Der Text erscheint in der Ausgabe 467 der Lateinamerikanachrichten.
Krankheiten, Nahrungsknappheit, Vertreibung. Damit muss die Bevölkerung der nordkolumbianischen Provinzen Guajira und Cesar als Folgen des Steinkohleabbaus leben. Die Kohleproduktion in Kolumbien liegt komplett in den Händen von multinationalen Konzernen. So gehört Cerrejón, der mit 69.000 Hektar größte Tagebau Lateinamerikas, den Firmen Xtrata, BHP Billington und Anglo American. Aus Cesar exportieren hauptsächlich Drummond und Glencore. Der Rohstoff landet schließlich zum großen Teil bei den Energieversorgern RWE, E.ON, ENRW, STEAG und Vattenfall. Auf Einladung von FIAN und Urgewald berichteten Óscar Guariyú und Petra Langheinrich in Deutschland über die hohen Kosten der deutschen Energie für Menschen und Umwelt in Kolumbien. Guariyú ist der Präsident von AACIWASUG, der Vereinigung der indigenen Wayúu-Räte aus dem Süden der Guajira, und Langheinrich arbeitet für das Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo CAJAR.
Eins der gravierenden Probleme des Tagebaus Cerrejón in La Guajira ist die "unheimlich hohe Staubbelastung" vor allem durch die täglichen Sprengungen, erklärt Langheinrich. Laut Guariyú sind allein im benachbarten indigenen Schutzgebiet Provincial zwischen 2000 und 2010 zehn Menschen wegen des Kohlestaubs an Erkrankungen der Atemwege gestorben. Hinzu kommt nach 30 Jahren Existenz von El Cerrejón die Zerstörung der Lebensgrundlage der Bevölkerung in dieser Region. "Vor der Ankunft des multinationalen Unternehmens hatten wir gut gelebt. Wir lebten von der Fischerei, wir züchteten Tiere, jagten und betrieben Nahrungsmittelanbau. Wir mussten keine Not leiden", erzählt Guariyú. Aber die Mine hat circa 60.000 Menschen vertrieben, ihre Abfälle haben das knappe Wasser der Wüste verschmutzt und ihr Staub hat Pflanzen ausgerottet. 64 Prozent der Provinzbevölkerung leben heute in der Bedürftigkeit.
Die Mine hat Dörfer "gefressen". Ganze Ortschaften sind unter den Baggern verschwunden, während ihre Einwohner oft gewaltsam vertrieben wurden. Deshalb brachten die Erweiterungsprojekte das Fass zum Überlaufen. Die Umleitung des Flusses Ranchería auf einer Länge von 26 Kilometern, um die darunter liegende Kohle abzubauen, rief eine starke Mobilisierung der Bevölkerung von La Guajira hervor. Den illegalen Versuchen der Firma, die Zustimmung der Wayúus mit Geschenken zu erkaufen, sind die Indigenen mit dem selbstorganisierten AACIWASUG entgegen getreten. "Wir sind jetzt alle vereint und entschlossen, die Umleitung des Flusses bis zur letzten Konsequenz zu verhindern", versichert Guariyú. Cerrejón hat zwar das Projekt eingestellt, aber "es geht ja um den Abbau von 500 Millionen Tonnen Kohle; die Firma wird dies mit Sicherheit nicht aus den Augen verlieren", fügt der indigene Anführer hinzu.
Gerade das sei der Grund, vermutet Gurariyú, weshalb im letzten Monat die Militarisierung um Provincial herum zugenommen hat. Das Unternehmen und das Militär beschuldigen die Gemeinde, Kämpfer der FARC-Guerilla bei sich zu beherbergen. "Aus den Hubschraubern leuchten sie uns in der Nacht mit leistungsstarken Lampen an. Sie bewachen uns ständig. Auch tagsüber. So will das Unternehmen Druck auf uns ausüben", klagt der Präsident von AACIWASUG. Er befürchtet, die Einschüchterungsversuche könnten sich noch verschlimmern. "Sie wollen, dass wir wegziehen. Aber das werden wir nicht tun".
Die Sorgen der Gemeinde Provincial sind nicht unbegründet. Menschen und Organisationen, die den Bergbauunternehmen in die Quere kommen, werden oft von Paramilitärs angegriffen. Nach einem Streik der Gewerkschaft von Cerrejón (Sintracarbón) wurde Anfang April ein Attentat auf eines ihrer Mitglieder verübt und im Monat davor wurde neben dem Gebäude der Gewerkschaft der Drummond (Sintramienergética) in der Provinz Cesar eine Bombe gelegt, so Langheinrich. Ebenso Anfang April erklärten die Paramilitärs "Los Rastrojos" das Anwaltskollektiv CAJAR sowie beide Steinkohlegewerkschaften neben einer langen Reihe von Aktivisten und sozialen Organisationen zu militärischen Zielen. Sie würden "in irgendeinem Ort Kolumbiens sterben", versprach das Komuniquée der rechten Gruppe. Dass solche Drohungen gerade bei Arbeitern der Drummond nicht einfach ignoriert werden können, zeigt der Mord an den Gewerkschaftern der Sintramienergética Valmore Locarno, Victor Hugo Orcasita und Gustavo Soler im Jahr 2001.
Laut Langheinrich hat die Untätigkeit der kolumbianischen Regierung gegenüber den Konzernen unter anderem mit dem als "Drehtüreffekt" bezeichneten Phänomen zu tun. "Die Politiker wechseln als Führungskräfte zu den Multis und auch umgekehrt". Beim Bergbausektor erfolge das systematisch. Solche Wechsel seien auch im internationalen Bereich zu beobachten. Zum Beispiel gehört die Ex-Direktorin der Abteilung für "soziale Standards" von Cerrejón ironischerweise zur UNO-Arbeitsgruppe für "Menschenrechte und internationale Unternehmen."
Aber auch die deutsche Politik schaut nur zu, obwohl Kolumbien nach dem Stand von 2011 der größte Kohlelieferant Deutschlands geworden ist. Trotz der "Energiewende wollen Bundesregierung und Energieversorger in den kommenden Jahren die Energieerzeugung durch Steinkohle massiv ausbauen", bemerken FIAN und Urgewald im ihrem Dossier Bitter Coal. Deshalb ist ein Schreiben von RWE vom Februar nicht verwunderlich, in dem die Firma äußert, sie "sehe derzeit keinen Grund, die Vertragsbeziehungen mit Drummond auszusetzen". Dabei kontrollieren die Kommunen an Rhein und Ruhr circa ein Viertel der RWE-Anteile, so die Recherchen der NGOs. Kurz vor der erwähnten Mitteilung hatte ein kolumbianisches Gericht einen Subunternehmer der Drummond zu 38 Jahre Freiheitsentzug verurteilt und Ermittlungen gegen Führungskräfte der Firma, einschließlich dem CEO Gary Drummond, angeordnet.
Laut jüngsten Bekundungen von RWE soll die Firma die vertraglichen Beziehungen zu Drummond erst mal bis Ende April eingestellt haben, bis die Rechtslage der Drummond klarer wird. Die Situation der Wayúus hingegen scheint kein Grund für eine mögliche Beendigung des Vertrags mit Cerrejón zu sein. Das ist der Eindruck von Langheinrich, nachdem sie und Guariyú der Aktionärsversammlung des Stromproduzenten beigewohnt haben. Doch auch E.ON, ENRW, Vatenfall oder STEAG weichen in der Praxis der sozialen Verantwortung aus, über die sie in ihren Firmenpräsentationen gerne reden. "Generell spricht man hier in Deutschland viel über grüne und ökologische Produkte, aber wenn es um die Vertreibung von Indigenen oder gravierende Umweltschäden weit weg geht, dann wird weggeschaut", klagt Langheinrich. "Und das nur, damit hier in einem Industrieland alles perfekt am Laufen bleibt."