Sechs Verdächtige in Brasilien im rassistischen Mordfall João Beto angeklagt

Justiz sieht "niedrige Beweggründe", erhebt jedoch keine Anklage wegen Rassismus. Dieser wird nur als allgemeiner Hintergrund anerkannt

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Demonstration vor Carrefour: "Wir sterben, sie machen Profit. Schwarze Leben zählen"
Demonstration vor Carrefour: "Wir sterben, sie machen Profit. Schwarze Leben zählen"

Brasília. Im Fall des getöteten Schwarzen Brasilianers João Alberto Silveira Freitas, der in einer Carrefour-Filiale in Porto Alegre von zwei Wachmännern geschlagen und erstickt wurde (amerika21 berichtete), werden nun sechs Personen wegen Mordes angeklagt.

Neben den beiden Sicherheitskräften Magno Braz Borges und Giovane Gaspar da Silva, ein freigestellter Militärpolizist, der keine Berechtigung hatte, im privaten Sicherheitsdienst zu arbeiten, wurden die Supermarktmitarbeiter Paulo Francisco da Silva, Kleiton Silva Santos und Rafael Rezende sowie deren Vorgesetzte Adriana Alves Dutra verhaftet.

Auf Videos, die online viral gingen, ist zu sehen, wie die beiden Sicherheitsmänner Braz Borges und Gaspar da Silva auf das am Boden liegende Opfer einprügeln und in sein Gesicht schlagen, während einer der beiden auf seinem Hals kniet. João Alberto, genannt João Beto, starb an Erstickung.

In einem Gutachten erklärt die Polizei, dass der Druck auf den Brustkorb des mit dem Gesicht nach unten liegenden Mannes "unangemessen" gewesen sei, da dies zur Erstickung führte. "Die Behandlung von João Alberto war im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich und erniedrigend. Das Opfer wurde auf erniedrigende Weise und in seiner Würde verletztend unterworfen, vor einer Ansammlung an Menschen, die ungläubig zusahen", heißt es dort.

Alves wurde angeklagt, weil sie für die Koordination der Aktionen durch ihre hierarchisch übergeordnete Position verantwortlich zeichnete. Auf den Online-Videos ist zu sehen, wie sie versucht, Zuschauer:innen des Geschehens vom Filmen abzuhalten. "Sie ignoriert die ausgeübte Gewalt, die gequälten Gesten des Opfers und die Appelle der Menschen, die sich über das von ihnen beobachtete Verhalten aufregen", führt die Polizei an. Zudem habe Alves den Notfalldienst erst benachrichtigt, als ihr bewusst wurde, dass das Opfer verstorben war.

Die drei weiteren Mitarbeiter der Carrefour-Einrichtung wurden festgenommen, weil sie anwesende Personen, unter anderem João Betos Ehefrau, vom Helfen abhielten und einschüchterten. Im Bericht heißt es, dass das Opfer hätte Luft holen können, wenn Außenstehende hätten eingreifen können. Während die Anklageschrift Mord aus niedrigen Beweggründen, Erstickung und Behinderung von hilfeleistenden Personen benennt, wird Rassismus als direktes Motiv nicht erwähnt.

Die für die polizeiliche Untersuchung Beauftragte Roberta Bertoldo sagte, dass João Beto kein Opfer eines rassistischen Angriffs war, die Ermittler:innen jedoch davon ausgehen, dass eine andere Person in dieser Situation anders hätte behandelt werden können.

Auf einer Pressekonferenz bemerkte Bertoldo, dass alle sich auf das Thema der Hautfarbe konzentrieren, es jedoch auch um andere äußerliche Merkmale ginge: "Wenn diese Person einen Anzug oder ein anderes Marken- oder Designer-Outfit tragen würde, wäre der Umstand vielleicht anders. Wir sind uns dessen bewusst, weil unsere Gesellschaft uns das zeigt. Es zeigt sich uns im täglichen Leben, dass diese diskriminierenden Situationen, nicht nur wegen der Hautfarbe, für die Behandlung unzähliger Menschen entscheidend sind." Im Gespräch mit der brasilianischen Nachrichtenseite UOL fügte sie hinzu, "unser Verständnis ist, dass die Gesellschaft im Allgemeinen in einer Weise handelt, die wirtschaftlich benachteiligte Menschen, unter denen die große Mehrheit Schwarze sind, diskriminiert".

Der Anwalt und Experte für öffentliches Recht, Gleidson Renato Martins Dias, kritisiert, dass struktureller Rassismus in der Anklage kaum Erwähnung finde: "Es fehlt die Verknüpfung des Motivs der niedrigen Beweggründe mit dem Motiv des Rassismus", sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenseite O Globo und erwähnte namentlich mehrere Professor:innen und Philosoph:innen, die von einem "Völkermord an der Schwarzen Bevölkerung in Brasilien" sprechen. Martins forderte zudem, dass der Staat mit aller Härte rassistische Handlungen bestrafen müsse.

Gládis Kaercher, Koordinatorin von Uniafro, einem Verband, der antirassistische Kurse an öffentlichen Schulen anbietet, erklärt, dass es problematisch ist, den Begriff des strukturellen Rassismus zu verharmlosen: "Diese Banalisierung eignet sich perfekt für das Funktionieren des brasilianischen Rassismus.” Sie empfiehlt, individuelle rassistische Handlungen von konkreten Menschen zu benennen. Sich einfach auf strukturellen Rassismus zu berufen, sei eine Art, die individuelle Haltung der Personen, die rassistische Handlungen begehen, "aus der Verantwortung zu nehmen". Kaercher zufolge sollte der rassistische Einfluss auf das Verbrechen an João Beto in der Untersuchung explizit festgehalten werden.