Seit 2023 habe die "Comisión Presidencial para la Paz y el Entendimiento" (CPPyE, "Präsidialkommission für Frieden und Verständigung") "unermüdlich, Woche für Woche" gearbeitet, um die Landforderungen der Mapuche systematisch zu erfassen und dem Präsidenten konkrete Empfehlungen für die Konfliktlösung vorzulegen. Boric sagte, er nehme das Dokument "mit großer Hoffnung auf die Ergebnisse" entgegen und betonte, dass die Arbeit der Kommission zeige, "dass es sich nicht um ein unermessliches oder unlösbares Problem handelt – trotz der Zeit und des Leids, das es verursacht hat."
Die Kommission, die durch ein Präsidialdekret vom 21. Juni 2023 gegründet wurde, wird vom Subsekretär des Innenministeriums und studiertem Psychologen Víctor Ramos Muñoz, geleitet. Die weiteren sieben Mitglieder sollen als repräsentativer Querschnitt aus politischen Institutionen, indigenen Organisationen, sozialen Bewegungen und landwirtschaftlichen Verbänden kommen.
Mit der Rückendeckung von 19 Kongressparteien sowie der Unterstützung vom System der Vereinten Nationen (SNU) und einer internationalen Referenzgruppe aus 13 Ländern hatte sich die Kommission als "transversales Projekt" jenseits parteipolitischer Interessen bezeichnet.
Auf Basis von 150 Anhörungen, 14 Online-Einreichungen, 11 Dialogveranstaltungen und 58 selbstorganisierten Treffen gelingt es der Kommission, fünf Kernthemen des Konflikts zu diagnostizieren: Anerkennung, Entschädigung, Landansprüche, regionale Entwicklung und Institutionalisierung. Die Analyse dieser Schwerpunkte legt die Ursachen des verworrenen Konflikts offen und übersetzt sie abschließend in einen 21-Punkte-Plan mit konkreten Empfehlungen.
Das Ergebnis der Kommission lautet, dass eine bloße symbolische Anerkennung, wie die Entschuldigung von Ex-Präsidentin Michelle Bachelet im Jahr 2017, nicht genügen würde, um langfristigen Frieden im Land herzustellen. Stattdessen bedürfe es einer konstitutionellen Anerkennung indigener Gruppen, die ihre Sprache, Kultur, Lebensweise und das Recht auf Selbstverwaltung einbeziehe. Diese Forderung besteht de facto seit 1989 mit dem Abkommen von Nueva Imperial und wurde seither immer wieder aufgegriffen, zuletzt im gescheiterten Referendum von 2022/23, welches eine plurinationale Verfassung vorbereiten sollte, die die Rechte der indigenen Völker verankert hätte.
Der Konflikt zwischen chilenischem Staat und Mapuche geht auf den Verlust von Wallmapu, dem historischen Gebiet der Mapuche, im 19. Jahrhundert zurück. In den 1840er- und 50er-Jahren erwarben chilenische und europäische Siedler mit staatlicher Unterstützung große Landflächen, häufig unter dubiosen Bedingungen und begleitet von Preis- und Marktverdrängung. Nachdem die chilenische Regierung im Rahmen eines militärischen Eroberungsfeldzuges ("Ocupación de la Araucanía") die Mapuche auf verkleinerte "Reduktionen" umgesiedelt hatte, vergab sie zwischen 1884 und 1929 Landtitel, sogenannte "Títulos de Merced", um die Umsiedlungspolitik zu formalisieren.
Viele dieser Gebiete wurden später unter fragwürdigen bis eindeutig illegalen Umständen enteignet – durch Betrug im Urkundenprozess, doppelte Vergabe derselben Flächen, fehlerhafte Vermessungen und sprachliche Barrieren, die es den Mapuche erschwerten, ihre Rechte zu verstehen und zu verteidigen. Die Kommission betont erstmalig, dass es die historischen Vertrauensbrüche des Staates nach der Unabhängigkeit von Spanien sind, wie der Bruch mit dem Parlament von Tapihue (1825) und die systematische Übertragung von Mapuche-Land an nicht-indigene Eigentümer, die den Konflikt lebendig halten.
Seit 1993 verwaltet die Conadi ("Corporación Nacional de Desarrollo Indígena") die "Títulos de Merced", um Landrückgaben an indigene Gemeinschaften zu koordinieren und zu subventionieren. Doch aufgrund ihrer Doppelrolle zwischen Regierungsbehörde und indigener Interessenvertretung steht sie seit Jahren in Kritik. So könne ein einzelnes Verfahren zur Landrückgabe bis zu 20 Jahre dauern. Zwischen 80 und 162 Jahre sowie 377.334 Hektar Land im Wert von rund 3,11 Milliarden US-Dollar wären damit erforderlich, um die Landnachfrage der Mapuche zu decken, was eine gewaltige Herausforderung für den chilenischen Staat darstellt. Bisher hat die Conadi rund 230.563 Hektar (61 Prozent) verteilen können.
Während die Verfahren stocken, gleitet das Land jenen aus den Händen, die es am dringendsten benötigen: In den Regionen Biobío, Araucanía, Los Ríos und Los Lagos, den ärmsten Gebieten Chiles, schnellen die Landpreise durch Marktverzerrungen in die Höhe. Für indigene Gemeinschaften wird der Erwerb von Land dadurch nahezu unerreichbar. Die Araucanía ist mit 3,3 Prozent die Region mit der dritthöchsten Quote extremer Armut. Mapuche-Haushalte sind überproportional betroffen: Ihr Durchschnittseinkommen liegt um 42 Prozent unter dem nationalen Durchschnitt.
Gleichzeitig konstatiert der Bericht, dass der Conadi bereits 40.000 Hektar Land aufgrund administrativer Fehler und unklarer Besitzverhältnisse verloren gegangen sind. Dies liege an den verschiedenen Interessengruppen (z.B. Forstunternehmen, Landwirte, Nicht-indigene Siedler), die Ansprüche auf die eingetragenen Ländereien erheben. Die unklaren Besitzverhältnisse führen laut Kommission seit 1997 immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Zwischen 2013 und 2024 wurden 8.926 Gewalttaten registriert, die sich vor allem an Landwirte, Kleinunternehmer und Anwohner der "Zona Roja" richten. Das Innenministerium bietet den Opfern ländlicher Gewalt zwar finanzielle Hilfe, jedoch – so schlussfolgert die Kommission – fehlen psychologische, juristische und soziale Unterstützung. Zusätzlich habe die Ausweitung von Forstmonokulturen und die Schaffung von Naturschutzgebieten die Spannungen verstärkt, da sie oft auf Flächen stattfinden, die von den Mapuche als traditionelles Siedlungs- und Kulturland beansprucht werden.
Auch die wirtschaftliche Entwicklung leide unter dem Landkonflikt. Da die Conadi produktive Landflächen an indigene Gemeinschaften übertragen habe, ohne jedoch nachhaltige wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen, blieben Investitionen und Entwicklungsprogramme oft aus, was die landwirtschaftliche Produktivität schmälere und die Armut in der Region vertiefe. Sichtbar wird dies in der Araucanía, wo sich die landwirtschaftlich nutzbare Fläche in den letzten fünf Jahren von 300.000 auf 190.000 Hektar verringert hat – nicht zuletzt aufgrund der Angriffe auf landwirtschaftliche Betriebe. Eine mangelhafte Anbindung an öffentliche Dienstleistungen und Märkte, der begrenzte Zugang zu Wasser und die unzureichende Energieversorgung behindern zusätzlich die Einführung moderner Technologien und nehmen der Region ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Die Kommission weist darauf hin, dass es in der Geschichte Chiles – mit Ausnahme des Verfassungsprozesses 2022 – nie eine angemessene parlamentarische Vertretung für indigene Völker gab. Auch im Kongress bleibt die indigene Bevölkerung mit weniger als zwei Prozent der Sitze stark unterrepräsentiert.
Auf Grundlage dieser Diagnostik hat die Kommission einen 21-Punkte-Plan mit konkreten Empfehlungen entwickelt:
Der erste Block der Empfehlungen orientiert sich stark am Übergang vom zentralistischen Nationalstaat zum plurinationalen Staat. Indigene sollen nicht Bürger mit Sonderrechten sein, sondern eigenständige "Völker" mit historischen Rechten, die sich aus ihrer jahrhundertealten Präsenz auf dem Gebiet Chiles ableiten.
So empfiehlt die Kommission, die Verfassung so zu reformieren, dass die indigenen Gruppen Chiles als präkolumbische Gemeinschaften anerkannt werden. Namentlich sollen Mapuche, Aymara, Rapa Nui, Atacameño, Quechua, Colla, Diaguita, Chango, Kawésqar, Yagán und Selk'nam aufgeführt werden und ihre kollektiven und individuellen Rechte damit unantastbar gemacht werden.
Dafür soll auch der monolithische Begriff "indigene Gemeinschaften", der auf eine moderne Bürokratie gemünzt ist, im "Ley Indígena" so erweitert werden, dass die traditionellen Organisationsformen der Mapuche (z.B. Lof, Rewe, Ayllarewe) anerkannt werden. Zur sprachlichen und kulturellen Revitalisierung empfiehlt die Kommission eine Stärkung der Institutionen, Bildungsprogramme und Kulturprojekte. Die Sprache der Mapuche, das Mapudungun sowie ihre Geschichte und spirituellen Traditionen sollen fest in den Lehrplänen verankert werden und damit kein exotisches Beiwerk sein, sondern integraler Bestandteil des kulturellen Erbes.
In diesem Sinne scheint das organisatorische Herzstück des 21-Punkte-Plans eine Reform des bisherigen Modells zur indigenen Repräsentation zu sein. So soll einerseits die politische Repräsentation indigener Völker auf nationaler Ebene durch einen "Rat der Völker" ("Consejo de Pueblos") gestärkt werden und andererseits ein "neues, hochrangiges Organ" auf staatlicher Ebene geschaffen werden, das für den direkten Dialog zwischen indigenen Gemeinschaften und Staat verantwortlich ist.
De facto bedeutet dies die schrittweise Entmachtung der Conadi, die seit 1993 für indigene Landrechte und Vertretung zuständig war. Diese solle in einer "Übergangsphase" bestehen bleiben. Doch ihre Aufgaben würden auf eine technische Unterstützungsfunktion reduziert, während die neu geschaffene Institution die Verantwortung für Landfragen und politische Repräsentation übernehme.
Eine Agentur für Landreparationen, rechtlich und finanziell unabhängig und direkt dem Präsidenten unterstellt, soll die Landrückgabe an indigene Gemeinschaften zentral koordinieren. Finanziert werden solle sie über einen Fonds, der in drei Unterfonds von insgesamt bis zu vier Milliarden US-Dollar aufgeteilt sei. Außerdem soll ein Schiedsgericht ("Tribunal arbitral"), das paritätisch mit Mapuche und nicht-indigenen Mitgliedern besetzt wird, als letzte Instanz über Streitigkeiten verfügen. Um indigene Gemeinschaften beim Abschluss von Verträgen über ihr Land zu schützen, empfiehlt die Kommission die Schaffung einer juristischen Einheit für kostenlose Beratung. Alle Verträge – ob Pacht, Nutzung oder Besitz – sollen nur noch in öffentlicher Urkunde und im Grundbuch eingetragen werden.
Reparationen, so betont die Kommission, müssen nicht ausschließlich in Form von Land erfolgen; alternative Formen wie finanzielle Entschädigungen, Wohnraumförderung oder wirtschaftliche Projekte stehen zur Wahl. Das Reparationssystem soll sich an den Prinzipien der ILO-Konvention 169 orientieren und sicherstellen, dass die Angebote flexibel, aber rechtlich verbindlich sind.
Angesichts der jahrzehntelangen Gewalt in den Regionen Biobío, La Araucanía, Los Ríos und Los Lagos soll zusätzlich ein umfassendes Reparationsgesetz die Opfer ländlicher Gewalt entschädigen. Unter Leitung des Justizministeriums soll ein "System der Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung" etabliert werden. Neben finanziellen Entschädigungen soll es psychosoziale Unterstützung und symbolische Akte der Anerkennung umfassen. Die Kommission schlägt damit Entschädigungen und Schutzgarantien für sowohl Mapuche als auch Nicht-Mapuche als Opfer des Konflikts vor.
Dieser versöhnliche Ansatz zielt darauf ab, die historische Polarisierung zu überwinden, indem er die verhärteten Fronten zwischen Mapuche-Gemeinschaften und staatlich-agrarischen Akteuren aufbricht.
Letztlich plädiert die Kommission für eine Entwicklungsstrategie, die den Konfliktregionen, vor allem Arauco und Malleco, Aufschwung durch Investitionen und wirtschaftliche Diversifizierung verleihen soll. Geplant sind der Ausbau von Verkehrs- und Energieinfrastrukturen, Subventionen für landwirtschaftliche Initiativen und eine verstärkte Förderung der beruflichen Bildung. Um den indigenen Gemeinschaften Zugang zu Kapital zu ermöglichen, empfiehlt die Kommission alternative Finanzierungsmodelle, wie staatliche Garantien für Entwicklungsprojekte (z.B. Sercotec) und den Ausbau von Genossenschaftsstrukturen.
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Es ist bereits der sechste Versuch des chilenischen Staates, mittels einer offiziellen Kommission eine friedliche Lösung für den Konflikt zu finden. Umso größer war die Hoffnung auf eine einstimmige Verabschiedung des Berichts. Doch das Wahljahr und die Trendwende hin zu einer global vernetzten Rechten machten den Anspruch der Kommission, als "transversales Projekt" Brücken zu schlagen, zunichte: Kurz vor seiner Veröffentlichung war Kommissionsmitglied Carmen Gloria Aravena aus dem rechtspopulistischen Partido Republicano (PRCh) ausgetreten, da sie aus den eigenen Reihen unter Druck gesetzt worden war, die Unterzeichnung zu verweigern – ein Parteiaustritt mit hochsymbolischer Wirkung.
Nichtsdestotrotz zerbrach der Anspruch auf Einstimmigkeit kurze Zeit später, als Sebastián Naveillán, Präsident der "Asociación de Agricultores de Malleco", als einziger der acht Köpfe seine Stimme verweigerte. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die zugesicherte Rückgabe der ausstehenden Hektar Land, gekoppelt an einen Fonds von vier Milliarden US-Dollar, schlichtweg "nicht umsetzbar" sei und betonte, dass es "keine historische Schuld des chilenischen Staates gegenüber den indigenen Völkern" gebe. Die Vorschläge der Kommission seien "octubristas", womit er einen gängigen Begriff der politischen Rechten nutzte, der progressive Reformen als Fortsetzung des "Estallido Social" vom Oktober 2019 darstellt, der im kollektiven Gedächtnis diffamiert werden soll.
Die rechtskonservative UDI griff die Kritik auf: Führende Stimmen wie Guillermo Ramírez und die Präsidentschaftskandidatin Evelyn Matthei warfen dem Bericht vor, das Thema Terrorismus auszublenden und damit "unrealistische" Lösungen zu präsentieren.
Bezeichnend ist, dass der Kongress parallel zur Übergabe des Berichts die 56. Verlängerung des Ausnahmezustands in den Regionen Biobío und La Araucanía beschlossen hatte. Rund 1.500 Soldaten der chilenischen Streitkräfte sind dort seit nunmehr drei Jahren stationiert. Damit öffnet der chilenische Staat zwar Dialogkanäle, verschließt sie aber zugleich wieder.
Diese Widersprüchlichkeit stärkt unter den Mapuche jene Stimmen, die den Dialog mit chilenischen Großgrundbesitzern und Politikern ohnehin für unglaubwürdig gehalten hatten.
So hatte unter indigenen Gemeinschaften die Zusammensetzung der Kommission schon zu Beginn Misstrauen geweckt. Autonome Gruppen wie der "Consejo de Todas las Tierras" und die "Coordinadora Arauco Malleco (CAM)" kritisierten, dass die Kommission nur vorgebe, indigene Stimmen zu repräsentieren, aber tatsächlich eng mit Akteuren der ehemaligen Concertación verflochten sei. Damit handele es sich letztlich um ein Abkommen zwischen den Enteignern selbst und quotierten Mapuche, die den etablierten Parteien so nahestehen, dass ihre Unabhängigkeit fragwürdig erscheint.
Womöglich verweist die Debatte um die gescheiterte Einstimmigkeit des Berichts jedoch auf ein zentrales Problem im Friedensprozess und macht sie dadurch wieder produktiv: Das chilenische Staatsverständnis, das einer kolonialen Logik entspringt und nach klaren Fronten sowie geschlossenen Lagern sucht, tut sich schwer mit Pluralität. Doch wer von den Mapuche "eine" Stimme verlangt, verkennt ihre politische Kultur.
Héctor Llaitul vom CAM bezeichnet die Kommission daher als "Überbleibsel kolonialer Systeme", das indigenen Völkern eine paternalistische Politik auferlege. So könnte auch der Vorschlag eines zentralisierten Schiedsgerichts ein Versuch sein, indigene Selbstverwaltungsstrukturen durch staatliche Institutionen zu untergraben. Der sogenannte "Dialog", so Llaitul, finde mit jenen statt, die den Konflikt wirtschaftlich ausnutzen: Großgrundbesitzer, Forstunternehmen und Gruppen wie APRA, die als paramilitärische Kraft Gewalt schüre, während sie vorgebe, Frieden zu fördern.
Die Ablehnung, die aus Llaituls Haltung herauszulesen ist, sollte nicht als Boykott von Friedensverhandlungen missverstanden werden. Llaitul bringt ein strukturell anderes Politikverständnis zur Geltung, das Gehör verdient: Der Weg zum Frieden gehe über Dekolonisierung hinaus und fordere "echte" Anerkennung. Der Vorschlag der Kommission, Land zurückzukaufen sei hingegen das Fortschreiben einer kolonialer Logik, die heiliges Land als marktfähige Ware behandele.
Echte Verständigung, so scheint es, erfordert, dass der chilenische Staat andere Verständigungsformen entwickelt, die die Mapuche nicht als monolithischen Akteur im Sinne westlicher Demokratien stilisieren, sondern auf Dezentralität und Beziehungspflege setzen. Der Diskurs, der auf staatlicher Ebene aus einer juristisch-bürokratischen Warte geführt wird, berührt aus Mapuche-Perspektive spirituelle – und damit identitätsstiftende – Deutungsmuster.
Wallmapu ist keine Ware, sondern ein rituelles Beziehungsgeflecht. Diese kosmologische Verankerung ist für viele Mapuche nicht verhandelbar. Ihr Fehlen im Kommissionsbericht erklärt, warum ein kritisches Segment der Mapuche Llaituls Misstrauen teilt und sie zunehmend zu einer radikalen Staatskritik führt.
So macht Machi (Heiler und Schamane) Celestino Córdova, der seit zwölf Jahren wegen eines tödlichen Brandanschlags inhaftiert ist, den Staat für das vermehrte Verschwinden von "lamngen" (Mapuche-Gefährt:innen) verantwortlich. Wie für Llaitul ist der Bericht auch für ihn eine Farce: Der Staat sei nie an der Anerkennung indigener Rechte interessiert gewesen. Andernfalls würde er den spirituellen Gemeinschaften ermöglichen, ihren Glauben auszuüben. Doch genau das verhindere er, indem er als eigenständiger Kläger auftrete, um die Bewährungsstrafe von Córdova zu blockieren, und damit die Ausübung seines spirituellen Amtes als Machi. In bisher sechs Hungerstreiks hatte er dafür gekämpft, während seiner Haft Zugang zu seinem "Rewe", dem heiligen Zeremonieort, zu erhalten.
Die Regierung aber stelle sich auf die Seite jener, die mit Geld und Einfluss Medien, Macht und Justiz kontrollieren und profitiere von der Militarisierung und extraktiven Ausbeutung von Wallmapu.
Aucán Huilcaman, Sprecher des "Consejo de Todas las Tierras", ersetzt die fünf vorgeschlagenen Kernprobleme der Kommission durch eine andere Fünferliste: Die wahren Wunden der Mapuche heißen "Völkermord, Enteignung, Landraub, Verarmung und kulturelle Zerstörung". Solange der Bericht diese verschweige, handele es sich um kein Friedensangebot.
Sichtbar werden die verbitterten Fronten auf der Straße: Zwei Tage nach der Übergabe des Berichts startete "Espacio Día a Día por Julia Chuñil", ein Zusammenschluss aus über 80 Organisationen, einen Protestmarsch vor der Zentrale der Conadi, um auf das Schweigen der Behörden angesichts des Verschwindens der damals 72-jährigen Julia Chuñil am 8. November 2024 in der Region Los Ríos aufmerksam zu machen.
Chuñil lebte als Präsidentin der Gemeinschaft Putreguel auf einem 900 Hektar großen Waldgebiet, in dem sie Heilpflanzen und Tiere pflegte. Die Conadi habe Chuñils Land durch fehlerhafte Verwaltung kostenlos an den Großgrundbesitzer Juan Carlos Morstadt übergeben, der Chuñil, die nicht weichen wollte, fortwährend bedroht hatte. Erst Ende April wurden zwei ihrer Tiere, ein Pferd und ein Schwein, tot aufgefunden – eines mit Anzeichen einer Vergiftung, das andere mit Schusswunden.
Inmitten der Flut der Kritik mahnt Simón Ramírez von der Frente Amplio, dass diese den eigentlichen Kern des Berichts aufs Spiel setzen könne, nämlich die Chance, eine der tiefsten Wunden Chiles zu schließen. So sehr sich die politische Rechte, die sich als "politische Rentiers" inszeniere, bemühen möge, den Verständigungsprozess zu sabotieren, dürfe dieser Widerstand nicht den Blick auf den Weg zum Frieden verstellen. Chile brauche mehr als Blockaden, nämlich eine politische Vision, in der alle ihren Platz finden.
In den Regionen Biobío, La Araucanía, Los Lagos und Los Ríos haben Mapuche-Gemeinschaften indes eine selbstorganisierte Konsultation angekündigt, um eigenständig zu entscheiden, ob sie den von der Kommission vorgeschlagenen Institutionalisierungsprozess unterstützen möchten oder nicht.
Der Mapuche-Historiker Fernando Pairican wägt ab, dass sich der aktuelle Vorschlag zwar in die bisher erfolglose Linie staatlicher Lösungsversuche einreiht, die wiederkehrenden Muster aber zugleich ein Bild festigen, das die Notwendigkeit der Anerkennung historischer Schuld, von Dialogversuchen und ihrer strukturellen Begrenzungen unterstreicht. Zudem benenne der Bericht den Landverlust der Mapuche erstmalig im Kontext der gewaltsamen "Ocupación de la Araucanía" im 19. Jahrhundert und bringe ihn unmissverständlich mit einer Reparationsschuld in Verbindung.
Die Umsetzung der Kommissionsvorschläge könnte also bedeuten, dass nicht-indigene Akteure Land abgeben müssten, das sie häufig auf illegitime Weise erhalten hatten.
Vielleicht liegt die Stärke der Kommission nicht in der Innovativität des 21-Punkte-Plans, sondern darin, einen Übergang zu markieren: in eine neue Etappe der Verständigung, die lernt, mit Pluralität zu leben. Dann wäre der Widerstand, den sie provoziert hat, nicht ihr Scheitern, sondern ihr erster Erfolg.
Die Autorn lebt in Berlin und promoviert an der Universität Bielefeld zur kulturellen Evolution des Mapuche-Konzepts "Küme Felen" (Gutes Leben)