Urbane Landwirtschaft in Venezuela: Gelebte Solidarität im Zentrum von Caracas

Der Conuco Argelia Laya geht auf eine Initiative von Nachbarinnen zurück, die ein verwahrlostes Grundstück besetzten. Heute werden dort Heilkräuter und Gemüse angebaut

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Vor allem Frauen tragen das Projekt
Vor allem Frauen tragen das Projekt

Auch in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen und inmitten der wirtschaftlichen und sozialen Krise durch Covid-19 gibt es noch Alternativen. Sie zeigen sich in der realen Begegnung, die das Arbeiten im Kollektiv befördert und widersetzen sich einem Modell des distanzierten und entmenschlichten Lebens.

Aus dieser kollektiven Zusammenkunft und der Notwendigkeit, sich mit Freund:innen, Kampfgefährt:innen, Nachbar:innen und Bekannten zu treffen, entstand ein städtischer Garten, ein "Conuco"1 in der Avenida La Salle am Plaza Venezuela im Zentrum der Hauptstadt Caracas.

Benannt ist er nach Argelia Laya, in Erinnerung an diese herausragende politische Aktivistin, die die Rechte der Frauen im Venezuela des 20. Jahrhunderts verteidigte2.

Der städtische Conuco Argelia Laya geht auf eine Initiative von Nachbarinnen der Gemeinde El Recreo zurück. Sie beschlossen, sich für eine Intervention im öffentlichen Raum zusammenzuschließen. "Am Anfang haben wir uns als Nachbarinnen versammelt. Wir verspürten die Notwendigkeit, beieinander zu sein und ein gemeinsames Interesse zu teilen. In diesem Fall bestand unser gemeinschaftliches Projekt in unserem Bedürfnis, zu säen, mit den verschiedenen Saaten unserer Nahrungsmittel zu experimentieren und einen Einfluss auf die Umgebung zu haben", berichtete Alejandra Laprea, die eine Straßenecke vom Conuco entfernt lebt und dem Kollektiv "Las Yerbateras" (Die Kräuterhändlerinnen) angehört.

"Zwischen uns gab es viele Übereinstimmungen, unter anderem entschieden wir, einen Garten mit Heilpflanzen anzulegen, um mit unseren Nachbar:innen im Kampf gegen Covid und andere Krankheiten zusammenzuarbeiten. Das heißt, wie pflanzten die Heilkräuter an, bei denen Hinweise auf eine Wirksamkeit gegen das Virus bestanden. Danach dachten wir darüber nach, was die Aneignung des öffentlichen Raumes bedeutet und zu welchem Zweck wir uns in einem öffentlichen Raum bewegen wollten", sagte Laprea.

Über die Ernte hinaus wachsen Menschen zusammen

Für Alejandra sind "Menschen mit gemeinsamen Interessen" das Erste, was der Conuco an Ertrag erbracht hat. "Wir denken zusammen darüber nach, was wir produzieren, warum wir produzieren und wie wir die Produktion verteilen. Wir nehmen uns eine andere Form des Wirtschaftens vor, die uns erlaubt, zu experimentieren; eine feministische Ökonomie, die eine andere Art der Beziehung zueinander und zur Natur einfordert. Da viele von uns Kinder der Städte sind, haben wir manchmal keine Vorstellung vom Anbau und der Erde. 'Argelia Laya' ist daher ein Ort des Experimentierens und des Austauschs von Wissen", betonte Laprea.

Belén Navarro, Mitglied des Conuco Argelia Laya, stimmt Laprea zu. Bei der Entstehung dieses Projektes liegt der Schwerpunkt darauf, dass "die Städte nachhaltig sein müssen und dass wir unsere Lebensmittel selbst produzieren sollten". Das Konzept der "Lebensmittelproduzierenden Städte" machte hier die Runde, wie Alejandra hervorgehoben hat. Dem liegt die Idee zugrunde, dass, wenn diese Erfahrungen gemacht werden, "die Menschen anfangen, sich um die öffentlichen Räume zu kümmern und ihre menschlichen Beziehungen zu verbessern, die sozialen Beziehungen unter uns zu verbessern", ergänzte Navarro, die ebenfalls Nachbarin der Gemeinde El Recreo ist.

Im Prozess des kollektiven Lernens haben die Teilnehmer:innen des städtischen Conuco Argelia Laya mehr als 15 Heilpflanzen gesät, darunter Zitronengras, Oregano, Zitronenmelisse, Boldo, Minze, Lavendel, Anis und andere. Außerdem haben sie Yucca, Chayote, Tomate, Mangold, Gurke, Salat, Paprika, Chili und Sonnenblumen angepflanzt. Die meisten Heilpflanzen werden geerntet, darüber hinaus gibt es einige Wildkräuter, die bestimmt und gepflegt wurden.

"Wir haben Mais, Mangold, Gurke und Salat geerntet. Zudem haben wir an anderen Orten der Vernetzung mit Produzent:innen teilgenommen, wie der Conuquera-Messe. Wir haben Bündel aus Heilpflanzen mitgenommen, zum Austausch und um unseren Conuco vorzustellen, in dem wir die verschiedenste Arten haben", erzählte Belén Navarro.

Vom "verlassenen" zum zurückgewonnen Raum

Belén und Alejandra berichteten, dass das Gebiet, in dem sich nun der Conuco Argelia Laya befindet, noch vor acht Monaten verwahrlost war und kaum von den Gemeindemitgliedern frequentiert wurde.

"Wenige Meter vom Plaza Venezuela entfernt erstreckte sich ein sehr unsicheres Gelände. Das Gras war sehr hoch. Es war geradezu einladend, sich dort zu verstecken und vorbeikommende Personen zu überfallen. Das Gebiet ist zudem für Prostitution auch von Minderjährigen bekannt. Außerdem wurde es als Abfallhalde und für Bauschutt zweckentfremdet", berichtete Belén Navarro.

Deshalb kam eine Gruppe von etwa zehn Personen zusammen, darunter Belén und Alejandra sowie anderen Gefährt:innen aus verschiedenen Gemeinden von Caracas, um diesen ungenutzten und verlassenen Raum in einen Ort der Gemeinschaft zu verwandeln. "Wo sich die Leute aufgerufen und eingeladen fühlen, sich zu versammeln, sich zu begegnen, etwas aufzubauen, mit dem Hund spazieren zu gehen und ein wenig Zitronengras zu pflücken, Gemeinschaft bilden zu können", sagte Alejandra Laprea.

Seit Mai 2020 begannen sie mit den Zusammenkünften, um über ein Modell des urbanen Wirtschaftens nachzudenken, die Grundreinigung durchzuführen und mit der Aussaat zu beginnen.

"Im Verlauf der Aktivitäten und der Arbeitstage, während das Gestrüpp weggeräumt und das Grundstück überschaubar wurde, haben viele Nachbar:innen ihre Dankbarkeit ausgedrückt. Zuvor wollte dort kein Mensch mehr vorbei gehen, da sich die Leute nicht sicher fühlten. Einige haben sich in die Aktivitäten mit eingebracht, obwohl die Mehrheit der Anwohner:innen schon älter ist. Und es gibt immer eine Person, die uns Wasser, Kaffee und eine Pflanze für den Conuco vorbeibringt. Von der Gemeinde werden wir gut aufgenommen", ergänzte Navarro.

Die städtischen Conucos sind oft mehr als nur die Produktionsstätten von Nahrungs- und Arzneimitteln. Ihre sozialen Dynamiken unterstützen die Transformation der gemeinschaftlichen Räume. Frauen sind stark am Projekt beteiligt. "Das feministische Kollektiv 'Las Yerbateras' ist Bestandteil des Conucos und hat seine Tätigkeit parallel zur Arbeit in dem Gebiet entwickelt, gemeinsam mit Nachbar:innen aus der Gemeinde und aus anderen Orten.“

"Las Yerbateras" organisieren die wöchentlichen Arbeitstage, vor allem an den Tagen, an denen es Lockerungen gibt. Sie organisieren die Logistik, die Materialien und die Aufgaben des Tages. "Wir haben einen bestimmten Ablauf etabliert. Bevor wir beginnen, machen wir spirituelle Körperübungen, damit wir eine Verbindung zu dem Raum aufbauen und darin arbeiten können, ohne dass die Probleme des Alltags dazwischenkommen. Inmitten der Pandemie hat dies eine therapeutische Wirkung. Danach teilen wir die Aufgaben auf und zum Abschluss ziehen wir gemeinsam Bilanz und planen für die nächsten Treffen", führte Navarro aus.

Für dieses Jahr 2021 besteht das Hauptziel der Aktivist:innen des urbanen Pflanzens darin, diese Zeit zu überstehen, indem sie alternative Formen der Produktion aufbauen. "Wir haben materielle Ziele, zum Beispiel die Besetzung des verfügbaren Raumes mit Nutzgärten. Andererseits haben wir das Ziel, die Wiederherstellung dieses Ortes dauerhaft zu machen und weitere Projekte in dem Sektor durchzuführen, in dem es leider ein großes Problem mit dem Müll gibt", zählte Alejandra Laprea auf.

So haben sich die Mitglieder des Conuco Urbano "Argelia Laya" für dieses Jahr einen Saatplan vorgenommen, der mehr Heilpflanzen beinhaltet, wie die Hibiskusblüten, sowie eine Erhöhung der Maisproduktion. Außerdem wurde vorgeschlagen, künftig Workshops, Arbeitstage oder Aktivitäten durchzuführen, die zur Beteiligung von weiteren Nachbar:innen und Interessierten an diesem gemeinsamen Ort aufrufen, um zu ernten, um die Stadt neu zu denken und zu bewohnen.

  • 1. Conuco ist ein Wort aus der Sprache der indigenen Taíno und wird in Kuba, der Dominikanischen Republik und Venezuela als Bezeichnung für die kleinbäuerliche Landwirtschaft verwendet, die sich an ökologischen Kreisläufen orientiert und von Biodiversität geprägt ist.
  • 2. Argelia Laya (1926 – 1997) war bis zu ihrem Tod Dozentin, politische Aktivistin und soziale Kämpferin. Sie verteidigte die Rechte der Frauen auf Bildung, kulturelle Teilhabe und berufliche Qualifikation und setzte sich für die Entkriminalisierung der Abtreibung ein. In den 1960er Jahren schloss sie sich dem bewaffneten Kampf der Kommunistischen Partei Venezuelas an und war unter dem Namen Comandanta Jacinta Teil der FALN-Guerilla. Argelia Laya kämpfte als Afrovenezolanerin, als Schwarze Frau, ein Zitate von ihr bringt diese Perspektive auf den Punkt: "Ich habe nie zugelassen, das ich erniedrigt werde ‒ nicht als Frau, nicht als Schwarze, nicht als Arme".