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Obama II

Ignacio Ramonet zur Bilanz des amerikanischen Präsidenten und den bevorstehenden Wahlen in den USA

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Ignacio Ramonet, Herausgeber der spanischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique und Kolumnist von amerika21
Ignacio Ramonet, Herausgeber der spanischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique und Kolumnist von amerika21

In diesen Wochen erleben wir drei bedeutende Wahlen, deren Ergebnisse ein neues Bild von der Welt zeigen könnten. Die erste war die Wahl am 7. Oktober in Venezuela. Hugo Chávez Sieg dabei war ein großer Sieg für das gesamte fortschrittliche Spektrum in Lateinamerika und er ist eine Garantie dafür, dass die begonnenen Veränderungen fortgeführt werden.

Die zweite wichtige Wahl findet Mitte diesen Monats im Rahmen des 18. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas statt. Hier wird mit großer Wahrscheinlichkeit Xi Jinping zum neuen Generalsekretär der Partei gewählt. Er folgt Hu Jintao, der wahrscheinlich in einigen Monaten zum neuen Staatschef Chinas gewählt wird und folglich der Führer der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt sein wird, der wichtigsten aufstrebenden Macht und strategischem Gegner Washingtons.

Die dritte Wahl am 6. November wird darüber entscheiden, ob der Demokrat Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten bleiben wird oder durch den Republikaner Mitt Romney ersetzt wird. Obwohl klar ist, dass ein Wechsel in der Präsidentschaft weder allzu große Auswirkungen auf die Finanzwelt – die endgültigen Entscheider – haben wird, noch die wichtigsten strategischen Optionen dieser Großmacht verändern wird, so besteht doch kein Zweifel daran, dass diese Wahlen im internationalen Kontext bedeutsam sind.

Barack Obama schien a priori wenig Aussichten zu haben, sein Mandat zu verlängern. Aber plötzlich tauchte das Thema der Außenpolitik in den  Wahlkampagnen auf – durch die Ermordung US-amerikanischer Diplomaten in Libyen und die Angriffe gegen die Botschaft der Vereinigten Staaten in Ägypten am 11. September – genau elf Jahre nach den Attentaten auf das World Trade Center 2001. Könnte dies die Wiederwahl von Obama begünstigen?

Kein Kandidat hat jemals die Wahlen mit einem außenpolitischen Thema gewonnen. Man muss jedoch eingestehen, dass diese tragischen Vorkommnisse Obama nicht in dem Maße geschädigt haben wie seinem republikanischen Rivalen Mitt Romney, der in dieser Sache das Bild eines oberflächlichen und verantwortungslosen Politikers abgab. In jedem Fall war er sehr weit entfernt von dem Bild eines wahren Staatsmannes, wie es die Öffentlichkeit hat.

Hinzu kommen die verheerenden Auswirkungen, die ein paar Tage lang ein "geheimes" Video verursachte, in dem Romney voller Verachtung erklärte, dass die Hälfte des Landes  - Obamas Wähler – aus "Opfern", "Verlierern" und "Sozialhilfeempfängern" bestehen würde. Dies lässt die Vermutung zu, dass der scheidende Präsident wenige Wochen vor dem Wahltag seine Chancen auf einen Sieg wieder erhöht.

Das war nicht immer klar, denn Obama hatte in seinem Wahlkampf 2008 viel versprochen und in gleichem Maße viele enttäuscht. Er hat selber zugegeben, dass er viele Träume verraten hat. Seine Beliebtheit hat enorm abgenommen. Ebenso muss man sich fragen, wie ein Mann, der am Tag seines Amtsantritts im Januar 2009 zwei Millionen Menschen in Washington auf die Beine gebracht hat und der mehr als dreizehn Millionen Anhänger auf Twitter hat, so enorm an Anziehungskraft verlieren konnte?

Obwohl brillant als Intellektueller, ist es dem ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht gelungen, sein Land zu verändern. Geld beherrscht weiterhin das politische Leben, die Institutionen bleiben weiter paralysiert durch die Unterwürfigkeit des Kongresses, die Wirtschaft lahmt weiter und die Hegemonie Washingtons in der Welt ist fraglicher als jemals zuvor. 

Sicherlich hat der neue Präsident bei seinem Amtsantritt im Weißen Haus eine Finanz-, Industrie- und Gesellschaftskrise vorgefunden, die in ihrer Tragweite nur mit der Großen Depression vergleichbar ist. Das Land hatte acht Millionen Arbeitsplätze verloren. Obama machte jedoch den Eindruck, dass er sich nicht darüber im Klaren war, dass das Schiff untergehen könnte. Er machte weiter in seiner Rolle als Großer Schummler der Wahlkampagne und sah den Schiffbruch nicht kommen. Er scheiterte im ersten Teil seiner Präsidentschaft.

Er hätte seine große Beliebtheit dazu nutzen können, sofort die irrationalen Exzesse des Finanzwesens und der Banken anzugreifen. Er hätte die Vorherrschaft der Politik über die Ökonomie wieder herstellen können. Das hat er nicht getan, und so begann er seine Präsidentschaft auf einer falschen Grundlage.

Obama hätte auch die Unterstützung der Nation nutzen können, um die Republikaner sofort zu bekämpfen und so eine breitere Front für seine Reformen zu gewinnen. Er hätte sich direkt ans Volk wenden können, um den Kongress unter Druck zu setzen und ihn zu zwingen, für die Gesetze zu stimmen, die einen neuen Wohlfahrtsstaat  errichten und eine zufriedenere Gesellschaft  ermöglichen sollten. Auch das hat er nicht getan. Er wählte die Zurückhaltung, und das war ein weiterer Fehler.

Es besteht kein Zweifel, dass seine Reformen im Gesundheitswesen und bei den Regeln der Wall Street wichtig war.  Aber er hielt sie sehr begrenzt. Das Gesetz über die Gesundheitsreform ist sehr konservativ geraten und hatte zur Folge, dass Millionen von Amerikanern zu den privaten Krankenversicherern wechseln mussten. Auch die Reformen zur Regulierung der Finanzmärkte waren nicht ausreichend, um den schlimmen Machenschaften der Spekulanten und Banken ein Ende zu setzen. Und schließlich hat das Weiße Haus das Employee Free Choice Act  nicht ausreichend unterstützt, das es den Arbeitern erlaubt hätte, mehr Gewerkschaften zu gründen.

Obama hat versprochen, das politische Leben in den Vereinigten Staaten zu verändern, besonders im Kongress. Ebenso wie es Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren getan hat, hätte er das Volk mobilisieren müssen und es als Waffe in seinem Kampf für neue Gesetze nutzen können. Auch das hat er nicht gemacht. Er ähnelte schließlich immer mehr den politischen Mumien in Washington, die er selber so sehr kritisiert hat und die von den Bürgern verachtet werden. Die Folge davon: Es waren die Republikaner, die sich direkt ans Volks gewandt haben.

Im Grunde genommen verfügten die Demokraten zunächst über alles, was sie zum Regieren brauchten. Sie kontrollierten die Exekutive und die Legislative: die Präsidentschaft, die Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Mehrheit im Senat. Normalerweise reicht die Kontrolle über diese beiden Hebel zum Regieren eines Landes aus – aber nicht in unseren post-demokratischen Gesellschaften.

In Wirklichkeit verfügten Obama und die Demokraten trotz ihrer demokratischen Legitimation nur über einen Hebel, und heute sind mindestens drei notwendig, um zu regieren. Es fehlten ihm also noch zwei: die Massenkommunikationsmedien (die Republikaner haben die Fox-Kette) und eine mächtige aus dem Volk hervor gegangene Bewegung (die Republikaner haben die Tea Party). Obama und die Demokraten haben weder das eine noch das andere. Sie konnten nur ihre Ohnmacht feststellen.

So sahen sie sich – was sehr ungewöhnlich ist – mitten in der ökonomischen und gesellschaftlichen Krise von den Rechten überrollt.... Die amerikanische Rechte besaß das Monopol auf Demonstrationen und Kundgebungen, auf Kämpfe gegen die Regierung bis hin zur Schlacht um die Ideen. Die Folge: In den Wahlen zur Halbzeit der Präsidentschaft im November 2010 verloren die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus.

Wir mussten auf die Anfänge der Wahlkampagne warten, damit Obama endlich verstand, dass er aus der politischen Schlammschlacht in Washington heraus kommen muss und eine Strategie anwenden muss, die sich an die Volksbewegungen richtet. Im Oktober 2011 hat er in Denver, zum ersten Mal seitdem er im Weißen Haus ist, direkt seine Basis mobilisiert und einen Hilferuf gestartet: "Ich brauche Euch. Ich brauche Euren Protest. Ich brauche Eure Mobilisierung. Ich brauch Eure Aktivität. Ich brauche, dass Ihr Euch an den Kongress wendet und ruft: Macht Eure Arbeit!"

Diese neue Strategie stellte sich als richtig heraus. Die republikanischen Parlamentarier befanden sich sofort in der Defensive. Ein neuer, kämpferischer Obama zeigte sich und die Umfragen verbesserten sich. Und er wurde sogar noch kühner: Er erklärte seine Zustimmung zu gleichgeschlechtlichen Ehen und zu einer neuen  Politik den Einwanderern gegenüber, die Schluss macht mit den diskriminierenden Ausweisungen der Sans Papiers (Menschen ohne Ausweispapiere, d.Ü.). Seine Beliebtheit nahm wieder zu.

In der Zwischenzeit wählten die Republikaner den Multimillionär Mitt Romney, um sie im Rennen auf das Weiße Haus zu vertreten. Dieser konzentrierte seine Kritik auf Obama und kritisierte die "katastrophale Bilanz der Präsidentschaft": 23 Millionen Arbeitslose oder prekär Beschäftigte; ein noch nie in den Vereinigten Staaten da gewesenes Haushaltsdefizit; ein Anstieg der Staatsverschuldung um 50 Prozent in vier Jahren – genauso hoch wie das Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten.

Romney vertraute auf einige Umfragen, denen zufolge 54 Prozent der Wähler erklärten, dass Obama keine zweite Amtszeit verdiene; 52 Prozent gaben an, dass sie "heute schlechter als vor vier Jahren" lebten.

Der republikanische Kandidat wiederholte dies ständig in seinen Wahlkampfauftritten. Dabei vergaß er aber zu erwähnen, dass die Umfragen auch zeigten, dass es Romney selber nicht gelinge, die Wähler von seiner Ernsthaftigkeit und seinem Interesse für die Menschen zu überzeugen. Die Umfragen enthüllten auch, dass eine Mehrzahl der Amerikaner bei fast allen großen Problemen mit Obama einverstanden war: von der Reform im Gesundheitswesen bis hin zur Fiskalpolitik. In jedem Fall glaubten sie, dass Barack Obama sie besser vertrete als Mitt Romney.

Dieser hatte daraufhin die Idee, den äußerst konservativen Paul Ryan – Präsident der Haushaltskommission des Repräsentantenhauses – als möglichen Vize-Präsidenten zu ernennen. Das stachelte Obama an, denn von diesem Moment an hat er sich entschieden, die gewohnte Rolle eines Präsidentschaftskandidaten umzukehren. Er wurde zum offensiven Angreifer anstatt zum bloßen Verteidiger seiner Erfolgsbilanz. Er verteidigte sich nicht mehr für die Schwierigkeiten bei einer Reform der Wirtschaft, sondern er zwang die Republikaner, ihren unpopulären Kürzungsplan des Nationalhaushalts zu erklären, ihr Versprechen, die "Steuern der Millionäre zu senken" und die Hilfen für arme Familien einzustellen. So wurde aus Obama ein Kämpfer für die Mittelklasse, die ein wichtiger Teil der amerikanischen Bevölkerung und demzufolge auch der Wähler ist.

In seiner Rede vom 6. September vor dem Parteitag der Demokraten hat der Präsident dann auch nicht seine Erfolgsbilanz verteidigt, mit Ausnahme der Außenpolitik. Er erinnerte an den Tod von Osama Bin Laden, den Rückzug aus dem Irak und seine Entscheidung, die Truppen auch aus Afghanistan zurück zu ziehen.

Es gäbe viel über die Ergebnisse seiner Außenpolitik zu sagen, die alles in allem sehr enttäuschend ist. Sowohl in Lateinamerika (Kuba, Venezuela, Staatsstreiche in Honduras und Paraguay etc.), als auch im Nahen Osten (arabischer Frühling, Libyen Syrien, Iran, Palästina…). Aber wie schon gesagt, der Wahlerfolg wird nicht von der Außenpolitik abhängen.

Entscheidend werden die ökonomischen und sozialen Fragen sein. Und die sind in den letzten Monaten immer besser beantwortet worden. Das Wirtschaftswachstum zum Beispiel hat sich zum Positiven gewendet (plus 0,4 Prozent durchschnittlich im Vierteljahr). Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich deutlich verbessert (in den letzten sechs Monaten wurde eine Million Arbeitsplätze geschaffen). Dank staatlicher Hilfe vor dem Bankrott gerettet, hat General Motors wieder den ersten Platz (anstelle von Toyota) auf der Liste der größten Automobilhersteller der Welt erobert. Auch im Wohnungsbau gibt es Fortschritte. Die Börse hat seit 2009 um mehr als 50 Prozent zugelegt, und der private Konsum ist auch wieder angestiegen.

Werden diese letzten Fortschritte ausreichen, um die Wiederwahl von Barack Obamas zu sichern?