Brasilien unter Corona: Militärs stellen Autorität von Präsident Bolsonaro infrage

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In Brasiliens Hauptstadt desinfizieren Soldaten den Busbahnhof. Währenddessen schüttelt Präsident Jair Bolsonaro woanders Hände.
In Brasiliens Hauptstadt desinfizieren Soldaten den Busbahnhof. Währenddessen schüttelt Präsident Jair Bolsonaro woanders Hände.

Brasília. Brasilien droht, sich zu einem Schwerpunkt der Corona-Pandemie in Lateinamerika zu entwickeln. Derweil kämpft der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro um sein politisches Überleben. Seitdem er der Wirtschaft zuliebe Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus be- und verhindert hat, haben sich Gouverneure von 26 der 27 Bundesstaaten gegen ihn gestellt. Nun hat auch das Militär seinen Umgang mit der Krise kritisiert.

Am Sonntagabend zählte das Land 4.065 positiv Getestete und 118 Tote. Doch Experten schätzen die Dunkelziffer bedeutend höher.

Nachdem Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta erneut die Notwendigkeit der sozialen Isolation und Schließung von Geschäften bekräftigte, besuchte sein Chef Bolsonaro die letzten offenen Läden in der Hauptstadt und schüttelte Hände. Medien kritisierten: "Die Regierung sendet widersprüchliche Signale und teilt das Land. Corona dankt."

Zuletzt hatten Gouverneure und Bürgermeister die Schließungen von Schulen, Geschäften, Flughäfen und Parks angeordnet, nachdem Signale aus Brasília ausblieben. Wie andernorts auch bedrohen die Maßnahmen Millionen Arbeitsplätze und Unternehmen. Zudem hat sich Brasilien zum Epizentrum der Kapitalflucht entwickelt. Insgesamt 11,7 Milliarden US-Dollar zogen Investoren ab, seit die ersten Corona-Fälle in China bekannt wurden ‒ internationale Investoren misstrauten dem Krisenmanagement Bolsonaros von Anfang an. Nun belasten die Investitionstopps und Kreditengpässe die Wirtschaft schwer.

Angesicht der verheerenden ökonomischen Aussichten versucht das Staatsoberhaupt, die Einschränkungen rückgängig zu machen und weitere abzuwenden. Den Gouverneuren drohte er, dass sie die Kosten für den Lockdown zu tragen hätten. "Wer bei Schließung der Geschäfte die Arbeitskosten zahlt, das sind der Gouverneur und der Bürgermeister", beruft sich Bolsonaro auf die Arbeitsgesetzgebung. Doch der entsprechende Artikel 486 des Arbeitsgesetzes "greift nicht im Fall einer allgemeinen Ausnahmeregelung, die der Gesundheit der Bevölkerung dient", ist sich Arbeitsrechtlerin Karolen Gualda Beber sicher.

Infolge Bolsonaros Umgang mit der Pandemie haben 64 Prozent der Bevölkerung kein Vertrauen mehr in seine Fähigkeit, die Krise zu managen. Und anders als der Präsident bestätigten 94 Prozent der Befragten, die Risiken der Ansteckung in der Corona-Pandemie zu kennen, bilanziert die Zeitung Valor Econômico eine Umfrage vom Freitag.

Um den sinkenden Umfragewerten zu trotzen, sucht das Staatsoberhaupt sein Heil bei seiner wichtigsten Wählergruppe, den Evangelikalen. Er beschloss, dass Kirchen, evangelikale Tempel mit Zehntausenden Besuchern und Lotterien zu "existentiellen Dienstleistungen" gehörten und damit während der Quarantäne offen bleiben. Evangelikale Pastoren feiern ihn. "Um das Coronavirus unbeschadet zu überstehen, braucht es Corona-Glauben", so der Milliardär, Medienmogul und Eigentümer der Igreja Universal do Reino de Deus, Edir Macedo.

Solche Maßnahmen und der Gesichtsverlust der Regierung irritieren auch Bolsonaros Partner. Am Freitag stellte der rechtskonservative Präsident des Abgeordnetenhauses, Rodrigo Maia (DEM), seine Autorität infrage. Der Kongress werde die Rolle des Handelns übernehmen, sollte die Regierung keine geeigneten Antworten auf die Krise finden, gab sich Maia einer breiten parlamentarischen Unterstützung sicher.

Und selbst die Militärs gehen auf Abstand zum Staatschef. Vertreter der Streitkräfte haben erstmals offen signalisiert, im Fall einer Amtsenthebung oder eines Rücktritts Bolsonaros, den Vizepräsidenten General Hamilton Mourão zu unterstützen. Mehrmals sollen sich Teile der Generalität getroffen und Szenarien einer Amtsenthebung diskutiert haben. Mitte vergangener Woche konnte Bolsonaro noch auf die volle Unterstützung der Militärs zählen, berichtete die Zeitung O Estado de São Paulo unter Berufung auf hochrangige Armeeangehörige. Auch sie fürchteten, Maßnahmen gegen Corona könnten zum "Kollaps der Wirtschaft und zu sozialem Chaos mit Plünderungen" führen.

Infolge dessen hatte Bolsonaro auf seinem Twitter-Kanal bekräftigt, "ich werde niemals abtreten".