Manuela vs. El Salvador

Die Auswirkungen des absoluten Abtreibungsverbots auf Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen

Am 10./11. März 2021 befasst sich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Fall Manuela vs. El Salvador. Bei diesem Prozess geht es um die furchtbaren Konsequenzen, die Frauen in einem Land zu tragen haben, in dem Abtreibung absolut verboten ist.

Seit 1998 sind in El Salvador alle Schwangerschaftsabbrüche verboten, auch solche, die medizinisch notwendig wären. Seitdem steht jede Frau, die eine Früh- oder Totgeburt erleidet, unter dem Verdacht, ihr Kind absichtlich geschädigt oder umgebracht zu haben. Seit dem Jahr 2000 hat die Frauenorganisation Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto en El Salvador 181 Fälle von Frauen dokumentiert, die aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen wegen Abtreibung oder schweren Kindsmordes angeklagt oder verurteilt wurden, mit Haftstrafen von bis zu 50 Jahren.

Auch Ärzt:innen und Pfleger:innen wird im Strafrecht angedroht, dass sie zu Haftstrafen verurteilt werden, wenn sie eine Patientin mit Schwangerschaftskomplikationen bei Verdacht auf Abtreibung nicht anzeigen. Tatsächlich werden viele der betroffenen Frauen direkt im Krankenhaus noch ans Krankenbett gefesselt und direkt vor Ort verhaftet, weil das Personal aus Angst vor eigener Strafverfolgung und aufgrund von Geschlechtsstereotypien und entsprechender weltanschaulicher Haltung Anzeige erstattet hat. Die verhafteten Frauen werden unter Missachtung rechtstaatlicher Prinzipien vor Gericht gestellt, oft ohne einen Rechtsbeistand eigener Wahl, den sie sich in der Regel nicht leisten können. Betroffen sind meistens Frauen, die in Armut leben, aus einer ländlichen Gegend kommen, keine oder nur geringe Schulbildung haben und von der Situation völlig überfordert sind. Der Fall Manuela zeigt die Absurdität dieser Situation.

Manuelas Leidensweg

Auch Manuela konnte weder lesen noch schreiben. Sie lebte als Alleinerziehende von zwei Kindern im Alter von neun und sieben Jahren auf dem Land. Gesundheitsvorsorge oder Vorkehrungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit waren für sie nicht zugänglich. Ab 2006 litt sie unter zunehmenden gesundheitlichen Problemen, die von einer Gesundheitsstation mit Schmerzmitteln behandelt wurden, ohne die Ursache wirklich zu ergründen. In dieser Zeit wurde Manuela auch schwanger. Am 27. Februar 2008 hatte sie heftige Bauchschmerzen und erlitt eine Frühgeburt auf der Latrine, bei der sie ohnmächtig wurde. Ob das Kind bei der Geburt lebte oder nicht, wurde nie gerichtlich ermittelt. Ihre Familie fand sie und brachte sie in das zwei Stunden entfernte Krankenhaus.

Manuela hatte starke Symptome einer Präeklampsie und drohte zu verbluten. Der Arzt verschob ihre Behandlung um drei Stunden; er ging davon aus, dass es sich um eine Abtreibung handelte und erstattete Anzeige bei der Polizei. Am nächsten Tag wurde sie in schlechtem Zustand und ohne Rechtsanwalt von zwei Polizisten verhört, die sie beschuldigten, ihr Kind getötet zu haben, und sie mit Handschellen an die Trage fesselten. In dieser Situation musste sie sieben Tage lang ausharren und wurde in dieser Zeit auch vom medizinischen Personal beschimpft.

Manuela konnte sich keinen Rechtsbeistand leisten. Sie hatte drei Pflichtverteidiger, die sie am Tag des Gerichtsverfahrens zum ersten Mal sah und die sich ihre Version der Ereignisse gar nicht erst anhörten. Eine Vertretung ihrer Interessen und Rechte war so nicht möglich. Später stellte sich sogar noch heraus, dass die Polizei ihren Vater dazu genötigt hatte, ein Dokument mit seinem Fingerabdruck zu bestätigen, das er nicht lesen konnte und in dem er seine eigene Tochter anzeigte.

Manuela wurde zu 30 Jahren Haft wegen schweren Mordes verurteilt. Unter stereotypen Vorurteilen ging das Gericht davon aus, dass Manuela ihren Sohn in die Latrine geworfen habe, um eine angebliche Untreue zu verbergen und öffentliche Kritik zu vermeiden. Darüber hinaus befand das Gericht, dass der "mütterliche Instinkt" sie dazu hätte bringen müssen, einen Arzt aufzusuchen, obwohl sie ohnmächtig, blutend und bewusstlos war. Manuelas Pflichtverteidiger legte keine Berufung gegen die Entscheidung ein.

Während der Zeit in Haft wurde Manuela nicht gründlich ärztlich untersucht, obwohl sie 13 Kilogramm verlor und starken Haarausfall hatte. Nach etwa einem Jahr wurde bei ihr ein Hodgkin-Lymphom diagnostiziert – erst sehr verspätet erhielt sie eine Chemotherapie, die nicht konsequent durchgeführt wurde. In dieser Zeit musste sie weiterhin in der überfüllten Zelle im Frauengefängnis bleiben. Als es ihr immer schlechter ging, wurde sie in ein Krankenhaus gebracht und während drei Monaten ans Bett gefesselt von der Polizei bewacht. Sie starb am 30. April 2010.

Die Verletzung der Rechte von schwangeren Frauen

Manuelas Geschichte ist beispielhaft für die Verletzung der Rechte von Frauen, die Schwangerschaftskomplikationen erleiden. Das Recht auf Freiheit wird verletzt, weil diese Frauen für Verbrechen inhaftiert werden, die sie nie begangen haben. Das Recht auf gerichtliche Garantien und Rechtsschutz wird verletzt, weil Ermittlungen technisch fehlerhaft und diskriminierend durchgeführt werden. Im Fall von Manuela wurden weder die Todesursache des Kindes noch die möglichen krankheitsbedingten Ursachen für die Frühgeburt gerichtlich untersucht.

Stattdessen war die Grundannahme des Gerichts, sie sei eine unmoralische Frau, die Untreue begangen habe und das nun vertuschen wollte. Aber auch ihr Recht auf Privatsphäre und Gesundheit wurde verletzt, weil das medizinische Personal das Berufsgeheimnis verletzte und eine Strafverfolgung priorisierte. Ihr Recht auf Gesundheit wurde verletzt, weil ihr weder eine umfassende medizinische Diagnose noch eine angemessene medizinische Behandlung gewährt wurde. Eine gerichtliche Aufklärung oder sogar eine Wiedergutmachung gegenüber ihrer Familie ist bis heute nicht erfolgt.

Juristische Aufarbeitung

Im Jahr 2012 reichten das Center for Reproductive Rights und die Frauenorganisation Colectiva Feminista para el Desarrollo Local eine Petition bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) ein, um diese Vorfälle anzuprangern. Am 18. März 2017 hat die Kommission der Petition stattgegeben und beschlossen, sich weiterhin damit zu befassen. Nachdem auch die Regierung El Salvadors ihre Stellungnahme zum Fall abgegeben hatte, hielt es die Kommission am 29. Juli 2019 für angebracht, den Fall an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verweisen. Sie sah es als erwiesen an, dass der Staat El Salvador das Recht auf persönliche Freiheit, das Recht auf Schutz vor willkürlicher Verhaftung, auf Unschuldsvermutung und auf Rechtsbeistand und weitere Rechte verletzt hatte. Die öffentliche Anhörung des Falles vor dem IACHR-Gericht wird am 10. und 11. März 2021 stattfinden.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat nun über folgende Sachverhalte zu entscheiden:

  • Der Kontext der absoluten Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs stellt eine Form der Diskriminierung und geschlechtsspezifischen Gewalt dar, die sich unverhältnismäßig stark auf Frauen in verletzlichen Situationen auswirkt und die Kriminalisierung ihrer reproduktiven Prozesse, einschließlich geburtshilflicher Notfälle, erleichtert.

  • Die Weitergabe vertraulicher medizinischer Informationen von Frauen, die eine geburtshilfliche Notfallversorgung benötigen, durch Angehörige der Gesundheitsberufe an Strafverfolgungs- und Justizbehörden stellt eine willkürliche Einschränkung des Rechts auf Privatsphäre und eine Verletzung des Rechts auf Gesundheit dar.

  • Die Verhaftung von Frauen und das Anlegen von Handschellen in den Stunden unmittelbar nach einem geburtshilflichen Notfall stellt Folter und eine Verletzung der Rechte auf persönliche Freiheit und ein ordentliches Verfahren dar. Darüber hinaus sind präventive Inhaftierungen, die allein auf der vermuteten Schwere des Verbrechens basieren, willkürlich und verletzen die Unschuldsvermutung.

  • Praktiken und Überlegungen, die davon ausgehen, dass Frauen in einer Situation mit schwerem körperlichen Leiden den Fötus über ihr eigenes Leben stellen sollten, auch wenn sie bewusstlos sind, stellen Geschlechterstereotypen dar und sind daher eine Form von Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt. Sie stellen auch Hindernisse für den Zugang zur Justiz dar und beeinträchtigen insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf die Unschuldsvermutung und das Recht auf Rechtsschutz.

Die Bedeutung der Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte

Die Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs verpflichten den beklagten Staat, der Entscheidung des Gerichtshofs nachzukommen. Im Fall von El Salvador ist dies seit dem 6. Juni 1995 der Fall, dem Tag, an dem der Staat souverän die Zuständigkeit des Gerichtshofs anerkannt hat. Außerdem schaffen die Urteile des Gerichtshofs verbindliche Standards für alle Staaten, die die Amerikanische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben.

Darüber hinaus wird das Urteil des IACHR-Gerichtshofs im Fall von Manuela eine Reihe von individuellen und strukturellen Maßnahmen festlegen, die darauf abzielen, die Folgen der Verletzungen der Rechte von Manuela und ihrer Familie zu beheben sowie die Wiederholung von Ereignissen, wie sie in diesem Fall aufgetreten sind, zu verhindern.

Das Urteil wird sich also auch auf die Situation der 18 Frauen auswirken, die sich zur Zeit noch immer in Haft befinden, weil sie wegen Schwangerschaftskomplikationen angeklagt oder verurteilt sind. Amnesty International hat sich seit 2013 für die Freilassung der Frauen eingesetzt. Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 fordert Amnesty International die sofortige Freilassung der Frauen aus humanitären Gründen, weil sie in Haft einem besonders hohen Risiko einer Infektion ausgesetzt sind. "Sie hätten niemals inhaftiert werden dürfen", sagte die Amerika-Direktorin Erika Guevara Rosas in einem Interview am 19. Juni 2020. Nach der Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte wird die Regierung El Salvadors gezwungen sein, sich erneut mit diesen Fällen zu befassen.

"Fly so Far"- Dokumentarfilm über die Situation der inhaftierten Frauen in El Salvador

Am 11. März 2021 wird der Dokumentarfilm "Fly so Far" von Celina Escher beim Tempo Documentary Festival in Stockholm zum ersten Mal in Europa aufgeführt. Der Film folgt der Geschichte von Teodora, einer der Frauen, die zu 30 Jahren Haft verurteilt wurden, und nach zahlreichen internationalen Protesten bei einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurde. Auch Amnesty International hatte sich für sie eingesetzt. Wir hoffen, dass der Film auch in Deutschland gezeigt werden kann. Informationen dazu gibt es hier:

https://tempofestival.se/en/film/fly-so-far/