Venezuela / Politik

Opposition übernimmt Parlament in Venezuela – und hängt Chávez ab

Regierungsgegner halten 109 Sitze der Nationalversammlung. Reibereien bei Eröffnung. Bilder von Chávez und Bolívar entfernt, US-Botschaft eingeladen

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Schriftzug "Freiheit" auf einer venezolanischen Fahne bei der Demonstration der Regierungsgegner
Schriftzug "Freiheit" auf einer venezolanischen Fahne bei der Demonstration der Regierungsgegner

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Anhänger der kommunistischen Partei, die am Bündnis GPP beteiligt ist, demonstrieren am Plaza Bolívar
Anhänger der kommunistischen Partei, die am Bündnis GPP beteiligt ist, demonstrieren am Plaza Bolívar

Caracas. In Venezuela hat das Oppositionsbündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) nach seinem überraschend deutlichen Sieg bei der Parlamentswahl am 6. Dezember die Macht im Parlament  übernommen. In einer teilweise turbulent verlaufenden konstituierenden Sitzung legten die Abgeordneten aller Parteien am Dienstag den Amtseid ab. Die Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) von Präsident Nicolás Maduro und ihre Koalitionsparteien mussten damit nach 16 Jahren die Mehrheit abgeben.

Der befürchtete Eklat blieb jedoch aus. MUD-Vertreter hatten zunächst angekündigt, trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofes, der mehrere Abgeordnete vorübergehend suspendiert hatte, mit allen 112 Gewählten anzutreten. Grund für den juristischen Konflikt ist die Entscheidung der Wahlkammer des Obersten Gerichtshofes (TSJ), eine Beschwerde aus den Reihen der PSUV über mutmaßliche Unregelmäßigkeiten in südlichen Bundesstaat Amazonas anzunehmen. Dort soll es zum Kauf von Stimmen gekommen sein. In Folge wurde allen Abgeordneten aus Amazonas die Vereidigung untersagt. Die PSUV-Fraktion verkleinert sich damit vorerst von 55 auf 54 Mandate. Der MUD muss zunächst auf drei Abgeordnete verzichten – und verliert damit die Zweidrittelmehrheit. Am Ende blieb der Protest zaghaft: Einige Abgeordnete der Opposition hielten Schilder mit der Aufschrift "Wir sind 112" hoch. Zuvor hatten MUD-Vertreter noch angekündigt, die Entscheidung des TSJ zu ignorieren. Am Ende blieb es aber ruhig, auch Demonstrationen beider Seiten verliefen ohne die befürchteten Zusammenstöße.

Der neue Parlamentspräsident Henry Ramos Allup von der sozialdemokratischen Partei Acción Democrática (Demokratische Aktion, AD) kündigte an, ein Referendum zur Abwahl von Nicolás Maduro auf den Weg zu bringen. Diese Möglichkeit besteht laut venezolanischer Verfassung zur Hälfte der Amtszeit eines jeden gewählten Mandatsträgers. Im Fall des amtierenden Präsidenten könnte das Verfahren Mitte dieses Jahres eingeleitet werden.

Ramos Allup, der bereits in der Wahlnacht mit pressefeindlichen Äußerungen von sich Reden gemacht hatte, zeigte sich dennoch zuversichtlich: "Wir wollen die Realität der letzten Jahre verändern, die so viel Schaden in Venezuela angerichtet hat", sagte er. Es gehe um einen "Systemwechsel".

Venezuela leidet unter einer heftigen Wirtschaftskrise, bedingt vor allem durch den Verfall des Erdölpreises. Das Land bezieht über 90 Prozent seiner Einnahmen aus Erdölexporten. Die regierenden Sozialisten haben diese Einnahmen in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten in erster Linie in Sozialprogramme investiert. Das MUD-Bündnis steht für eine neoliberale Politik, die auf einen Abbau dieser Programme und Privatisierungen setzt.

Die Regierungspartei warf dem Oppositionsbündnis daher vor, die vor allem für die in den großen Städten ausgedehnten Armenvierten wichtigen Sozialprogramme abbauen zu wollen. "Wir verteidigen das Volk, die Revolution und das Vaterland", wird der PSUV-Abgeordnete Héctor Rodríguez unter anderem von der Nachrichtenagentur dpa zitiert.

Dies ließ einen Ausblick auf das Ambiente in der neuen Nationalversammlung zu: Nach einem Streit um die Geschäftsordnung verließ die Fraktion des "Großen Patriotischen Pols", wie das Bündnis um die PSUV heißt, geschlossen den Sitzungssaal. Zuvor hatte Ramos Allup einem PSUV-Abgeordneten das Wort entzogen, um Julio Borges von der Rechtspopulistischen Partei Primero Justicia (Gerechtigkeit zuerst, PJ) über Gesetzesvorhaben des MUD sprechen zu lassen. Zudem beseitigten die neuen Mehrheitsführer alle Bilder des ehemaligen Präsidenten Hugo Chávez (1999-2013) und des Nationalhelden Simón Bolívar aus dem Sitzungssaal, um diese Amtshandlung auf Twitter und Facebook als "Befreiung" zu feiern. Zugleich hatte die neue Oppositionsmehrheit Vertreter der US-Botschaft der USA in die Nationalversammlung eingeladen.