Nicaragua / Politik

Nicaragua: Menschenrechte, Drohkulissen und weitere Proteste

Regierung und CIDH vertreten gegensätzliche Perspektiven auf Proteste und Menschenrechtsverletzungen. USA drohen mit Sanktionen. Weiterer Dialog ungewiss

unterschriften_gegen_gewalt_nicaragua.jpg

Anhänger der Regierung Ortega sammeln Unterschriften unter dem Motto "Gerechtigkeit für die Opfer des Terrorismus“
Anhänger der Regierung Ortega sammeln Unterschriften unter dem Motto "Gerechtigkeit für die Opfer des Terrorismus“

Managua. Bei der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua infolge der gewaltsamen Proteste gegen die regierende Sandinistische Nationale Befreiungsfront (Frente Sandinista de Liberación Nacional, FSLN) zeichnet sich keine Einigung ab. Die Regierung hatte entsprechend der Vereinbarung beim Dialog mit den Oppositionskräften die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) ins Land geholt, um die Situation im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen bei Protesten und Straßenblockaden zwischen April und Juli zu beobachten.

Bei der Beschreibung und Beurteilung liegen Regierung und CIDH weit auseinander. Während die Menschenrechtskommission in ihrem Bericht 317 Todesfälle verzeichnete, erkennt die Regierung von Präsident Daniel Ortega nur 198 als im direkten Zusammenhang mit den Protestaktionen stehend an. In vielen Fällen macht die FSLN ihre Gegner für die Taten verantwortlich und kritisiert, dass diese Gewalttaten in dem Bericht nicht auftauchen: "Die CIDH manipulierte die Informationen, indem sie einen versuchten Staatsstreich in einen vermeintlich friedlichen Protest umwandelte und dabei bewusst auslässt, dass viele ermordete Menschen Polizisten, Staatsbeamte, Sandinisten und unbeteiligte Zivilisten waren. Ihre Todesursache waren häufig Schusswaffenverletzungen durch Putschisten“.

Seit der Einsetzung einer speziellen Arbeitsgruppe der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu Nicaragua verschärften sich die diplomatischen Auseinandersetzungen. Die aus den 12 Ländervertretern Argentiniens, Brasiliens, Chiles, Costa Ricas, Guyanas, Ecuadors, Kanadas, Kolumbiens, Mexikos, Panamas, Perus und der USA bestehende Gruppe betrachtet die Reaktivierung des Dialogs als eine vorrangige Aufgabe, sucht aber auch die Zusammenarbeit mit Vertretern der CIDH und ihrer Expertengruppen. Das Parlament Nicaraguas hat sie als "interventionistische Kommission der US-Regierung in der OAS" bezeichnet, welche "die Souveränität Nicaraguas verletzt und in die inneren Angelegenheiten eingreift" und lehnt eine Zusammenarbeit ab.

Die Versuche der OAS, eine Rolle mit direktem Einfluss auf den Konflikt zu finden, werden von Sanktionsdrohungen der USA begleitet. Der US-Botschafter bei der Organisation, Carlos Trujillo, betonte, dass die Regierung von Donald Trump nicht nur individuelle Strafmaßnahmen wie den Global Magnitsky Act gegen Entscheidungsträger prüfe. Vielmehr arbeiteten Senat und Kongress auf verschiedene Sanktionen gegen die Regierung Ortega hin. Dabei geht es auch um den sogenannte Nica Act, mit dem das Land von Krediten und Finanzierungen durch internationale Institutionen abgeschnitten und künftige Möglichkeiten für Anleihen blockiert werden sollen. Ein "Gesetz für Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung in Nicaragua 2018" sei ebenfalls im Gespräch.

Währenddessen sammelte die Bürgerallianz 25.000 Unterschriften unter ihren aktuellen Forderungen nach "Einstellung aller Formen von Gewalt" und "Wiederaufnahme des Dialogs unter Vermittlung der Bischofskonferenz und internationaler Garantiemächte". Am vergangenen Samstag führte sie zudem einen Marsch unter dem Motto "Nichts ist hier normal" durch, um gegen das sich im Land verbreitende Klima der Rückkehr zur Normalität nach Monaten der Gewalt anzugehen. Anhänger der Regierung Ortega konterten die Unterschriftenaktion mit einer eigenen unter dem Motto "Gerechtigkeit für die Opfer des Terrorismus“, mit der sie einen Ausgleich für die entstandenen Schäden und die Verurteilung der Täter fordern.

Eine Fortsetzung des Dialogs zwischen Regierung und Bürgerallianz unter Vermittlung der Bischöfe erscheint indes immer unwahrscheinlicher. So wurde bekannt, dass Ortega während der Gespräche unter Beteiligung von Caleb McCarry, Berater des US-Senats, durchaus zu Verhandlungen über einen früheren Wahltermin bereit war, aber sowohl die Kirchenvertreter als auch Studenten und Unternehmer der Bürgerallianz dies im Juni als unzureichend abgelehnt hatten.

Der den Sandinisten nahe stehende Online-Informationsdienst Informe Pastran schreibt dazu: "Eine politische Einigung oder zumindest das Zuhören beider Seiten im Juni hätte dem Land Dutzende von Toten, den Verlust von Arbeitsplätzen, Unsicherheit und Angst erspart". Ortega bezeichnete die Bischöfe später als parteiisch und deshalb ungeeignet für eine weitere Vermittlung.