Indigene Gemeinden in Guatemala im Kampf um ihre Rechte

Im Namen nachhaltiger Energiegewinnung wird die Übernahme von Land und Ressourcen in indigenen Gebieten durch transnationale Unternehmen gefördert

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Die Mitglieder der Plurinationalen Regierung, Rigoberto Juárez Mateo und Domingo Baltazar, in einer Gefängniszelle in Guatemala-Stadt
Die Mitglieder der Plurinationalen Regierung, Rigoberto Juárez Mateo und Domingo Baltazar, in einer Gefängniszelle in Guatemala-Stadt

Zurzeit sind in Guatemala zehn Menschenrechtsaktivisten aus dem Norden Huehuetenangos in Haft. Laut ihren Aussagen und denjenigen der Angehörigen und Bekannten in ungerechtfertigter Weise. Insgesamt wurden 20 Anführer des Widerstands verhaftet und verbrachten Monate im Gefängnis bzw. befinden sich immer noch hinter Gittern.

Die Auseinandersetzungen haben dramatisch zugenommen. Die Unternehmen versuchten zunächst, die Gemeinden für sich zu gewinnen. Wo sie auf Widerstand stießen, scheuten sie sich nicht, ihr Sicherheitspersonal auch gewaltsam gegen die Widerstandsbewegung einzusetzen und die Aktivisten zu bedrohen. Mit dieser zweigleisigen Strategie schafften sie es, die Gemeinden in Befürworter und Gegner der Projekte zu spalten. Obwohl es nur wenige gewalttätige Aktionen gegen die Projekte gab, wird die zum Großteil friedliche Widerstandsbewegung angeschuldigt und kriminalisiert, viele ihrer Aktivisten wurden angeklagt und verhaftet, einige ermordet. Die Regierung beteiligte sich an diesem Konflikt, indem sie die Polizeikräfte in der Region aufstockte und sogar eine aufgrund der Friedensvereinbarungen mit der Guerilla vor Jahren geschlossene Militärbasis wieder eröffnen ließ. Diese Kräfte setzte die Regierung zur Niederschlagung der Proteste und zur Durchsetzung der Unternehmensinteressen.

In diesem Jahr gab es bereits mindestens zwei Tote, die beiden Aktivisten wurden zuerst entführt und Tage später mit Folterspuren tot in einem Feld entdeckt. Die ganzen Versuche, den Widerstand zu brechen, seien das Werk der drei Wasserkraftunternehmen Hidro Santa Cruz S.A., Promoción de Desarrollos Hídricos S.A. (PDH) und Cinco M S.A., so die Betroffenen.

Beginn des Konflikts

Im Fall des Widerstands von Santa Cruz Barillas gegen den Bau von Wasserkraftwerken dauert der Konflikt nun schon sieben Jahre an. 2007 wurde dort eine Gemeindebefragung durchgeführt, in der sich die Einwohner gegen Bergbau- und Großprojekte auf ihrem Territorium aussprachen. Trotzdem begann das Unternehmen Hidro Santa Cruz 2008 mit Arbeiten zum Wasserkraftwerk Cambalam I. Das Unternehmen konsultierte und informierte die Bevölkerung nicht.

Seit 2008 sind zu dem Wasserkraftprojekt Cambalam in Barillas von Hidro Santa Cruz noch fünf weitere Projekte in den Gemeinden San Mateo Ixtatán und Santa Eulalia hinzugekommen.

Die Konfrontationen zwischen der Bevölkerung und dem Unternehmen begannen 2009. Die Bevölkerung hinderte Ingenieure des Unternehmens an der Durchfahrt auf von den Gemeinden gebauten Schotterstraßen und verlangte von diesen Auskunft, warum sie als Fremde auf dem Gemeindegebiet unterwegs seien. Die angespannte Situation wurde laut den anwesenden Gemeindemitgliedern durch Vermittlungsversuche eines Anführers aufgelöst. Das Unternehmen reichte jedoch eine erste Anzeige wegen Entführung, illegalen Festhaltens und Nötigung gegen sechs Gemeindemitglieder ein. Seitdem häufen sich die Auseinandersetzungen, vor allem mit dem Sicherheitspersonal des Wasserkraftwerksunternehmens. Im März 2012 besetzten Anwohner die Zufahrt zum Projekt und setzten Baumaschinen des Unternehmens in Brand. Die Proteste gegen das Wasserkraftwerk nahmen weiter zu.

Die Situation war sehr angespannt, als bei einem Volksfest am 1. Mai 2012 drei Männer, die am abgesperrten Unternehmensgelände vorbeiliefen, vom Sicherheitspersonal beschossen wurden. Andrés Francisco Miguel starb, Esteban Bernabé Mateo und Pablo Antonio wurden verletzt. Der Präsident Guatemalas ließ daraufhin den Ausnahmezustand ausrufen. Neun Personen wurden noch vor dessen Inkrafttreten verhaftet und blieben acht Monate in Untersuchungshaft. Nach Aussagen der Arbeitsgruppe zu willkürlichen Verhaftungen des Menschenrechtsrates der UNO sind sowohl die Festnahmen eigenmächtig wie auch die Verhängung des Ausnahmezustands nicht konform mit dem Internationalen Pakt über Bürger- und politische Rechte.

Ebenfalls Opfer der Kriminalisierung ist ein weiteres Gemeindemitglied und Anführer des lokalen friedlichen Widerstands, Rubén Herrera. Er wurde im März 2013 in Untersuchungshaft genommen und der Entführung, des Hausfriedensbruchs und der Anstiftung zum Verbrechen angeschuldigt. Er sei der Anführer gewesen, als 2009 Personal des Wasserkraftunternehmens festgehaltenen worden sei. Anwesende bei dieser Konfrontation hingegen bezeugen, dass Rubén Herrera erst später hinzukam und vermittelnd auf die Anwesenden einwirkte. Erst rund zwei Monate nach seiner Verhaftung fand eine Anhörung statt, in der selbst die Staatsanwaltschaft seine Freilassung aufgrund ungenügender Indizien und fehlender Beweise forderte. Am gleichen Tag wurde er vorläufig auch von weiteren Anklagen gegen ihn freigesprochen. Bis heute sind die Gerichtsverfahren noch anhängig. Herrera äußerte in verschiedenen Interviews, dass die Prozesse und die Untersuchungshaft nicht nur physische und psychische Schäden hinterlassen hätten, sondern sich auch deutlich auf seine Familie und seine finanzielle Situation auswirkten.

Langjährige Haftstrafen

Im November 2014 wurden zwei Aktivisten zu je 33 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein erstes Mal wurden sie zusammen mit sieben anderen Gemeindemitgliedern am 2. Mai 2012 nach der Ermordung von Andrés Francisco Miguel für acht Monate in Untersuchungshaft gehalten, weil sie an den Unruhen nach der Ermordung ihres Mitbürgers teilgenommen hätten. Als sich die insgesamt neun Angeschuldigten am 27. August 2013 für den vorgesehenen Abschluss des Anklageverfahrens im Gerichtsgebäude in Huehuetenango einfanden, wurden die zwei erneut verhaftet. Die neue Anklage lautete nun auf zweifachen Mord, der 2010 begangen worden sein soll.

Die Anklage bezieht sich auf das Lynchen von zwei mutmaßlichen Dieben durch eine große Menschenmenge in Santa Cruz Barillas. Saúl Méndez und Rogelio Velásquez verneinen jegliche Beteiligung an diesen Lynchmorden und versichern, dass es sich um eine Verfolgungspolitik des Wasserkraftunternehmens Hidro Santa Cruz handele.

Das Gerichtsverfahren baute auf widersprüchlichen Zeugenaussagen auf, die nicht mit der von der Staatsanwaltschaft präsentierten Faktenlage übereinstimmten. Das Gericht erkannte die defizitäre Untersuchung des Vorfalls durch die Staatsanwaltschaft an, sodass eine Beteiligung am Mord nicht eindeutig zu beweisen war. Trotzdem wurden die zwei Aktivisten wegen Beteiligung an den Morden verurteilt. Das Berufungsgericht hat Rechtsmittel wegen Verfahrensmängeln eingeleitet. Ende April 2015 soll die erste öffentliche Anhörung stattfinden. Bis dahin werden die zwei Männer schon 20 Monate im Gefängnis sein.

Anfang dieses Jahres spitzte sich der Konflikt weiter zu. Die Gemeindemitglieder von Barillas, San Mateo Ixtatán und Santa Eulalia erfuhren, dass ein großer Polizeikonvoi nach Huehuetenango unterwegs war. Sie wappneten sich gegen neue Übergriffe. Frühmorgens am 20. Januar führte ein massives Polizeiaufgebot mit Unterstützung durch das Personal des Wasserkraftunternehmens PDH Hausdurchsuchungen durch, um zehn Verhaftungen durchzusetzen. Unter Einsatz von Tränengas wurden zwei Aktivisten verhaftet. Diese wurden direkt mit einem Helikopter in den cirka 65 km entfernten Distrikthauptort Huehuetenango geflogen. Knapp zwei Monate zuvor waren die zwei Verhafteten vom Personal des Wasserkraftunternehmens PDH mit Macheten angegriffen worden.

Die aufgebrachte Bevölkerung von San Mateo Ixtatán machte sich auf den Weg zum 36 Kilometer entfernten Bezirksgericht in Santa Eulalia, um die Übergriffe der Polizei anzuzeigen. Der Richter war unauffindbar. Es fanden sich bis zu 500 Gemeindemitglieder im Städtchen ein und drohten mit einer Protestaktion, wenn sich der Richter nicht einfinde, um ihre Forderungen anzuhören. In der Zwischenzeit bildete der Bürgermeister von Santa Eulalia eine Gruppe von Befürwortern der Wasserkraftwerke und bedrohte wiederholt die Repräsentanten des Widerstands. Nach Mitternacht fand sich der Richter ein. In einer über zwei Stunden dauernden Anhörung beschloss er die Freilassung der zwei Verhafteten. Als die Angehörigen und anwesenden Gemeindemitglieder gegen vier Uhr früh über die Resultate der Gerichtsverhandlung informiert wurden, fuhr der Bürgermeister vor und schoss in die Menge. Dabei wurden zwei Männer schwer verletzt, einer von ihnen starb zwei Monaten später im Krankenhaus.

Kurz darauf schloss der Bürgermeister mit einer bewaffneten Truppe von rund 100 Mann die kommunale Radiostation, die seit Jahren die einzige Informationsquelle der abgelegenen Weiler ist und regelmäßig über die Auseinandersetzungen und Hintergründe im Wasserkonflikt berichtete. Bis heute wird die Radiostation bewacht und ihre Wiedereröffnung vom Bürgermeister verhindert.

Kriminalisierung der Bevölkerung, die ihre Rechte auf Leben, Land und Rohstoffe verteidigt

Das Justizsystem wird von Unternehmen und Regierung benutzt, um Gerechtigkeit hinauszuzögern oder Menschenrechtsaktivisten zu kriminalisieren. Der Menschenrechtsombudsmann hat in seinem Jahresbericht 2014 festgehalten, dass die Staatsanwaltschaft das Strafgesetz zu organisierter Kriminalität gegen Menschenrechtsaktivisten anwendet und Anklagen auf "terroristische Aktivitäten" abstützt. Die Aktivisten im Kampf um ihre Rechte würden unrechtmäßig beschuldigt und in Untersuchungshaft genommen. Ihre Kriminalisierung äußere sich im Missbrauch des Strafgesetzes. Ermittlungen würden verzögert und Anhörungen verschoben, bis endlich die Anklage fallen gelassen wird, weil keine Beweise vorliegen.

Etliche nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen haben den Präsidenten Guatemalas, Otto Pérez Molina, die Generalstaatsanwältin, den Menschenrechtsombudsmann und das Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Guatemala aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass die Verfolgung der Aktivisten eingestellt, die Verhafteten dem Richter zugeführt und die internationalen Abkommen wie das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit, die Rechte der indigenen Völker, das Gleichbehandlungsrecht und das Recht auf faire Verfahren respektiert werden.

Die Regierung reagierte nicht auf die Forderungen der betroffenen Bevölkerung und der Menschenrechtsorganisationen, sondern setzte weiter auf die Verfolgung durch die Justiz.

Am 10. April wurden die zwei Anführer der Plurinationalen Regierung der Völker Huehuetenangos, Rigoberto Juárez Mateo und Domingo Baltazar, erneut in Guatemala-Stadt dem Richter aus Santa Eulalia vorgeführt. Dieses Mal ging es um das widerrechtliche Festhalten des Justizpersonals am 20. Januar. Ihre Verteidigung verlangte jedoch die Ersetzung des Richters wegen Befangenheit, da seine Angestellten die Kläger seien. Am selben Tag erfolgte eine Anhörung der fünf Aktivisten, die des Festhaltens vom Personal des Wasserkraftwerksunternehmens im April 2013 angeklagt wurden. Dieses Verfahren wurde nun nach Guatemala-Stadt ans Hochrisikogericht verlegt, da das lokale Justizpersonal durch Angriffe der Bevölkerung Santa Eulalias gefährdet sei. Die neue Strategie scheint, die Prozesse fernab von der konfliktiven Region durchzuführen.