Peru / Politik

Peru: Die neueste Saga des unregierbaren Landes

Peru schlittert von Krise zu Krise, von Skandal zu Skandal, von Präsident zu Präsident. Mit dem Amtsantritt Castillos schien es so, als könnte sich die Geschichte ändern. Aber nein

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Pedro Castillo bei seiner Rede am 7. Dezember
Pedro Castillo bei seiner Rede am 7. Dezember

Als Pedro Castillo sein Amt antrat, war die Frage nicht, wie es laufen würde, sondern wie lange. Und dann kam wie aus dem Nichts der Epilog einer lange angekündigten Chronik. Nach nur 16 Monaten Amtszeit, die gekennzeichnet waren durch die ständige Belagerung seitens der faktischen Machthaber, aber auch durch seine permanente Desorientierung, schoss sich Castillo selbst ins Bein und wurde zu einem weiteren Wegwerf-Präsidenten, zersetzt von der chronischen Fäulnis des peruanischen politischen Systems, versunken in einem traurigen und einsamen Ende.

Für vergangenen Mittwoch war eine neue Abstimmung im Kongress angesetzt, um ihn abzusetzen. Es war der dritte Versuch der Rechten, ihn mit diesem außergewöhnlichen Instrument der "Vakanz aufgrund ständiger moralischer Unfähigkeit" zu stürzen. Sie brauchten 87 Stimmen und alles wies darauf hin, dass sie die nicht zusammenkriegen würden. Doch der Präsident griff dem vor und verkündete am Mittag mit zitternder Stimme und zitternden Händen in einer Fernseh- und Rundfunkansprache die Schließung des Kongresses, die Regierung "per Dekret", eine Ausgangssperre und die Einberufung neuer Parlamentswahlen innerhalb von vier  Monaten.

In Peru ist es legal, das Parlament aufzulösen, wenn es dem Präsidenten zweimal hintereinander das Vertrauen verweigert, was jedoch nicht geschehen war. Deshalb wurde der Schritt Castillos allgemein als "Selbstputsch" im Stil von Alberto Fujimori 1992 ausgelegt. Die Ablehnung ging quer durch das politische Spektrum. "Erst hat er das Versprechen des Wandels verraten, für das das Volk gestimmt hat, und jetzt putscht er wie der Fujimorismus. Castillo soll gehen! Sie sollen alle abhauen!", twitterte die Mitte-Links-Politikerin Verónika Mendoza. Der Vorsitzende von Perú Libre (der Partei, die ihn ins Präsidentenamt brachte und ihn später ausschloss), fasste das Manöver so zusammen: "Castillo hat überstürzt gehandelt, es gab nicht genug Stimmen für die Vakanz".

Aber nicht nur seine ehemaligen Verbündeten wiesen ihn zurück, auch seine Minister verließen einer nach dem anderen das Schiff, und sogar seine eigene Vizepräsidentin, Dina Boluarte, stellte sich gegen ihn: "Ich lehne die Entscheidung von Pedro Castillo ab, den Zusammenbruch der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Schließung des Kongresses zu betreiben. Es handelt sich um einen Staatsstreich, der die politische und institutionelle Krise verschärft, die die peruanische Gesellschaft unter strikter Einhaltung des Gesetzes überwinden muss".

Das Kommuniqué der Streitkräfte und der Nationalen Polizei, das den Schritt als "Verstoß gegen die Verfassung" bezeichnet, den sie nicht hinnehmen würden, besiegelte dann das Schicksal Castillos, der Stunden später im Kongress mit 101 Stimmen der 130 Abgeordneten abgesetzt wurde. Seine Amtsenthebung, die unter anderen Umständen wegen der Dürftigkeit der formellen Anschuldigungen nach einem "parlamentarischen Putsch" gerochen hätte, endete wegen seines unbedachten Versuch eines Gegenangriffs viel komfortabler als erwartet und mit größerer Legitimität.

Der schwindelerregende Tag ging weiter mit der Vereidigung von Dina Boluarte, der ersten weiblichen Präsidentin Perus und der sechsten Person, die sich in den letzten sechs Jahren die Schärpe anlegt. Die Linkspolitikerin, 60-jährige Anwältin, die Perú Libre ebenfalls verlassen hatte, erbat in ihrer Antrittsrede flehentlich "eine politische Waffenruhe": Sie weiß, dass sie mit den Beschränkungen eines pseudoparlamentarischen Systems regieren muss, das so sehr an Absetzungs-Offensiven gewöhnt ist.

Seit mindestens zwei Jahrzehnten schlittert Peru von Krise zu Krise, von Skandal zu Skandal, von Präsident zu Präsident. Die letzten sieben gewählten Präsidenten (seit 2000) wurden abgesetzt und/oder landeten im Gefängnis, mit Ausnahme von Alan García, der sich vor seiner Verhaftung selbst erschoss.

Mit dem plötzlichen Antritt eines Präsidenten aus dem Landesinneren Perus, ein Landlehrer und Gewerkschaftsführer, schien es so, als könnte sich die Geschichte ändern. Dass endlich die Zeit für die populare Revanche und das Ende der langen neoliberalen Nacht gekommen ist. Aber nein. Vom Establishment bedrängt, das ihm von der ersten Minute an den Krieg erklärte, gab Castillo seine Versprechungen zu grundlegenden Veränderungen auf und blieb stecken in seinem unklaren Verhalten, seinen vermeidbaren Fehlern und seiner Unfähigkeit, den Konflikt zu handhaben. Gefangener der ständigen Improvisation (er berief 75 Minister in weniger als anderthalb Jahren) und wegen Korruptionsfällen beschmutzt, wie alle seine Vorgänger.

So endet ein neues Kapitel auf dem bizarren Weg der schwachen peruanischen Demokratie, mit einem weiteren Präsidenten, der eine historische Chance vertan hat ‒ aufgefressen von einem unregierbaren Land.