Rio de Janeiro. 100 Kinder sind in den letzten fünf Jahren in der Metropolregion Rio de Janeiro erschossen worden. Ein Drittel von ihnen wurde während Polizeioperationen in Favelas getroffen, sechs von zehn in der Stadt Rio de Janeiro selbst.
Das letzte Opfer war der 8-jährige Kaio Guilherme, den am 16. April eine verirrte Kugel verletzte. Einige Tage später starb der Junge im Krankenhaus. Er befand sich mit seiner Mutter auf einer Feier und stand in der Schlange, um sich das Gesicht schminken zu lassen, als die Kugel seinen Kopf traf. Vermutlich stammte sie von einer Schießerei in der Nähe.
Der Stadtteil Bangu, wo Guilherme erschossen wurde, verzeichnet die meisten Fälle von bewaffneter Gewalt gegen Kinder in der Region. Andere Bezirke mit hohen Gewaltraten gegen Minderjährige sind Complexo do Alemão, Campo Grande, Vila Santo Antônio und Maré. Dort wie in Bangu ist der Großteil der Bevölkerung schwarz und arm.
Schon lange wird in Brasilien von einem Genozid an der schwarzen Jugend gesprochen. Die Polizei ist vermutlich der Hauptakteur in der Durchsetzung von institutionellem Rassismus. Sie hat den jugendlichen Schwarzen zum Generalverdächtigen gekürt und ihm den Stempel des Feindes der Gesellschaft aufgedrückt. Die sogenannten "verirrten Kugeln" finden immer das gleiche Profil: schwarze Personen aus der Peripherie, vor allem Jugendliche und zunehmend auch Kinder.
Die Rechtfertigung der staatlichen Behörden ist immer wieder das "Versehen" und die Kollateralschäden im Krieg gegen die Drogen. Die Journalistin und Aktivistin Gizele Martins aus der Favela Maré erklärte im Rahmen der Berliner Brasiliendialoge, dass sie als Zusammenschluss von mehreren sozialen Bewegungen mit Hilfe der Pflichtverteidigungsbehörde es geschafft haben, die Polizeioperationen in den Favelas Rio de Janeiros während der Pandemie auszusetzen. "Es reicht schon, an Covid zu sterben, wir können nicht auch noch ein Massaker mitten in einer Pandemie erleiden."
Allein in den Monaten Juni und Juli 2020 reduzierte sich die Anzahl getöteter Personen in den Favelas im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 76 Prozent. Doch trotz des Verbots marschiert die Militärpolizei immer wieder in die Favelas ein. Die Gewalt wird auch in der Pandemie fortgeführt.