Argentinien: Regierung Milei beschließt Massenentlassungen im öffentlichen Dienst

Zehntausende betroffen. Auch Suspendierung von 11.000 Kooperativen. Großdemonstrationen zum Jahrestag des Militärputsches

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Großdemonstration zum Gedenken an die Diktatur und gegen die aktuelle Politik von Javier Milei
Großdemonstration zum Gedenken an die Diktatur und gegen die aktuelle Politik von Javier Milei

Buenos Aires. Präsident Javier Milei hat in einer Rede vor internationalen Unternehmern auf dem Wirtschaftsforum IEFA Latam Massenentlassungen im öffentlichen Dienst angekündigt. Im Halbdunkel und mit gedimmtem Licht, um sein Doppelkinn zu kaschieren, erklärte Milei, dass er bereits 50.000 Menschen entlassen habe und weitere 70.000 entlassen wolle, dass aber 70 Prozent der Argentinier weiterhin zu ihm halten würden.

Diese Zahlen scheinen jedoch nicht zu stimmen: Bisher sollen etwa 12.000 bis 15.000 Menschen entlassen worden sein. Bei den übrigen Entlassungen handele es sich um geplante Streichungen, relativierte der Regierungssprecher später die Angaben des Präsidenten.

Opfer der Entlassungen gab es in den verschiedensten Behörden und Ämtern. Es wurden jedoch nicht nur große Behörden abgespeckt, sondern auch kleine schlanke und teilweise unterbesetzte Institutionen wie beispielsweise die Nationalparkbehörde. Betroffen sind aber auch Behörden mit hochqualifiziertem Personal wie die Atombehörde oder der staatliche Wetterdienst. Besonders hart traf es zum Beispiel die staatliche Rentenverwaltung (Anses), bei der ganze Niederlassungen geschlossen wurden, was zu einem Chaos in der Arbeit der Behörde führte.

Die Opposition, aber auch regierungsfreundliche Medien, kritisieren die Planlosigkeit und Härte der Maßnahmen. Die Entlassungen folgen keiner betrieblichen Logik. Es wurden auch Personen in Mutterschaftsurlaub oder mit Krankmeldungen entlassen. Zum Teil handelt es sich um zeitlich begrenzte Verträge, die nicht erneuert werden, vielfach wurden jedoch Leute mit vielen Dienstjahren entlassen.

Bemängelt wurde auch, dass dies unweigerlich zu Klagen und hohen Entschädigungen führen wird, da die Justiz die von Milei per Dekret erlassene Arbeitsrechtsreform als verfassungswidrig außer Kraft gesetzt hatte und der Entlassungswelle damit weitgehend die rechtliche Basis fehlt.

Argentinien hat weder ein besonders hohen Anteil an staatlichen Beschäftigten noch ein überdurchschnittliches Haushaltsdefizit, daher wird der Sinn der Maßnahmen von Kritikern in Frage gestellt. Hoch ist dagegen das Sekundärdefizit. Dieses ist auf die hohen Schuldendienste für Darlehen zurückzuführen, die unter Präsident Mauricio Macri - und unter Mitwirkung des heutigen Wirtschaftsministers Luis Caputo - aufgenommen wurden. Hier will Milei jedoch nicht ansetzen und plant stattdessen ein weiteren Kredit vom IWF über 15 Milliarden Dollar aufzunehmen, wozu er bisher jedoch keine Zusagen hat.

Die Regierung kündigte auch die Suspendierung von 11.000 Kooperativen, die staatliche Unterstützung erhielten, mit der Begründung an, es hätte dabei Unregelmäßigkeiten gegeben. Ebenso wurden in einer äußerst umstrittenen Maßnahme die Zahlungen für Medikamente an Krebspatienten und andere schwer chronisch Kranke ausgesetzt, ebenfalls wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten. Aufgrund der negativen Resonanz wurden einige Fälle wieder aufgenommen, allerdings nur ein kleiner Teil der früheren Empfänger. In mindestens einem Fall war der Patient bereits verstorben.

Derweil gehen die Demonstrationen weiter. Die Demonstrationen am 24. März, zum Gedenktag des Putsches von 1976, waren die größten seit Jahrzehnten und gelten auch als Protestmarsch gegen die Regierung, da Milei und seine Vizepräsidentin Victoria Villaruel die Verbrechen der Diktatur offen relativieren.

Ein Demonstrationszug von Menschenrechtsorganisationen und verschiedenen politischen Parteien startete am frühen Morgen an der Gedenkstätte ESMA, dem ehemaligen Folterzentrum der Diktatur, und wuchs auf dem Weg ins Stadtzentrum zu einer riesigen Menschenmenge an. Hunderttausende füllten schließlich den Maiplatz und die angrenzenden Straßen. Auch in anderen Städten waren die Demonstrationen größer als in den Vorjahren.

Die Regierung veröffentlichte zum Gedenktag einen als revisionistisch eingestuften Kurzfilm, der dazu aufrief, die "ganze Geschichte" zu betrachten. Als Sprecher trat Juan Bautista Yofre auf, der sich als Schriftsteller ausgab. Yofre hat tatsächlich einige Bücher veröffentlicht, war aber auch ehemaliger Chef des staatlichen Geheimdienstes SIDE. Zuvor hatte er im berüchtigten Batallón 601 de Inteligencia Militar gedient. Sein älterer Bruder war enger Mitarbeiter des Diktators Videla. In seinen Büchern greift er offensichtlich auf Informationen aus den verschollenen Geheimdienstakten des Militärs zurück. Die Herausgabe dieser Geheimdienstakten wird von Menschenrechtsorganisationen seit Jahren vergeblich gefordert.

Verteidigungsminister Luis Petri hat jedoch gerade die Abteilung des Verteidigungsministeriums aufgelöst, die für die Aufarbeitung der Militärarchive der Diktatur zuständig war. Diese Abteilung hatte in den Prozessen wegen Menschenrechtsverbrechen oft nützliche Dokumente geliefert.