In Mexiko werden 61.637 Personen vermisst

Erster offizieller Regierungsbericht zum Stand erzwungenen Verschwindens in Mexiko seit Jahren. Bislang wurden die Daten aus 21 der 32 Bundesstaaten erfasst

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Angehörige fordern Aufklärung. Allein in den letzten vier Jahren sind in Mexiko um die 20.000 Menschen verschwunden
Angehörige fordern Aufklärung. Allein in den letzten vier Jahren sind in Mexiko um die 20.000 Menschen verschwunden

Mexiko-Stadt. Die mexikanische Regierung hat erstmalig umfangreiche Daten über die Zahl der "Verschwundenen" im Land veröffentlicht. So sind seit 1964 über 60.000 Menschen als vermisst gemeldet und bis heute nicht aufgefunden worden. Drei Viertel der Vermissten sind Männer. Insgesamt 11.000 Verschwundene sind minderjährig. 90 Prozent der Meldungen sind seit 2006 erfolgt. Allein in den letzten vier Jahren sind um die 20.000 Menschen verschwunden. Regierungsvertreter betonen ein schweres Versagen und eine Mitschuld staatlicher Institutionen an dieser Situation.

Im ersten Regierungsjahr des seit Dezember 2018 amtierenden linken Präsidenten Andrés Manuel López Obrador sind 5.184 Menschen vermisst gemeldet worden. Aus 873 entdeckten versteckten Gräbern sind 1.124 Leichname geborgen worden, von denen 325 identifiziert und 243 an Angehörige übergeben werden konnten. In den besonders von dem im Land tobenden Drogenkrieg betroffenen Bundesstaaten Sinaloa, Colima, Veracruz, Sonora und Jalisco wurden die meisten Leichen gefunden.

Als Vertreter der Regierung stellten Alejandro Encinas Rodríguez, Staatssekretär für Menschenrechte, Migration und Bevölkerung, und Karla Quintana, Nationale Kommissarin für Personensuche, den Bericht vor. Es handelt sich um den ersten offiziellen Regierungsbericht zum Stand erzwungenen Verschwindens in Mexiko seit Jahren. Er umfasst Daten aus 21 der 32 Bundesstaaten. In den übrigen Staaten werden die nötigen Daten noch zusammengetragen und systematisiert.

Staatssekretär Encinas sprach von einem bisherigen "Mangel an politischem Willen", die Situation in Mexiko zu ändern. Die Vorgängerregierungen hätten versucht, das Problem des Verschwindenlassens kleinzureden oder unsichtbar zu machen. Fälle erzwungenen Verschwindens seien als Entführung oder unerlaubter Freiheitsentzug deklariert worden. Deshalb sei eine Überprüfung der amtlichen Statistiken notwendig. Während der Amtszeit des früheren Präsidenten Enrique Peña Nieto belief sich die offizielle Schätzung der Zahl vermisster Personen in Mexiko noch auf rund 40.000.

In einem Interview mit der Zeitung El País betonte Encinas, dass Staatsorgane eine Mitschuld an Gewalt und Kriminalität im Land tragen: "Ich nehme an, dass ein großer Teil dieser Gewalt von staatlichen Stellen, von Staatsangestellten, verursacht wird, von denen viele mit kriminellen Gruppen kooperieren." Behörden würden dabei helfen, "ein Klima der Intoleranz gegenüber Menschenrechtsverteidigern und Journalisten in vielen Regionen zu schaffen".

Beispielhaft ist der weltweit bekannt gewordene Fall der 43 vermissten Lehramtstudenten von Ayotzinapa. Die jungen Männer waren Teil einer Gruppe, die am 26. September 2014 auf dem Weg zu einer Demonstration von örtlichen Polizeibeamten angehalten wurde. Sechs Studierende wurden noch vor Ort von Polizisten erschossen, viele wurden festgenommen, 43 an Angehörige eines lokalen Drogenkartells übergeben. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur. Zu einem Skandal wurde die Entscheidung eines Richters im September des vergangenen Jahres, 24 Verdächtige während laufender Ermittlungen aus dem Gefängnis zu entlassen. Damit sind schon 77 von insgesamt 142 mutmaßlichen Tätern wieder aus der Haft entlassen worden.

Erst kürzlich hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission Mexikos Regierung vorgeschlagen, die unabhängige Expertenkommission wiedereinzusetzen. Sie soll freien Zugang zu den Ermittlungsakten haben, an den Suchaktionen nach den 43 Lehramtsstudenten beteiligt sein und ihre Vorschläge über neue Ermittlungslinien und Mechanismen für die Zusammenarbeit mit den Behörden sollen umgesetzt werden.