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Unkenrufe zu Venezuelas Währungsabwertung

Die neueste Abwertung der Währung in Venezuela zog Vorhersagen über einen ökonomischen Kollaps nach sich. Glücklicherweise entpuppt sich dies als Wunschdenken

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Abgewertet: Ein 100-Bolívar-Schein
Abgewertet: Ein 100-Bolívar-Schein

Venezuelas neueste Abwertung hat relativ wenig Interesse in der internationalen Medienlandschaft erregt. Natürlich stellte die venezolanische Opposition diese als einen verzweifelten Versuch dar, einem unvermeidbaren wirtschaftlichen Zusammenbruch zu entgegnen.

Das Argument der Opposition, von der Mehrzahl der internationalen Medien unterstützt und selbst auf den der Opposition eigenen Quellen basierend, lautet wie folgt: Venezuela war gezwungen, eine Abwertung der Währung vorzunehmen, da der Regierung das Geld ausging. Doch sei diese zu spät und von zu geringem Umfang vorgenommen worden; die Inflation wird außer Kontrolle geraten und weitere Abwertungen zur Folge haben, dadurch wird mehr Geld das Land verlassen und letztendlich werde die Regierung Pleite gehen und versagen.

Gegner der venezolanischen Regierung setzen auf eine Inflations-Abwertungs-Spirale, die dabei behilflich sein soll, die Regierung abzulösen. Diesem Szenario zufolge erhöht die Abwertung die Kosten für Importe und treibe so die Inflation voran; durch diese höheren Preise sei die Währung in realen Zahlen überbewertet, worauf eine erneute Abwertung folgen werde, usw. Da die Menschen das Vertrauen in die eigene Währung verlieren, würden mehr Leute ihr Geld in US-Dollar umtauschen, hierdurch den Druck auf eine Abwertung erhöhen und dem Land die Devisenreserven entziehen – eine Zahlungsbilanzkrise.

Soweit die Opposition die Bevölkerung überzeugen kann, dass dies tatsächlich geschieht, ist es natürlich möglich, dass einem solchen Prozess Vorschub geleistet wird – genauso wie Gerüchte über eine Insolvenz einen Bankensturm auslösen können. Sowohl in Venezuela wie in Argentinien zählen die meisten Medien zur Opposition. Daher verwundert es nicht, dass derartige Ansichten in beiden Ländern überaus bekannt sind.

Untersuchen wir nun dieses Argument. Die erste Prämisse, Venezuela habe eine Abwertung vorgenommen, um ein Mehr an Inlandswährung (dem Bolívar Fuerte, BsF) für jeden US-Dollar aus den Öleinnahmen zu erhalten, ist die Grundlage des Großteils der Berichterstattung gewesen. Jedoch macht dies ökonomisch gesehen wenig Sinn: Wenn die Währung durch die Regierung von 4,3 BsF auf 6,3 BsF abgewertet wird, bezweckt dies letztendlich was? Für jeden Dollar, den sie aus den Öleinnahmen bezieht, erhält die Regierung zwei Bolívares zusätzlich.

Natürlich könnte die Regierung die gleiche Menge an Geld drucken, ohne eine Abwertung vorzunehmen. Die Gegner würden beanstanden, dass das Drucken von Geld die Inflation steigere.

Doch kommt die Schöpfung zweier zusätzlicher Bolívares pro erhaltenem Dollar dem Erschaffen von Geld gleich, ohne Unterschied zum Gelddruck. Der Hauptunterschied besteht allerdings, neben der inflationären Auswirkung von Geldschöpfung, darin, dass eine Abwertung durch den Preisanstieg importierter Güter nochmals zur Inflation beiträgt.

Doch Geldschöpfung erhöht nicht immer die Inflation. Die US-Notenbank Fed hat seit 2008 mehr als zwei Billionen US-Dollar geschaffen, wobei die Inflation nicht signifikant angestiegen ist. Wenn die venezolanische Regierung lediglich mehr Bolívares zum Ausgeben benötigte, würde es geringere inflationäre Auswirkungen nach sich ziehen, die Geldmenge ohne Abwertung zu erhöhen.

Warum also abwerten?

Die Abwertung hat andere Auswirkungen. Obwohl teurere Importe die Inflation steigern, begünstigen sie die inländische Produktion, welche mit Importen konkurriert. Vielleicht von größerer Bedeutung ist die Tatsache, dass eine Abwertung den Dollar verteuert und hierdurch die Kosten der Kapitalflucht erhöht. Das verhilft der Regierung, mehr Dollars im Land zu behalten.

Es überrascht nicht, dass vieles, was innerhalb der Presse als Analyse durchgeht, auf falschen Zahlen und fehlerhafter Logik basiert. Die Auszeichnung für falsche Zahlen geht dieses Mal an Moisés Naím, der in der Financial Times schreibt, dass "der Bolívar während Hugo Chávez Präsidentschaft um 992 Prozent abgewertet wurde."

Freunde der Arithmetik werden sofort bemerkt haben, dass dies unmöglich ist. Eine Währung kann höchstens um 100 Prozent abgewertet werden, einem Punkt, an dem sie für null Dollar umgetauscht werden kann. Sofern es negativ ist, scheint beim Schreiben über Venezuela offenbar ein hohes Maß an Übertreibung zulässig.

Doch aus einer Reihe von Gründen gehören Inflations-Abwertungs-Spiralen in Lateinamerika der Vergangenheit an und eine Abwertung alle paar Jahre ist weit entfernt von einer solchen Spiralwirkung. Tatsächlich, trotz Presseberichten, dass nach der Abwertung im Januar 2010 – welche größer war als die jüngste – die Inflation 60 Prozent erreichen würde, stieg die Kerninflation überhaupt nicht an, die tatsächliche Inflation stieg nur zeitweise an. Danach sank die Inflation über mehr als zwei Jahre hinweg, selbst als sich das Wirtschaftswachstum beschleunigte, auf 5,2 Prozent im letzten Jahr.

Die Höhe der Inflation, die dieser Abwertung folgt, wird davon anderen abhängen, welche Maßnahmen die Regierung ergreift und wie wirksam sie umgesetzt werden: wie etwa Preiskontrollen, die Bereitstellung von Dollars für Importeure (einschließlich Nahrungsmittel) und Kapitalkontrollen. Falls die vergangenen Jahre eine Andeutung zulassen, so wird die Regierung alles Nötige unternehmen, um die Inflation oder Engpässe nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.

Was die öffentlichen Schulden Venezuelas anbetrifft, ist die Regierung von einem Problem mit unhaltbaren Schulden weit entfernt. Der IWF schätzt Venezuelas Bruttostaatsverschuldung für 2012 auf 51,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (für Europa vergleichsweise mehr als 90 Prozent). Ein geeigneteres Maß ist die Last des ausländischen Anteils dieser Schulden, welche 2012 etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 4,1 Prozent der venezolanischen Exporteinnahmen betrug.

Es gibt eine Anzahl von Verzerrungen und Problemen innerhalb der Wirtschaft Venezuelas  – wiederkehrende Engpässe einbegriffen. Einige darunter haben mit dem Management des Wechselkurssystems zu tun. Doch keines dieser Probleme stellt eine systematische Bedrohung dar, wie etwa die Immobilienblasen in den USA, Großbritannien, Spanien und anderen Ländern aus dem Jahr 2006. Diese stellten in der Tat Ungleichgewichte dar, die einen wirtschaftlichen Zusammenbruch unvermeidbar machten.

Trotz des in den Medien überrepräsentierten Wunschdenkens wird Venezuelas Wirtschaftswachstum höchstwahrscheinlich für viele weitere Jahre anhalten, solange wie die Regierung Wachstum und Beschäftigung fördert.


Mark Weisbrot ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Kolumnist und Ko-Direktor des Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington, D.C. Er schreibt als Kommentator in Publikationen wie der New York Times, im britischen The Guardian und in Brasiliens größter Tageszeitung Folha de S. Paulo. Dieser Text erschien zuerst mit dem Titel "Venezuela's devaluation doom-mongers" auf guardian.co.uk.