Gustavo Petro beim Celac-EU-Gipfel: "Schulden gegen Klimaschutzmaßnahmen eintauschen"

amerika21 dokumentiert die Rede des kolumbianischen Präsidenten auf dem jüngsten Gipfeltreffen der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten und der Europäischen Union

Sehr geehrter Herr Präsident pro tempore,

Wir hoffen, dass unser nächstes Gipfeltreffen in der Stadt Bogotá im Jahr 2025 ebenso effizient sein wird [wie dieses], und wir damit beginnen, eine Regelmäßigkeit zu gewährleisten, die es uns hoffentlich ermöglicht, dieses Bündnis konkreter zu gestalten.

Ich möchte auf einige Punkte hinweisen, darunter einige, die ich als Schwerpunkte der organisatorischen Arbeit in Richtung 2025 sehen möchte.

Erstens: Die Friedensfrage und die Diskussion, die hier dazu stattgefunden hat. Sie in Europa haben Ihre Argumente vorgetragen. Zweifellos gibt es eine imperiale oder imperialistische Invasion in der Ukraine. Aber wie nennt man diejenige, die es im Irak gab? Oder in Libyen? Oder in Syrien? Warum ruft die in die Ukraine nun eine solche Reaktion hervor und die vorherigen dieses Jahrhunderts nicht? Wäre es nicht besser, an einem allgemeinen Konzept zu arbeiten, das es niemandem erlaubt, ein anderes Land zu überfallen? Egal, wer dieser "Niemand" ist? Zum Beispiel das Verbrechen der gewaltsamen Überschreitung von Grenzen oder der internationalen Aggression?

Und wir würden noch viel mehr zustimmen, wenn man bedenkt, dass Lateinamerika Invasionen erlitten hat und dass auch andere Länder, die nicht aus dem Norden stammen, Invasionen erlitten haben; ich rede von einem allgemeinen Konzept, das die Invasion eines Landes über ein anderes kriminalisiert.

Zweitens: Hier sind wir zweifellos unterschiedlicher Meinung, die sich auch in der Diskussion bereits gezeigt hat. Die europäische Seite hat die Idee des Handels mit Produkten vorgebracht, bei deren Herstellung keine Abholzung stattfinden soll.

Jede Art von Landwirtschaft hat jedoch bereits Entwaldung verursacht, sowohl nach ihrer Definition als auch nach unserer. Aber das sollte nicht das Kriterium für den Handel sein. Das Kriterium für den Handel sollte vielmehr der CO2-Fußabdruck sein. Und da stellt sich heraus, dass der CO2-Fußabdruck der Europäischen Union dreimal höher ist als der Lateinamerikas. Das würde kurzfristig bedeuten, dass die Exporte aus Europa auf unseren Kontinent eingestellt und unsere Exporte auf Ihren Kontinent erheblich zunehmen würden.

Es ist vielleicht noch zu früh, den CO2-Fußabdruck als Kriterium für den internationalen Handel zu verwenden. Und deshalb glaube ich, dass die vorgeschlagene Lösung, die mit dem geringen CO2-Fußabdruck Lateinamerikas zusammenhängt, der durch die Energiewende noch weiter reduziert werden könnte, eine Chance bietet, wenn die europäische Produktion nach Lateinamerika verlagert würde und wenn wir zwischen den beiden Blöcken an ein Produktionswachstum denken.

Wachsen und ein gleichzeitig ins Ausland verlagern, um dadurch den gesamten CO2-Fußabdruck unserer Volkswirtschaften zum Nutzen der Menschheit zu verringern, führt uns zu folgendem Konzept: Je mehr dekarbonisierte Produktion1 wir erreichen können, muss es gleichzeitig, wenn diese ausgelagert wird, auch mehr dekarbonisierten sozialen Wohlstand geben.

Und hier - das möchte ich betonen - schlägt der Kapitalismus uns heute einen Reichtum vor, der durch den Kohlenstoffausstoß gemessen wird: "Du bist reicher, wenn du mehr Kohlenstoff verbrauchst", sei es als Einzelperson, als Nation oder als Wirtschaftsblock. Dies führt uns zur Katastrophe des Lebens.

Was wir ersetzen müssen, ist dieses Konzept durch ein Konzept, das sich dekarbonisierter sozialer Wohlstand nennt. Mit anderen Worten, können wir in einer kohlenstofffreien Welt reich sein? Das Kriterium ändert sich also, wir können reich sein, wenn es eine intensivere Existenz gibt, wenn es mehr Kultur gibt, wenn es mehr Wissen gibt, wenn es eine andere Kultur rund um die dekarbonisierte Wirtschaft gibt.

Das führt uns zu einem vierten Punkt: Ist die Antwort auf das Thema der Migration die Einrichtung von Konzentrationslagern und physischen Barrieren für Einwanderer, wodurch ihre Menschenrechte verletzt werden? Oder sollten wir vielmehr einen Plan verfolgen, der es ermöglicht, dass dekarbonisierter sozialer Wohlstand am Herkunftsort der Einwanderer entsteht? Migration wird nicht durch Konzentrationslager gestoppt, sondern durch sozialen Wohlstand, an den Orten, wo die Migration beginnt.

Und schließlich möchte ich als Aktionslinie vorschlagen, dass das, was man als dekarbonisierten sozialen Wohlstand bezeichnen könnte, der dezentralisiert ist und nicht die gleichen Machtverhältnisse wie heute zwischen Nord und Süd aufweist, die Finanzierung des Klima-Marshallplans beinhaltet.

Die Frage ist, ob wir wirklich glauben, dass wir in Ländern, die bereits durch Covid überschuldet sind, einen Finanzierungsplan für die Energiewende mit noch mehr Schulden aufstellen können. Wenn der sogenannte europäische "Gateway"2 über Kredite führt, glauben wir dann, dass er effektiv sein wird? Oder müssen wir ein neues, anderes Feld für die Finanzierung der Energiewende schaffen, das nicht darin besteht, uns mehr, sondern uns weniger zu verschulden?

Der kolumbianische Vorschlag, der Südamerika, Afrika, [US]-Präsident [Joe] Biden und nun auch der Europäischen Union unterbreitet wurde, besteht darin, Schulden gegen Klimaschutzmaßnahmen einzutauschen, wie es Ecuador und Andere hier bereits getan haben.

Das führt uns zu einer Frage, die nicht mit einem Schuldenerlass zu tun hat, sondern mit einer globalen Währungsfrage in Form von Sonderrechten, die den Inhabern der heutigen Schulden Mittel auszahlen, die zu einer Haushaltsentlastung für jedes Land führen, vor allem für die Ärmsten, die diese Mittel für Investitionen in das Klima verwenden.

Es wäre der erste globale Klima-Marshallplan, und das setzt eine neue Governance voraus. Nur mit rhetorischen COPs [Weltklimakonferenzen] und ohne verbindliche Beschlüsse können wir ein solches Ergebnis nicht erreichen.

Mit einem verbindlichen internationalen Gremium, wie es die Welthandelsorganisation (WTO) bereits für den Handel ist, würden die Entscheidungen verbindlich gemacht, die Länder und Behörden treffen müssen, um die Zeit der Energiewende zu verkürzen und das Leben auf dem Planeten zu retten.

Vielen Dank, sehr geehrter Präsident.

  • 1. von Kohlenstoff befreite Produktion
  • 2. "Global Gateway" heißt das europäische Investitionsprogramm, mit dem die EU eine Diversifizierung ihrer Rohstoffquellen anstrebt