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Konservative Offensive in Brasilien abgewehrt: Recht auf Abtreibung bleibt bestehen

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Massiver Widerstand brachte den Gesetzentwurf PL 1904 zu Fall
Massiver Widerstand brachte den Gesetzentwurf PL 1904 zu Fall

Brasília. Brasilienweit wird das Recht auf Schwangerschaftsabbruch derzeit groß diskutiert. Ausgelöst wurde die Debatte vom rechten und konservativen Lager, das den Schwangerschaftsabbruch nach 22 Wochen als Mord qualifizieren und kriminalisieren lassen wollte – auch in den derzeit gesetzlich erlaubten Fällen von Vergewaltigung, Todesgefahr für Schwangere oder zerebraler Missbildung des Fötus.

Laut ihrem Gesetzesentwurf sollte die Haftstrafe bei illegaler Abtreibung von bisher vier auf sechs bis 20 Jahre heraufgestuft werden. Somit wäre das Strafmaß höher als die sechs bis zehn Jahre für Vergewaltigung.

Der Gesetzesvorschlag PL 1.904/24 wurde vom pfingstkirchlichen Kongressabgeordneten Sóstenes Cavalcanti Mitte Mai vorgelegt und durchlief am 12. Juni ein Dringlichkeitsverfahren in der Abgeordnetenkammer. Er gehört der von Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro geführten Liberalen Partei an.

Der Entwurf löste Empörung und Ablehnung aus. Es kam zu einer massiven Mobilisierungswelle seitens der Bevölkerung – auf den Straßen, in den Sozialen Medien – sowie im Nationalkongress, die schließlich zu einer überraschenden Niederlage der konservativen Initiative führte.

Der Versuch, einen Schwangerschaftsabbruch mit Mord gleichzusetzen in Verbindung mit einer unverhältnismäßigen Strafe für diejenigen, die bereits Opfer sexueller Gewalt geworden sind, sei der Grund für den Misserfolg des PL 1904 gewesen. Selbst innerhalb von Kreisen religiöser Akteur:innen sei es zur Spaltung gekommen. "Der PL des Todes kreuzigt die Unschuldigen", prangerte eine Gruppe von 150 katholischen und evangelischen Nonnen an.

"Es war nicht nur die Rückkehr auf die Straße, das Wichtigste ist die große Breite der Ablehnung des Gesetzes, die nicht zufällig geschieht, sondern aufgrund einer stillen, systematischen und kontinuierlichen Arbeit des Feminismus, der für die Abtreibung in Brasilien kämpft und nicht aufgegeben hat", sagte Sonia Corrêa, Koordinatorin der internationalen Beobachtungsstelle für Sexualität und Politik.

Nach Umfragen von Datafolha ist mit 58 Prozent die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung ab 16 Jahren gegen ein Verbot der Abtreibung in jeglicher Situation.

Die Konservativen geben sich jedoch nicht geschlagen. Der Präsident des Repräsentantenhauses, Arthur Lira, kündigte an, den Gesetzentwurf in einem Sonderausschuss zu erörtern und die Abstimmung auf die zweite Jahreshälfte zu verschieben.

Die ideologische Offensive der Ultrarechten hat sich seit der Präsidentschaft von Bolsonaro (2019-2022) verstärkt. Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf bundesstaatlicher Ebene ist die konservative Einflussnahme zu erkennen. Es wurden bereits lokale Gesetze und andere Hürden gegen den legalen Schwangerschaftsabbruch erlassen. Auch Einschüchterungsversuche von Ärzt:innen, die im gesetzlich erlaubten Rahmen Abtreibungen durchführen, kamen häufiger vor.

Mariana Tripode, Rechtsanwältin und Gründerin der ersten auf Frauenrecht spezialisierten Anwaltskanzlei in Brasilien, kritisiert die Haltung der Konservativen. Sie trage zur Aufrechterhaltung einer öffentlichen Politik bei, die die Gesundheit und Autonomie der Frauen ignoriere und die soziale Ungleichheit aufrechterhalte. "Die religiöse Einmischung in die Politik widerspricht dem in der Verfassung verankerten Prinzip des säkularen Staates", erklärte sie.

Mädchen im Alter von 14 Jahren stellen die Mehrheit der Vergewaltigungsopfer dar und wären mit dem Gesetzesentwurf die Hauptbetroffenen der Kriminalisierung. Viele dieser Minderjährigen erfahren oft spät von der Schwangerschaft – entweder, weil sie Opfer häuslicher Gewalt geworden sind oder weil sie in den öffentlichen Gesundheitszentren nicht die richtigen Informationen erhalten.

Aus offiziellen Daten des Sistema Único de Saúde, dem öffentlichen Gesundheitssystem Brasiliens, geht hervor, dass 2021 17.316 Mädchen im Alter von bis zu 14 Jahren ein Kind auf die Welt brachten. Diese Zahl ist zwar seit 2014 rückläufig, aber nur langsam.

Gegner:innen der PL verurteilen die von den Rechten geführte Debatte, die das schwierige und oft rückständige Umfeld in Bezug auf Sexualerziehung und Familienplanung in vielen Regionen Brasiliens nicht berücksichtigten. Diese fehlende Infrastruktur in Verbindung mit den lokalen auferlegten Beschränkungen hindere Betroffene daran, eine sichere medizinische Versorgung zu erhalten.

Der Atlas der Gewalt von 2024 zeigt auf, dass fast die Hälfte der Gewalt gegen Mädchen im Alter von zehn bis 14 Jahren sexueller Natur war.