La Paz/Santa Cruz. Der Streit um die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Bolivien geht in die nächste Runde. Nach Vorwürfen des Wahlbetrugs verlangt die Opposition nun eine Annullierung der Abstimmung vom 20. Oktober und lehnt eine Nachzählung der Stimmen durch eine Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und internationale Experten weiterhin ab. Während der unterlegene Präsidentschaftskandidat vom Bündnis "Bürgergemeinschaft" (Comunidad Ciudadana, CC), Carlos Mesa, Neuwahlen fordert, drängen rechtsgerichtete Bürgerkomitees auf einen Rücktritt des amtierenden Präsidenten Evo Morales.
Am vergangenen Samstag hatte der einflussreiche Regionalpolitiker Luis Fernando Camacho im Namen regionaler oppositioneller "Bürgerkomitees" vor seinen Anhängern in der ostbolivianischen Oppositionshochburg Santa Cruz Morales ein Ultimatum von 48 Stunden für seinen Rücktritt gestellt. Zudem appellierte er an die Armee, in der politischen Krise auf Seiten des Volkes zu stehen. Camacho, der zugleich Präsident des Bürgerkomitees von Santa Cruz ist, war zwei Tage später in die Hauptstadt La Paz gereist, um Morales persönlich ein Rücktrittgesuch zu überreichen. Aufgrund der massiven Belagerung des Flughafens in El Alto durch Regierungsanhänger gelang es Camacho nicht, den Flughafen zu verlassen. Die Polizei ergriff entsprechende Sicherheitsmaßnahmen, um die Unversehrtheit des Politikers zu garantieren. Camacho sah sich gezwungen, zehn Stunden später die Rückreise nach Santa Cruz anzutreten. Am Mittwoch soll Camacho einen weiteren Versuch unternommen haben, nach La Paz zu reisen.
Laut Mesa habe die Regierung diese Gruppen entsendet. Die Regierungsanhänger "schüren Gewalt und treiben fälschlicherweise eine rassistische Spaltung voran, die in Bolivien nicht existiert", so Mesa nach dem Zwischenfall.
Nach seiner Rückkehr nach Santa Cruz rief Camacho am Dienstag auf einer Großkundgebung auf, den Streik gegen die Regierung auszuweiten und die Grenzen des Landes zu blockieren sowie staatliche Institutionen lahmzulegen, um der Regierung ökonomischen Schaden zuzufügen. Daraufhin kam es am Mittwoch zu weitgehend friedlichen Kundgebungen vor einigen Regierungsgebäuden und Staatsbetrieben in verschiedenen Regionen des Landes. An mehreren Stellen wurden Grenzübergange blockiert.
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Camacho wolle nun einen Marsch zum Regierungspalast anführen, damit Morales das vom "Nationalen Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (Conade) verfasste Rücktrittsschreiben unterzeichne. "Ich persönlich werde dieses Schreiben nach La Paz bringen. Ich werde unbewaffnet sein, gerüstet mit meinem Glauben und meiner Hoffnung, mit der Bibel in meiner rechten Hand und dem Rücktrittsschreiben in meiner linken", gab er sich kämpferisch.
Die Senatspräsidentin der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS), Adriana Salvatierra, kritisierte Camacho scharf: "Herr Camacho treibt einen abenteuerlichen Staatsstreich voran, der glücklicherweise bei der demokratischen Opposition keine Unterstützung findet." Evo Morales lehnt unterdessen die Forderungen der Opposition ab: "Welcher Rücktritt? Es geht um die Einhaltung der Verfassung und die Achtung der Stimmabgabe der Bevölkerung. Das Hauptproblem einiger Gruppierungen besteht darin, dass sie das Stimmrecht der indigenen Bewegung nicht akzeptieren", sagte Morales am vergangenen Dienstag bei einem Besuch in einer ländlichen Region.
Nach dem umstrittenen Ergebnis der Präsidentschaftswahlen hatte die bolivianische Regierung ein internationales Expertenteam unter Leitung der OAS damit beauftragt, die Wahlauszählung zu prüfen und gegebenenfalls Unregelmäßigkeiten festzustellen. Die Prüfung wird von zahlreichen Ländern befürwortet und teilweise finanziell unterstützt, darunter Frankreich, Holland, Deutschland und Russland. In einer Pressemitteilung hat die OAS-Mission die bolivianische Bevölkerung dazu aufgefordert, Informationen und gegebenenfalls Beweise für einen Wahlbetrug einzureichen, damit diese von Experten geprüft werden könnten. Die Ergebnisse werden in einigen Tagen erwartet. Die OAS, die die Abstimmung vom 20. Oktober mit zahlreichen Wahlbeobachtern begleitet hatte, hatte "Bedenken" wegen der Verzögerungen bei der Stimmenauszählung geäußert.
Morales kündigte an, sich im Falle von Zweifeln einer Stichwahl zu stellen. Demgegenüber weist sein Kontrahent Mesa das Prüfverfahren zurück, weil die Bedingungen dafür "einseitig festgelegt" worden seien. Laut Mesa kann die politische Krise nur durch eine Ablösung der momentanen Regierung gelöst werden. Mesa fordert den Rücktritt aller nationalen und departamentalen Wahlgerichte sowie Neuwahlen. Er unterlag Morales am 20. Oktober mit mehr als zehn Prozentpunkten, womit sich nach bolivianischem Wahlrecht eine Stichwahl erübrigt. Sollte die Wahlprüfung die bisherigen Resultate bestätigen, könnte Morales 2020 zum vierten Mal in den Präsidentenpalast einziehen.