Brasilien steht Corona-Explosion bevor. Wut auf Virusleugner Bolsonaro

Kaum Intensivbetten vorhanden. Bevölkerung protestiert mit Töpfeschlagen – und bleibt auf Distanz

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Brasiliens ultrarechter Staatschef, Jair Bolsonaro, tat sich schwer, die Schutzmaske aufzusetzen.
Brasiliens ultrarechter Staatschef, Jair Bolsonaro, tat sich schwer, die Schutzmaske aufzusetzen.

Brasília. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat sich am Freitag zu einem dritten Test auf das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bereit erklärt. Zugleich schloss der ultrarechte Politiker die Möglichkeit einer Infektion nicht mehr aus. Bisher wurden 23 Personen positiv auf das Virus getestet, die an einer US-Reise Bolsonaros Anfang dieses Monats teilgenommen haben.

Der Präsident hatte seinen ersten Test am 12. März gemacht, nachdem bei seinem Kommunikationschef Fabio Wajngarten das Virus diagnostiziert wurde. Der zweite Test wurde am vergangenen Dienstag durchgeführt. Nach dem zweiten Tests hatte der Präsident jedoch Kontakt zu mindestens einer Person, bei der das Virus diagnostiziert wurde: dem Minister des Amtes für institutionelle Sicherheit, Augusto Heleno. Bolsonaro und Wajngarten haben die Existenz des SARS-CoV-2 mehrfach vehement geleugnet und entsprechende Medienberichte aggressiv kritisiert.

Das südamerikanische Land hat am gestrigen Freitag den achten Todesfall infolge einer Covid-19-Erkrankung gemeldet. Die Gesundheitsbehörden gaben eine Zahl von 648 Infizierten bekannt. Die Zahl der Verdachtsfälle liegt bei über 9.000. Am Mittwoch waren es noch 529 Infizierte und vier Tote. Und die Kurve geht weiter nach oben. Eine internationale Forschergruppe prognostiziert eine Verdopplung der Infizierten alle zwei Tage. Dies entspricht der Entwicklung in Italien zu Beginn der Epidemie. Bereits am Dienstag könnte Brasilien auf 3.400 bestätigte Corona-Infizierte kommen. Trotz des erwartbaren Anstiegs von Infektionen begannen die Behörden erst am Donnerstag, erste substantielle Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Erregers SARS-CoV-2 umzusetzen.

Am Donnerstag machte die Regierung die Landgrenzen zu insgesamt acht Nachbarländern dicht, am Freitag schränkte sie die Einreise auf dem Luftweg ein. Demnach dürfen Ausländer, die per Flugzeug etwa aus China, der Europäischen Union, Australien oder Japan kommen, von Montag an nicht mehr einreisen. Der Senat rief gestern einstimmig den öffentlichen Notstand aus. Der Kongress, der erstmalig per Videokonferenz tagte, lockerte damit die Haushaltsregeln und ermöglichte der Regierung die Grenze der Neuverschuldung außer Kraft zu setzen. Die meisten Städte haben die Schließung von Geschäften und Parks angeordnet. Desinfektionsmittel und Toilettenpapier sind auch in Brasilien vielerorts ausverkauft. Der Gouverneur von Rio de Janeiro beschloss, die Anzahl und Gästen in Restaurants auf 30 Prozent zu begrenzen.

Auf den erwartbaren, massiven Anstieg von Krankheitsfällen ist das Gesundheitssystem äußerst schlecht vorbereit. Gestern wurde bekannt, dass 60 Prozent der Gemeinden des Landes mit einer Bevölkerung von rund 34 Millionen Menschen keine Beatmungsgeräte haben. Vor allem fehlt es landesweit an Intensivbetten. Nur jede zehnte Stadt im Land verfügt über Intensivstationen, um Schwerkranke isolieren zu können. Freie Kapazitäten gibt es derzeit nur in 482 Gemeinden, also in nur 8,6 Prozent aller Gemeinden. Bereits jetzt würden schwere Krankenfälle in andere Gemeinden "exportiert", berichtet der Nachrichtendienst UOL.

Zudem verfügt Lateinamerikas größtes Land zwar über insgesamt 50.000 Intensivbetten. Doch nur 22.000 stehen in den Krankenhäusern des öffentlichen Gesundheitssystems (Sistema Único de Saúde, SUS). Die Mehrheit hingegen gehört den meist teuren Privatkliniken. Das Gesundheitsministerium kündigte angesichts der bevorstehen Corona-Welle an, Betten im privaten Sektor anzumieten. Das Rathaus von São Paulo plant, 2.000 Notfall-Betten in Stadien aufzubauen. Krankenhausangestellte aus São Paulo meldeten, es mangele grundsätzlich an Handschuhen, Atemschutzmasken und Desinfektionsmitteln.

Nachdem die Corona-Verdachtsfälle zwischen Dienstag und Mittwoch um das Vierfache gestiegen waren und bereits 16 hochrangige Politiker und etliche Prominente betroffen sind, scheint auch die Regierung Bolsonaro in der Krise angekommen zu sein. Am Mittwochabend warnten Bolsonaro und sein Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta vor "schwierigen und harten Tagen". Der Gesundheitsminister erklärte auf der Pressekonferenz, dass die Zahl der Infizierten spürbar steigen werde.

Noch Anfang der Woche hatte der Präsident den neuartigen Coronavirus mehrfach als "Fiktion" und "Phantasie" bezeichnet und an rechten Protesten gegen das Parlament und die Justiz teilgenommen, Demonstranten umarmt und sich mit ihnen fotografieren lassen.

Der lapidare Umgang Bolsonaros mit der Virus-Gefahr hat zuletzt dazu geführt, dass sich Anhänger von ihm abwenden und an den Protesten dieser Woche gegen ihn teilnahmen. "Wegen ihm hadern noch immer viele Menschen, die dringenden sanitären Maßnahmen zu befolgen, weil er in die Welt gesetzt hat, Corona sei nichts weiter als Hysterie. Er hat sich über die Ärzte lustig gemacht", zitiert BBC Brasil eine Chirurgin, die 2016 gegen die damalige Präsidentin Dilma Rousseff von der linken Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) auf die Straße gegangen war und nun gegen Bolsonaro demonstrierte.

Zuletzt war es in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag zu lautstarken, aber kontaktfreien Protesten gegen die Regierung sowie für eine Amtsenthebung Bolsonaros gekommen. Soziale Bewegungen und linke Parteien hatten dazu aufgerufen, während der TV-Ansprache des Präsidenten laut auf Töpfe, dem sogenannten Panelaço, zu schlagen. Laut Medienberichten beteiligten sich Millionen Brasilianer von Fenstern und Balkonen aus. In São Paulo dauerte der lautstarke Protest 40 Minuten. Auf den Magistralen der Großstädte kam es zu minutenlangen Hup-Konzerten.

Neben dem Gesundheitssektor scheint auch die Wirtschaft des Landes ungenügend auf die kommende Krise vorbereitet zu sein. Schon jetzt bedrohen die Maßnahmen zur sozialen Isolation die Selbstständigen. Zwar kündigte Wirtschaftsminister Paulo Guedes am Mittwoch eine finanzielle Unterstützung von monatlich 200 Reais (etwa 36 Euro) für Selbstständige an. Doch ist diese Summe auch gegenüber günstigen Mieten von 850 Reais (150 Euro) nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Zudem bleiben die mehr als 40 Millionen sogenannten Selbstständigen im informellen Sektor, insbesondere Hausangestellte oder Straßenverkäufer, von staatlicher Hilfe ausgeschlossen, bestätigt der Präsident der Nichtregierungsorganisation für Hausangestellte, dem Instituto Doméstica Legal, Mario Avelino. Das Virus trifft die einkommensschwachen Gruppen finanziell hart. Dem Statistischen Bundesamt zufolge arbeiten von den 6,24 Millionen Hausangestellten 70 Prozent auf Tagesbasis und ohne Vertrag. "Sie genießen keinen Schutz (in der Krise), sie existieren nicht für die Regierung", so Avelino. Dabei verlören sie gerade als erste ihre Arbeit, weil ihre Arbeitgeber die Verhaltensregeln der sozialen Distanz befolgten, fasst er die Woche von Entlassungen zusammen.

Die Unfähigkeit der Regierung, sich auf die Krise einzustellen, spiegelt sich auch im Hin und Her um eine Infektion des Präsidenten wider. Laut Bolsonaro selbst habe sein zweiter Test ein negatives Ergebnis ergeben. Er weigert sich aber lange, die Proben offenzulegen. "Vielleicht mache ich einen neuen Test. Vielleicht lasse ich mich auch medizinisch beraten", fabulierte er über seine mögliche Infektion, bis er sich nun zu einem dritten Test bereit zeigte.

Ende vergangener Woche hatte sich die Nachricht von einer Ansteckung des Staatschefs verbreitet. Zuvor war bekannt geworden, dass sich Mitglieder seiner Delegation während des Staatsbesuches in den USA Anfang März mit Covid-19 infiziert hatten. Am Freitag bestätigte die Regierung vier weitere Infektionen, damit ist ihre Zahl auf 23 gestiegen. Darunter der Staatssekretär für Kommunikation, Fabio Wajngarten, der Minister für Bergbau und Energie, Bento Albuquerque, sowie Bolsonaros engster Vertrauter und Chef des Sicherheitsstabes, General Augusto Heleno.