Chile: Demonstranten kehren trotz Corona auf Plaza de la Dignidad zurück

Maßnahmen gegen Corona könnten sich auch als Maßnahmen gegen Proteste herausstellen. Piñera und Sicherheitskräfte greifen weiter hart durch

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Aktivisten mahnen systematische Menschenrechtsverletzungen des chilenischen Staates an
Aktivisten mahnen systematische Menschenrechtsverletzungen des chilenischen Staates an

Santiago. Mehrere Dutzend Demonstranten haben sich am Montagnachmittag auf der Plaza de la Dignidad zusammengefunden, um ihrer Ablehnung gegenüber der von Präsident Sebastián Piñera angekündigten "neuen Normalität" Ausdruck zu verleihen. Die Polizei war massiv mit Spezialkräften vor Ort und setzte Wasserwerfer gegen die Protestierenden ein, wie Aufnahmen aus sozialen Netzwerken zeigen. 14 Personen wurden festgenommen. Zur Rechtfertigung des Vorgehens diente das Verbot von Zusammenkünften von mehr als 50 Personen im öffentlichen Raum.

Der rechtsgerichtete Regierungschef Sebastián Piñera erklärte am Tag zuvor, dass die Covid-19-Pandemie wahrscheinlich bis zur Entdeckung eines Impfstoffs anhalte, was bis zu zwei Jahre dauern könne. Die Bevölkerung müsse also lernen, in einer "neuen Normalität" zu leben. Diese beinhalte die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus.

Was die Bevölkerung Chiles von der bis zu zwei Jahre andauernden "neuen Normalität" zu erwarten hat, deutete sich bereits am 18. März an. An diesem Tag erklärte Piñera für zunächst 90 Tage den "Katastrophenzustand". Diese Maßnahme sieht den Einsatz der Streitkräfte auf den Straßen sowie die Ernennung von Zonenchefs vor, die dem Verteidigungsministerium angehören und in den entsprechenden Gebieten das Kommando haben, um dort "die Ordnung aufrecht zu erhalten". Zugleich erlaubt sie die Beschlagnahmung von Eigentum zur Sicherstellung seiner Verteilung, die Einführung von Quarantänen und Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit, wie beispielsweise Ausgangssperren.

In den Monaten bis zur Verkündung des Katastrophenzustands Mitte März aufgrund von Covid-19 nahmen Millionen Menschen an den Protesten gegen die Regierung teil.

Der Auslöser für die ersten Proteste im Oktober war die Ankündigung Piñeras, die Preise für den öffentlichen Nahverkehr zu erhöhen. In der Folge wurden eine Vielzahl weiterer sozialer und politischer Forderungen erhoben, was seit dem 18. Oktober zu Massendemonstrationen gegen die neoliberale Politik der Regierung führte. Diese reagierte in der Regel damit, die Proteste gewaltsam niederzuschlagen, wobei es zu zahlreichen schweren Menschenrechtsverletzungen kam.

Die Plaza Baquedano in der Hauptstadt Santiago wurde dabei zu einem Wahrzeichen des Widerstands gegen die Politik von Piñera. Ihrem Anspruch auf eine neue Verfassung, soziale Besserstellung und ein würdiges Leben brachten die Demonstranten zum Ausdruck, indem sie sich regelmäßig an diesem Ort versammelten und ihn in "Plaza de la Dignidad" (Platz der Würde) umbenannten.

Die im Zentrum des Platzes stehende Statue von General Baquedano wurde bemalt und mit Fahnen versehen. Schriftzüge und Spruchbänder enthielten Botschaften des Widerstands und soziale Forderungen. Die Statue wurde so zu einem Sinnbild der Aufstände und der Platz erhielt eine Symbolwirkung. In den Morgenstunden des 19. April, also an dem Tag, als Präsident Piñera die "neue Normalität" verkündete, erschien die Statue in altem Antlitz: Sie war gestrichen worden und das symbolträchtige bildliche Zeugnis des Widerstands somit getilgt.

Nur wenige Tage zuvor ließ sich Piñera in betont lässiger Pose am Sockel der Statue sitzend fotografieren. Dass er ausgerechnet diesen Ort wählte, an dem staatliche Sicherheitskräfte während der Proteste auch eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, wurde weithin als Provokation aufgefasst und führte zu wütenden Kommentaren in den sozialen Medien.