Entlassungen, Proteste und keine Aussicht auf Aufschwung in Argentinien

Die Regierung steckt in der Zwickmühle zwischen Inflationsbekämpfung, Arbeitsplatzabbau, sinkender Kaufkraft und Hoffnung auf ausländische Investitionen

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Ministerio de Economia
Das Gebäude des Wirtschaftsministerium in Argentinien

Buenos Aires. Laut einem Bericht des Zentrums für Politische Ökonomie (Cepa) sind in der argentinischen Privatwirtschaft zwischen November 2023 und April 2024 über 200.000 registrierte Arbeitsplätze verloren gegangen. Die meisten Stellenverluste gab es in der Bauwirtschaft, gefolgt von der Industrie.

In größeren Unternehmen gingen drei von vier Stellen verloren.

Die laufende Entlassungswelle hat auch nach April keine Ende genommen. Schätzungen zufolge gehen bis Juli mehr als 400.000 Arbeitsplätze verloren, da eine entsprechende Anzahl von Lohnkonten bei Banken aufgelöst wurde.

Bisher ist keine Entwicklung erkennbar, die diesen Trend bremsen könnte. Die Tendenz in praktisch allen Wirtschaftsbranchen zeigt weiterhin nach unten. Lediglich in der Landwirtschaft gab es im Juni gegenüber dem gleichen Monat 2023 eine leichte Erhöhung, die jedoch mit der historischen Dürre und dem daraus resultierenden niedrigen Arbeitsbedarf des Vorjahres zusammenhängt. Ohne die Landwirtschaft würde der wirtschaftliche Rückgang im Juni bei 7,6 Prozent liegen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wirtschaftsprognose für das Land jüngst nach unten korrigiert und sagt für 2024 einen Verlust des Bruttoinlandsproduktes von 3,5 Prozent voraus. Im ersten Quartal schrumpfte das BIP um 5,1 Prozent.

Zu den Entlassungen im Privatsektor kommen noch die Streichungen von staatlichen Stellen, die laut offiziellen Zahlen bei etwa 30.000 liegen. Hier gibt es allerdings eine größere Dunkelziffer, da sehr viele Zeitverträge nicht erneuert wurden und der Wegfall deshalb nicht in den Statistiken als Entlassungen auftaucht. Das erklärte Ziel der Regierung ist es, über 75.000 Stellen abzubauen. Der neue Minister für Strukturreform, Federico Sturzenegger, bereitet aktuell ein Dekret vor, nach dem 60 öffentliche Institutionen schließen sollen.

Ganze Bereiche des Staates wurden bereits geschlossen. So wurden beispielsweise 85 Prozent der Belegschaft des ehemaligen Ministeriums für Frauen, Geschlechter und Vielfalt nach Aussage des Pressesprechers Manuel Adorni "eliminiert". Darunter war auch die Präventionsstelle gegen häusliche Gewalt und deren Notfallzentrale, die ersatzlos aufgelöst wurde. Dies, obwohl die jüngsten Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt belegen, dass alle 35 Stunden im Land ein Femizid stattfindet.

Die wirtschaftliche Begründung für diese Stellenstreichungen steht indes auf wackeligen Füßen, wenn gleichzeitig der Geheimdienst des Landes neu formiert und sein  Budget um 778 Prozent auf 100 Milliarden Pesos (rund 107 Millionen US-Dollar) erhöht wird. Die Verwendung dieser Mittel ist vertraulich, eine Rechenschaftspflicht besteht nicht.

Die große Zahl an Entlassungen, die Verluste im informellen Sektor der Wirtschaft und die sinkenden Löhne und Renten drücken auf den Konsum und führen zu einer von der Regierung erhofften Bremsung der Inflation. Präsident Javier Milei selber rezitiert zwar nach wie vor sein orthodoxes Mantra, dass die Inflation ein rein monetäres Phänomen sei und nur durch die Reduzierung der Geldemission eingedämmt werde. In der Praxis wurde dies jedoch durch die brutale Reduzierung der Kaufkraft erreicht, die den tiefsten Stand seit über 30 Jahren erreicht hat.

Verschiedene Wirtschaftsexperten kritisieren deshalb, dass für eine sehr labile Eindämmung der Inflation die gesamte Wirtschaft geopfert werde. Der auf die Inflation wirkende Hebel sei nicht die vermeintliche Fiskaldisziplin, sondern die Löhne würden durch Entlassungen gesenkt und die Renten nur unzureichend angehoben. Trotzdem war die Inflation mit 4,6 Prozent im Juni noch relativ hoch und stieg seit Mai sogar wieder leicht an.

Die Ziele der Regierung sind laut Juan Luis Telechea, Direktor des Instituto de Trabajo y Economía, in der geplanten Form auch nicht umsetzbar. Es entstehe ein unlösbares Dreieck zwischen dem Wunsch, die Währungskontrollen aufzuheben, der Erwartung von höheren Dollarzuflüssen und dem Senken der Inflation. Man kann laut Telechea jeweils nur zwei Bedingungen davon einhalten, jedoch nicht alle drei, ohne die Kontrolle zu verlieren. Eine Zeitlang hatte man einen relativen Erfolg dabei, die Reserven zu erhöhen und die Inflation zu bremsen.

Laut dem ACM-Ökonomen Francisco Ritorto erschwert eine geringere Menge an Reserven die Wechselkursflexibilität. "In der gegenwärtigen Situation werden Pesos abgebaut, aber keine Dollars gekauft, oder dies geschieht in einem langsameren Tempo. Heute befinden wir uns immer noch im Bereich negativer Reserven, und das behindert die Akkumulation."

In einer solchen Situation besteht laut El Economista die Gefahr, dass die Zentralbank die Kontrolle über den Wechselkurs verliert und die Inflation wieder steigt.

Eine Änderung der Situation könnte nur durch eine größere Finanzspritze von Außen erzielt werden. Die Möglichkeit einer Unterstützung aus der Volksrepublik China wurde jedoch durch das diplomatische Ungeschick Mileis und seiner Außenministerin Diana Mondino ruiniert.

Milei baute bisher auf den IWF als Geldgeber, der jedoch angeblich Finanzminister Luis Caputo misstraut. Caputo wird dafür verantwortlich gemacht, dass das letzte große IWF-Darlehen unter Präsident Mauricio Macri größtenteils in der Kapitalflucht versickerte. Aus diesem Grund hatte die Finanzorganisation im Jahr 2018 schon einmal seine Ablösung verlangt.