Die Strategie der Pazifik-Allianz

Berlin intensiviert seine Beziehungen zur neuen lateinamerikanischen "Pazifik-Allianz" und verstärkt damit Spannungen auf dem Subkontinent

lateinamerika-verein.jpg

Internetseite des Lateinamerika-Vereins mit einem Bericht über den "Lateinamerika-Tag"
Internetseite des Lateinamerika-Vereins mit einem Bericht über den "Lateinamerika-Tag"

Die Pazifik-Allianz, ein Zusammenschluss von vier Pazifik-Anrainern in Lateinamerika, ist neoliberal orientiert und über Freihandelsabkommen eng mit EU und USA verbunden. Sie erstarkt zur Zeit recht rasch und bedroht auf lange Sicht unter anderem die Stellung Brasiliens, der bislang stärksten Wirtschaftsmacht des Subkontinents. Vor allem aber richtet sie sich gegen das lateinamerikanische ALBA-Bündnis um Venezuela, das sich um eine eigenständige Entwicklung inklusive einer stark sozial orientierten Politik bemüht. "Die Strategie der Pazifik-Allianz" sei "nicht nur kommerziell", sie sei darüber hinaus auch "eine politische und militärische Strategie, die den Washington Consensus wieder in Kraft setzen soll", urteilt ein Minister des ALBA-Mitglieds Bolivien. Die Bundesrepublik hat zu Monatsbeginn Beobachterstatus bei der Pazifik-Allianz erhalten, die deutsche Wirtschaft baut die Geschäfte mit ihr aus. Abgesehen davon, dass sie die Spannungen in Lateinamerika verstärkt, bereitet die Allianz die Positionen des Westens im Jahrhundert-Konflikt zwischen China und den USA mit vor.

Die Pazifik-Allianz (Alianza del Pacífico) ist am 6. Juni 2012 im nordchilenischen Antofagasta gegründet worden. Ihr gehören bisher Chile, Peru, Kolumbien und Mexiko an; Costa Rica befindet sich im Aufnahmeprozess, Panama soll bald folgen. Weitere Staaten Lateinamerikas könnten sich ebenfalls anschließen. Bereits heute erwirtschaftet die Pazifik-Allianz gut ein Drittel des gesamten lateinamerikanischen Bruttoinlandsprodukts. Sie setzt auf aggressiven Freihandel und hat unlängst beschlossen, sämtliche Handelsschranken zwischen ihren Mitgliedern zu beseitigen; damit könne sie zur achtgrößten Volkswirtschaft weltweit werden, heißt es in einer aktuellen Analyse des German Institute of Global and Area Studies (GIGA).1.

Letztes Jahr konnten ihre Mitglieder 41 Prozent der Auslandsinvestitionen in der Region an sich ziehen und wickelten die Hälfte des gesamten lateinamerikanischen Außenhandels ab; dabei liegt ihr Handelsschwerpunkt eindeutig in der Pazifik-Region, insbesondere in Ostasien. Wirtschaftskreise sind an ihr ungemein interessiert; die Deutsche Bank versah im Sommer eine Kurzanalyse über die Allianz mit der Überschrift "Lateinamerikas neue Stars".

Nicht nur, aber insbesondere auch aus wirtschaftlichen Gründen nähern sich zahlreiche Staaten der Pazifik-Allianz an und haben inzwischen Beobachterstatus bei ihr erhalten. Dazu zählen nicht nur sieben Länder Lateinamerikas, sondern auch fünf ostasiatisch-pazifische und eine Reihe europäischer Staaten sowie die USA und Kanada. Bis auf China gehören sie alle zum westlichen Bündnissystem. Auch die Bundesrepublik hat seit diesem Monat Beobachterstatus. Die Allianz ist ein thematischer Schwerpunkt beim diesjährigen "Lateinamerika-Tag" (4./5. November) gewesen, der wichtigsten Tagung des Außenwirtschaftsverbandes Lateinamerika-Verein; Außenminister Westerwelle führte am Rande der Tagung Gespräche mit den Außenministern Chiles und Kolumbiens, die dort als Redner auftraten. Beide "begrüßten das deutsche Interesse an dem lateinamerikanischen Verbund", schreibt das Auswärtige Amt. 2 Der Lateinamerika-Verein unterstützt den Ausbau der deutschen Wirtschaftskontakte zur Pazifik-Allianz. Aus Sicht deutscher Unternehmen ist es überaus günstig, dass sämtliche vier Mitglieder des Bündnisses nicht nur mit den USA, sondern auch mit der EU Freihandelsabkommen geschlossen haben.3

Jenseits der Geschäftschancen, die sich auch deutsche Unternehmen erhoffen, ruft die Pazifik-Allianz schon jetzt neue Spannungen hervor - auf verschiedenen Ebenen. So sieht etwa Brasilien seine bisherige Stellung von ihr bedroht. Während Brasiliens Wirtschaftsbündnis, der südamerikanische Mercosur, weder im Binnen- noch im Außenhandel Fortschritte macht, entwickelt sich die Pazifik-Allianz rasch weiter. Bislang war Brasilien der wichtigste Wirtschaftsstandort auswärtiger Firmen auf dem Subkontinent. Die Pazifik-Allianz droht dem Land jedoch künftig Investitionen abspenstig zu machen. Auch wächst ihre Wirtschaft deutlich schneller als die brasilianische, was in Brasília ebenfalls Befürchtungen über einen Einflussverlust nährt. Das hängt auch mit den aktuellen weltpolitischen Verschiebungen zusammen. "In den vergangenen Jahrzehnten prosperierte vor allem die Atlantikseite des Kontinents", hieß es mit Blick auf die transatlantische Epoche im September in einem Pressebericht; mit dem Aufstieg Chinas boome jedoch vor allem der Handel mit der Volksrepublik; daher bildeten nun die lateinamerikanischen Pazifik-Staaten "eine neue Wachstumsachse".4

Noch stärker ins Gewicht fallen die Spannungen zwischen der Pazifik-Allianz und dem ALBA-Bündnis um Venezuela. Die Pazifik-Allianz biete "der US-Regierung neue Möglichkeiten, ihre Freihandels-Agenda in Lateinamerika voranzubringen", heißt es in der GIGA-Analyse. Genau dies läuft den Interessen von ALBA diametral entgegen. Der Präsident des ALBA-Mitglieds Ecuador, Rafael Correa, urteilte Ende Juli, es gebe "zwei entgegengesetzte Visionen von der Welt: Neoliberalismus und Freihandel auf der einen Seite und auf der anderen diejenigen, die an Sozialismus und an garantierte Rechte glauben; die nicht an Freihandelszonen glauben, sondern an Zonen, die frei von Hunger und frei von Armut sind". Wenige Tage später äußerte sich das Foro de São Paulo, ein linksorientierter Zusammenschluss, ebenfalls zu dem neuen Staatenbund. Es stufte ihn als ein Projekt ein, das "von äußeren Mächten inspiriert" sei - "mit dem Ziel, die regionale Integration (Lateinamerikas, d. Red.) zu zerbrechen und zu sabotieren". Ein Minister des ALBA-Mitglieds Bolivien erklärte im Sommer, "die Strategie der Pazifik-Allianz" sei "nicht nur kommerziell", es sei vielmehr "eine politische und militärische Strategie, die den Washington Consensus wieder in Kraft setzen soll".5

Der "Washington Consensus" umschreibt ein Bündel neoliberaler Maßnahmen im Sinne der überkommenen westlichen Hegemonie.

Jenseits neuer Spannungen in Lateinamerika bereitet die Pazifik-Allianz, mit der Deutschland immer enger kooperiert, den großen Konfliktkonstellationen des 21. Jahrhunderts den Boden. Weil China ungebrochen erstarkt, hat Washington 2011 offiziell das "Pazifische Jahrhundert" ausgerufen und bereitet sich auf einen umfassenden Machtkampf gegen die Volksrepublik vor. 6

Dazu gehört auch das Bemühen, über den Pazifik hinweg einen Verbund von Staaten zu schaffen, der zumindest ökonomisch, in zahlreichen Fällen aber auch darüber hinaus - militärische Kooperation inklusive - Qualitäten besitzt, die sich an dem schlagkräftigen transatlantischen Bündnis Nordamerikas mit Westeuropa aus der Zeit des Kalten Krieges orientieren. Die USA sind unter anderem am Versuch beteiligt, eine Trans Pacific Partnership (TPP) zu etablieren, in die einige Staaten Südostasiens, Australien und Neuseeland, Kanada sowie Chile, Peru und Mexiko integriert sind. Die Pazifik-Allianz, die sich ökonomisch auf die Asien-Pazifik-Region ausrichtet, liegt auf derselben Linie und soll weitere Staaten Lateinamerikas in die neuen Bündnisstrukturen einbeziehen. Sie könne durchaus "als Teil der politischen und der ökonomischen Dynamik" in der Asien-Pazifik-Region gesehen werden und als Teil "des Großmächte-Wettbewerbs zwischen China und den Vereinigten Staaten", urteilt das GIGA. 7

Die Zusammenarbeit mit der Pazifik-Allianz führt Deutschland nun einen Schritt weiter in diese Mächterivalität hinein – auf Seiten des alten Westens.8