Am 13. April 2025 wählte Ecuador den Bananenunternehmer und Multimillionär Daniel Noboa erneut zum Präsidenten. Laut Auszählung des Nationalen Wahlrats erhielt der amtierende Präsident Noboa 56 Prozent der Stimmen, während die progressive Kandidatin Luisa González 44 Prozent erreichte. Dieses Ergebnis widersprach dem technischen Gleichstand in der ersten Runde sowie den Prognosen von Umfragen und Exit-Polls (Wahltagsbefragungen), laut denen die beiden Kandidat:innen enger beieinander lagen. Obwohl die Betrugsvorwürfe der Oppositionskandidatin nicht bestätigt wurden, verwiesen Wahlbeobachtungsmissionen und andere Expert:innen auf mehrere Faktoren wie Klientelismus, Autoritarismus und politische Ungleichheit – LN ordnet die Ergebnisse der Wahl ein und analysiert die Hinweise auf einen schweren, möglicherweise irreversiblen Rückschritt der Demokratie im Land.
Die Wahlen fanden inmitten einer beispiellosen multidimensionalen Krise statt. In den letzten Jahren führten die Schwächung des Staates, das Eindringen des Drogenhandels und die Verschärfung des Extraktivismus zur Verschlechterung der Lebensbedingungen im Land. Derzeit führt Ecuador laut der Think Tank- und Medienorganisation Insight Crime die Liste der gewalttätigsten Länder Lateinamerikas an. Allein im Januar 2025 verzeichnete das Innenministerium 130.000 Morde – das entspricht einem Mord pro Stunde. Diese Unsicherheitslage geht einher mit einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Laut dem Nationalen Institut für Statistik und Zensus Inec leben 28 Prozent der Bevölkerung von weniger als drei US-Dollar am Tag.
Diese Zustände herrschten während der Amtszeit von Daniel Noboa, dem Millennial-Sohn einer der reichsten Familien des Landes, der es verstand, die politische Krise und sozialen Netzwerke zu nutzen, um 2023 Präsident zu werden. Seine Regierung war geprägt von einer Politik der harten Hand, der medialen Omnipräsenz der kreolischen Elite und mehreren Korruptionsfällen, bei denen staatliche Aufträge an Unternehmen aus seinem Umfeld gingen. Hinzu kamen Hinweise auf das Einwirken auf die Justiz, Frauenfeindlichkeit und politische Verfolgung.
Präsident ignoriert Wahlkampfrecht
Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Wahlrunde behielt Daniel Noboa sein Amt bei und war gleichzeitig Präsident und Kandidat – entgegen der ecuadorianischen Gesetzgebung und ohne Sanktionen durch die Wahlbehörden. Die Wahlbeobachtungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erklärte, dieses Vorgehen setze einen schlechten Präzedenzfall für die Region. Die Beobachtungsmission der EU betonte, dass Noboa durch das Unterlassen der gesetzlich vorgeschriebenen Beurlaubung vom Präsidentenamt die Grenze zwischen Präsidentenrolle und Kandidatur verwischt habe. Diese Doppelfunktion verschaffte ihm Vorteile, wie Zugang zu staatlichen Ressourcen, mehr mediale Präsenz und die Möglichkeit, regierungsamtliche Ankündigungen mit Wahleffekt zu machen.
Im Gegensatz dazu sah sich Kandidatin Luisa González und ihre Partei Revolución Ciudadana (RC) während des Wahlkampfs politischen Angriffen ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen Bürgermeister:innen, Präfekt:innen und andere mit González verbundene Amtsträger:innen ein, während die wichtigsten ecuadorianischen Medien einseitig berichteten. Mehrere Berichte stellten Verbindungen der Kandidatin zum venezolanischen Regime her oder unterstellten, sie wolle Ecuador "entdollarisieren". Der Höhepunkt dieser Diffamierungskampagne war eine Aussage von Erik Prince, Gründer des Söldnerunternehmens Blackwater, der im staatlich finanzierten Rundfunk behauptete, González habe ein Kind mit Ex-Präsident Rafael Correa.
Einsatz von Staatsboni für Wahlkampf
Ohne Moos nix los
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In den Wochen vor den Wahlen setzte Noboa auf eine massive klientelistische Strategie über Staatsboni. Nach einem ersten Wahldurchgang mit nur 16.000 Stimmen Unterschied führte die Regierung 14 Programme mit Finanzhilfen für über 400.000 Ecuadorianer:innen durch. Am 22. März wurde eine Überweisung von je 1.000 US-Dollar an 100.000 Unternehmer genehmigt, vier Tage später ein Bonus von 508 Dollar für alle aktiven Polizist:innen und Soldat:innen. Diese Maßnahmen ergänzten zahlreiche Programme für Jugendliche, Arbeitslose, Wohnsubventionen und Katastrophenhilfe. Laut Berechnungen des Portals Primicias beliefen sich die gesamten Ausgaben auf 518 Millionen Dollar aus dem Staatshaushalt.
Ausnahmezustände und Militarisierung
Die Machtkonzentration beschränkte sich nicht nur auf den wirtschaftlichen Bereich. Einen Tag vor dem Wahltermin unterzeichnete Noboa das Dekret 493, das den Ausnahmezustand in Quito und sieben weiteren Provinzen erklärte – just in jenen, in denen González gesiegt hatte. Die Maßnahme beinhaltete Polizeieinsätze, Militärpräsenz, Ausgangssperren in 22 Kantonen und die Aussetzung verfassungsmäßiger Garantien. Der OAS-Bericht äußerte Besorgnis über die aktive Rolle der Streitkräfte am Wahltag und empfahl, die Protokolle zu ändern, um zu verhindern, dass Soldaten Fotos von geheim zu haltenden Wahlprotokollen machen.
Spaltung der Indigenen Wählerschaft
Eine der größten Überraschungen des Wahlausgangs war die Spaltung der Indigenen Wählerschaft, die früher ideologisch einheitlich abstimmte. Obwohl die Führungen der wichtigsten Organisationen González unterstützten, entschieden sich viele Gemeinden für Noboa – was einen entscheidenden Block der ecuadorianischen Politik zersplitterte. Dies lag sowohl an den historischen Differenzen zwischen der RC und der Indigenen Bewegung als auch an Noboas Beliebtheit in den Andenprovinzen.
Der Sieg Noboas, obwohl offiziell bestätigt, markiert einen beunruhigenden Präzedenzfall mit ungleichen Mitteln beeinflusster Wahlen in Ecuador. Einerseits zeigt er, wie effektiv der strategische Einsatz staatlicher Ressourcen zur Beeinflussung des Wahlverhaltens ist. Andererseits wirft er Fragen auf über den Zustand der Demokratie in einem Land, in dem politische, wirtschaftliche und mediale Macht in wenigen Händen liegt – und sich, wenn es opportun erscheint, über geltendes Recht hinwegsetzt.
Der Beitrag ist erschienen in den Lateinamerika Nachrichten 611