Ecuador: Sieg, Verrat, in die Falle getappt?

Kann die Conaie überhaupt im Namen der breiten Protestbewegung sprechen? Das ist eigentlich auszuschließen

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Indigene und Regierung haben am späten Sonntagabend vereinbart, das Dekret zu Streichung der Subventionen von Treibstoff "ersetzen" zu wollen
Indigene und Regierung haben am späten Sonntagabend vereinbart, das Dekret zu Streichung der Subventionen von Treibstoff "ersetzen" zu wollen

Vom Bürostuhl aus zu entscheiden, ob die Übereinkunft des Indigenenverbandes Conaie und des Präsidenten Lenín Moreno einen Sieg gegen den IWF (Conaie-Version) oder eher einen erfolgreichen Schritt gegen die rebellische Bewegung bedeutet, ist natürlich unmöglich.

Angesichts der massiven Repression (möglicher Einsatz von Scharfschützen, hunderte von Verletzten, mehrere Tote u. a.), aber auch der mit den landesweiten Straßenblockaden verbundenen Versorgungskrise wäre ein realer Kompromiss keineswegs abzulehnen.

Einige Elemente der Übereinkunft werfen aber Fragen auf:

1. Zwar wurde der Teil des bisherigen Dekrets 883, der die im Zentrum stehende Streichung der Subventionen für Benzin und Diesel beinhaltete, als abgeschafft bezeichnet, doch kommen erste Zweifel auf. Der indigene Präfekt (gewählter Gouverneur) der Provinz Azuay, Yaku Pérez Guartambel, warnte schon, dass das Dekret immer noch nicht abgeschafft sei und sagte: "Wenn sie uns hereingelegt haben, kehren wir auf die Straße zurück". Von Regierungsseite wird erklärt, die Abschaffung erfolge automatisch, sobald die Kommission Regierung/Conaie ein neues Dekret ausgearbeitet habe.

2. Dies aber ist ein weiteres Problem. Bisher ist nichts Konkretes über den möglichen Inhalt eines neuen Treibstoff-Dekrets bekannt. Kauft die Conaie eine Katze im Sack? Wird sie wie lange nach dem Amtsantritt der Regierung Moreno wieder zur Erkenntnis durchstoßen, dass sie getäuscht worden sei? Überdies: Kann die Conaie überhaupt im Namen der breiten Protestbewegung sprechen? Das ist eigentlich auszuschließen.

3. Auch wenn das Treibstoffdekret tatsächlich so verändert würde, dass es nicht mehr offen antisozial daherkäme – über die vom IWF oft propagierte Schiene: Subventionen nur für die Allerbedürftigsten – bleiben andere IWF-Diktate in Kraft, insbesondere die Lohnkürzung um 20 Prozent für die Staatsangestellten (es sollen weitere Budgetkürzungen in Vorbereitung sein). Wird dies z. B. der Gewerkschaftsverband FUT schlucken? Werden die Angestellten selber klein beigeben müssen?

4. Conaie-Chef Jaime Vargas und Lenín Moreno waren sich bei ihrem gestrigen Treffen im verbissenen Anti-Corrreismus einig. Moreno: Das Abkommen sei "eine Lösung für den Frieden und das Land. Der Frieden wird wieder hergestellt und der correistische Putsch und die Straflosigkeit sind gestoppt." Und Vargas: "Gabriela Rivadeneira, Virgilio Hernández, José Serrano haben uns als Terroristen tituliert, weil wir in Verteidigung unserer Rechte die Strassen blockiert haben. Sie sind die wahren Terroristen, die von der Polizei verfolgt werden müssen."

Die drei Genannten sind bekannte Correistas. Vargas lügt, aber er weiß, woher der Wind weht. Gabriela Rivadeneira, die ehemalige Chefin von Parlament und linker Fraktion, flüchtete vorgestern mit ihren zwei 9- und 12-jährigen Kindern, die an diesem Tag der militärischen Ausganssperre auch Drohungen erhalten hatten, ins Asyl der mexikanischen Botschaft. Ihre Verhaftung wegen "Drahtzieherschaft beim Putsch", also dem Widerstand gegen die IWF-Diktate, drohte offenbar in kürzester Zeit (siehe ihr Communiqué zur Flucht in die Botschaft). Wenige Tage vorher hatte Ricardo Patiño, ehemaliger Außenminister unter Präsident Rafael Correa und später, als dieser nicht mehr ins Land konnte, Chef der linken Partei, in Mexiko Asyl erhalten. Er hatte sich noch vor Beginn der Unruhen abgesetzt, nachdem seine Verhaftung unmittelbar drohte. Anklage: Er hatte schon vor einiger Zeit in einer Rede zum Widerstand gegen die neoliberale Regierung Moreno aufgerufen, was dieses als Anstachelung zum Terrorismus wertete.

5. Heute ist die Präfektin der Provinz Pichincha (mit der Hauptstadt Quito), Paola Pabón, verhaftet worden. Sie hatte letzten Februar die Präfektur gegen den Kandidaten Morenos deutlich gewonnen. Ihr wird vorgeworfen, eine Drahtzieherin von "Vandalenakten" gewesen zu sein. Die Justiz ermittelt folgsam, nachdem Moreno Pabón am 7. Oktober zusammen mit Correa, Patiño, Virgilio Hernández und natürlich – wie Washington – Venezuelas Präsident Nicolás Maduro der Urheberschaft am "Putsch" bezichtigt hatte.

Gestern ist die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Durán, einer großen Vorstadt der Wirtschaftsmetropole Guayaquil, verhaftet worden. Alexandra Arce hatte die Wahlen gegen den früheren konservativen Bürgermeister gewonnen. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, bei der Hausdurchsuchung seien «auf der Suche nach mutmaßlichen Botschaften» im Zusammenhang mit den Protesten Computer und Handys beschlagnahmt worden.

6. Wohin geht die Conaie-Führung? Welche Linie verfolgt sie? Wie repräsentativ ist sie für die indigenen Gemeinschaften generell? Betreibt sie ein Powerplay und/oder kämpft sie real für die Rechte ihrer Basis? Ihre "antiterroristische" Übereinstimmung mit Moreno wirft schwere Fragen auf.

Für den Moment dürfte die äußerst unpopuläre Regierung des US-Statthalters Moreno gestärkt sein. Die Massenforderung "IWF raus" geht in der Conaie-Führung derzeit ohnehin vergessen. Aber wohl nicht in den unweigerlich kommenden neuen Sozialkämpfen. Wie weit wird die Regierung in der Verfolgung der Linken gehen, um diese möglichst zu verhindern? Kommt es zu vertieften Allianzen unten?