Kolumbien: Militär unter Verdacht wegen Attentat

Militär soll für Attentat auf Enthüllungsjournalist verantwortlich sein. Oberste Leitung des Militärs könnte mitverantwortlich sein

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Kolumbianische Streitkräfte bei einer Militärparade
Kolumbianische Streitkräfte bei einer Militärparade

Bogotá. Die Menschenrechtsabteilung der kolumbianischen Staatsanwaltschaft hat vergangene Woche aufgrund eines Attentats auf den Journalisten der Zeitschrift Semana, Ricardo Calderón, die Militärbasis Tolemaida untersucht. Anfang Mai wurde Calderón von zwei Personen beschossen, als er wegen Recherchen über Korruption innerhalb des Militärs unterwegs war. Ihm gelang es zu fliehen und er blieb unverletzt.

In Artikeln wie "Tolemaida Resort" oder "Tolemaida Tours" hatte der Journalist 2011 angeprangert, dass der auch als Militärgefängnis fungierende Stützpunkt "vielmehr ein Erholungsclub als ein Hochsicherheitsgefängnis sei". Dort wohnten zumindest bis dahin rund 270 inhaftierte Militärangehörige, die wegen Morden, Massakern, Folterungen und Verschleppungen Freiheitsstrafen von bis zu 40 Jahren verbüßen müssen. Die Insassen hätten praktisch kompletten Freigang, betrieben Geschäfte und lebten in Bungalows anstatt in Zellen, schrieb Calderón. Außerdem seien viele von ihnen noch aktiv und bekämen weiterhin ihre Löhne. Es gebe Häftlinge, die sogar Urlaub auf der Ferieninsel San Andrés oder im Touristenzentrum Cartagena gemacht hätten. Calderón recherchierte weiter über das Thema - und wurde Opfer des Anschlags.

Da der Mordanschlag in der Nähe von Tolemaida erfolgt war, gingen die Behörden und die Medien von einem Zusammenhang zwischen Calderóns Artikeln und dem Angriff aus. Allerdings teilte das Nachrichtenportal La Silla Vacía mit, dass der Grund des Attentats eher mit einer neuen Recherche des Journalisten zu den Sicherheitsdiensten zu tun haben könnte, die einen noch gravierenderen Skandal, diesmal über die Oberste Leitung der Streitkräfte enthüllen könnte. Genau deshalb fuhr Calderón zur Zeit des Anschlags zu einem Termin mit einer wichtigen militärischen Quelle.

Außerdem hätte der Angriff eine Planung vorausgesetzt, die nicht einfach durch "verzweifelte mittlere Offiziere" durchgeführt werden konnte. Die Mitarbeiter der Zeitschrift Semana hätten Indizien darüber, dass das Magazin seit Wochen bespitzelt worden und ihre Computer gehackt worden seien.

Mehrere Redakteure verschiedener Medien stimmten darin überein, dass es nicht schwierig sei, Drogenhändler, Guerilla-Kämpfer oder Verbrecher an den Pranger zu stellen. Hingegen stelle die Berichterstattung über Korruption in der Obersten Leitung des Militärs oder der Polizei ein extrem hohes Risiko für die Journalisten dar. "Wir fühlen uns frei, um über andere Mächtige zu ermitteln, aber die Korruption von Militärangehörigen und Polizisten auf höchstem Niveau erschreckt uns", so La Silla weiterhin.

Generell sei das Militär für Journalisten viel gefährlicher als die Guerillas, hat ein Ranking der Stiftung für die Pressefreiheit FLIP zu den Verantwortlichen der Morde an 140 Berichterstattern seit 1977 ergeben.

Das Attentat fand aufgrund des Friedensdialogs in einem sensiblen Moment für die Streitkräfte statt. Einige Wochen vor dem Anschlag auf Calderón hatte ein der Öffentlichkeit noch nicht bekannter Militärangehörige dem Ex-Präsidenten Uribe die Geheimkoordinaten verraten, an denen FARC-Rebellen abgeholt werden sollen, um nach Havanna mitgenommen zu werden. Die Veröffentlichung der Koordinaten durch Uribe in Twitter, um die Sicherheitsmaßnahmen zur Überführung der Guerilla-Kämpfer und überhaupt die Friedensverhandlungen zu sabotieren, sorgte in Kolumbien für große Aufregung.

Der Vorfall zeigt, dass das Militär sich immer noch viel mehr an Uribes kriegerischer Haltung orientiert und die Regierung Santos sowie den Friedensdialog auf eine verhüllte Art ablehnt. Ob Calderón über die Enthüllung der Geheimkoordinaten recherchierte, als er beschossen wurde, verrät La Silla nicht.