnehmenden zu vernetzen. Ein verstärkter Druck der Öffentlichkeit sei notwendig, so MultiWatch, um Unternehmen wie Glencore zur Einhaltung von sozialen und Umweltstandards zu zwingen und die Diskussion um die Problematik der Rohstoffausbeutung breit zu führen. Das vorliegende Buch dürfte dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
MultiWatch (Hg.): Milliarden mit Rohstoffen. Der Schweizer Konzern Glencore Xstrata, Verlag edition 8, Zürich 2014, 187 Seiten, 19,80 Euro