Gegen den Trend: Chile beendet Staudammprojekte

In Südamerika sind 142 Staudämme in Betrieb oder in Bau, 160 weitere in Planung. Chile dagegen hat unlängst sieben solcher Projekte beendet

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Bereits gebaute oder in Bau befindliche (rot) und geplante Wasserkraftwerke (gelb) in den andin-amazonischen Flussbecken. Die Zahl auf den Fischen markiert den Fischreichtum in jedem Becken
Bereits gebaute oder in Bau befindliche (rot) und geplante Wasserkraftwerke (gelb) in den andin-amazonischen Flussbecken. Die Zahl auf den Fischen markiert den Fischreichtum in jedem Becken

Santiago. Dutzende von Staudämmen zerstückeln sechs der acht wichtigsten Flüsse im andin-amazonischen Raum. Einer gemeinsamen Studie von Wissenschaftlern aus Südamerika, Europa und den USA zufolge sind 142 Staudämme bereits in Betrieb oder in Bau. 160 weitere befinden sich im Planungsstadium. Gegen diesen Trend wurden in Chile in jüngster Zeit sieben Staudammprojekte zu den Akten gelegt, da sie sich – offiziell – nicht rechneten.

Staudämme zur Gewinnung von Energie aus Wasserkraft zerschneiden sechs der acht wichtigsten Fluss-Netze in Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Ecuador und Peru. Dies hat Auswirkungen auf die Verbindungen zwischen Wasserbecken sowie auf deren Geomorphologie. Bedroht ist die im Wasser lebende Fauna – ob Tiere, die den Ort wechseln oder solche, die in einem bestimmten Gebiet heimisch sind. Zu diesem Schluss kam eine Ende Januar in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlichte Studie. Sie untersucht die Auswirkungen der Staudämme auf acht Fluss-Systeme, die ihren Ursprung in den Anden haben, und deren Wasser sich in die Nebenflüsse des Amazonas ergießt. Die Wissenschaftler analysierten die acht Wasserbecken Caquetá, Putumayo, Napo, Marañón, Ucayali, Madre de Dios, Beni und Mamoré.

Als einzige Wasserbecken im andin-amazonischen Raum, die derzeit noch nicht von Staudämmen betroffen seien, nennt die Studie die Gewässer in Caquetá (Kolumbien-Brasilien) und Putumayo (Kolumbien-Peru-Brasilien). In allen anderen Fällen konzentrierten sich die Staudämme an Nebenflüssen. 671 Fischarten seien bedroht, vor allem wandernde Arten. Als Gründe nennen die Autoren die Veränderungen des Lebensraums und die für die Fische nicht zu überwindenden Hindernisse. Zudem bewirkten die Sedimente, welche die Flüsse auf ihrem Weg von den Anden zum Amazonas mit sich reißen, eine Veränderung der Lebensräume. Dies habe Folgen für die Fischbestände, die Befahrbarkeit der Flüsse und die landwirtschaftliche Nutzbarkeit des Schwemmlandes in den Ebenen. Die gute Nachricht sei, so Elizabeth Anderson von der Florida International University, dass die Verbindungen zwischen den wichtigsten Wasserbecken der großen Flüsse noch bestehen.

Die Wissenschaftler richteten einen dringenden Appell an die südamerikanischen Staaten, stärker grenzübergreifend zu kooperieren. Anderson verweist auf internationale Verträge, die ein Instrument dafür böten, die Probleme in den Griff zu bekommen. Mehrere Länder seien sich bereits der Wichtigkeit gesetzlicher Regelungen zum Schutz der Flüsse bewusst geworden. Dies gelte etwa für Kolumbien, das mit dem Siegel "Geschützter Fluss" der großen ökologischen, aber auch der kulturellen Bedeutung der Flüsse, die durch die Staudämme bedroht sei, Rechnung zu tragen versuche.

Entgegen des Staudamm-Booms gab das italienische Energie-Unternehmen Enel Ende Januar bekannt, dass es die beiden Wasserkraft-Projekte Neltume und Choshuenco in Chile aufgibt. Somit sind dort in den vergangenen anderthalb Jahren insgesamt sieben entsprechende Vorhaben beendet worden. Massiven Widerstand hatte es vor allem gegen das Großprojekt Hidroaysén in Patagonien gegeben, das im November 2017 endgültig abgebrochen wurde. In allen Fällen gab offiziell die mangelnde Rentabilität den Ausschlag. Enel behauptete aber auch, künftig keine Projekte mehr zu entwickeln, die auf den Widerstand der betroffenen Bevölkerung stießen.

Es gibt allerdings auch Stimmen, die auf die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der Wasserkraft verweisen, die gegenüber Sonnen- und Windenergie tendenziell ins Hintertreffen gerate. Davon abgesehen habe sich gezeigt, dass die lokale Bevölkerung, wenn sie sich organisiere, große Einfluss hat und umweltschädliche Großprojekte zu Fall bringen kann.

Für Anderson hingegen steht im "die Bedeutung des freien Verlauf eines Flusses" im Vordergrund. Diese natürliche Dynamik sei eng mit vielen ökologischen Prozessen verknüpft, von denen die Lebensformen im Amazonas und auch die dort lebenden Menschen abhängen.