Rio de Janeiro. Auch drei Wochen nach dem Massaker in der Favela Jacarezinho in Rio de Janeiro halten die Vorwürfe gegen die beteiligten Einsatzkräfte an (amerika21 berichtete). Insgesamt kamen bei dem Einsatz 28 Menschen ums Leben, darunter ein Polizist. Noch immer gibt es viele offene Fragen.
Die Polizei rechtfertigt ihren Einsatz damit, dass nur Menschen getötet worden seien, die in Verbindung mit der organisierten Drogenkriminalität standen. Jedoch waren unter den Toten auch mindestens zwei Personen, welche noch gar keine kriminelle Vergangenheit hatten. Zudem häufen sich die Berichte von Zeug:innen und Bewohner:innen der Favela, dass es zu einer Vielzahl an Übergriffen und Folterungen gekommen sei. Berichten zu Folge wurden Männer erschossen, die sich bereits gestellt hatten oder ihnen wurde erst gar keine Möglichkeit gegeben, sich zu stellen.
Verschiedene Menschenrechtsorganisationen fordern die Aufklärung des Falls. Indes hat die Zivilpolizei die Akten zur Operation für die kommenden fünf Jahre unter Verschluss gestellt. Dies solle dem Schutze der Bevölkerung und der beteiligten Einsatzkräfte dienen. Zudem wolle man künftige Einsätze nicht gefährden.
Dies blieb nicht unwidersprochen. Verschiedene Jurist:innen und Forscher:innen äußerten sich bereits kritisch. Daniel Hirata, Soziologieprofessor an der staatlichen Universität von Rio de Janeiro, gibt zu bedenken, dass Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen dringend notwendig sei, damit die Bevölkerung die Möglichkeit habe, zu verstehen, was warum passiert ist. Das sei besonders wichtig in diesem Fall, in dem so viele Stimmen von Menschenrechtsverletzungen, Misshandlungen und Folter reden.
Jacqueline Muniz, Doktorandin im Bereich Polizeiwesen, stimmt der Argumentation zu und schließt an: "Der Unterschied zwischen einem Polizisten und einem 'bewaffneten Banditen' ist, unter anderem, die Transparenz im Handeln. Diese Transparenz ist nicht gegeben, wenn die Namen der Beteiligten unter Verschluss bleiben."
Die Aufklärung des Massakers ist ein Problem. Ein weiteres ist jedoch die Frage, wie so blutige Einsätze in Zukunft vermieden werden können. Schon seit 2013 ist in der Favela Jacarezinho eine Polizeieinsatzgruppe zur Befriedung (UPP) stationiert. Diese soll helfen, Gewalt zwischen den Bewohner:innen und der Polizei zu vermeiden. Jedoch sind die jährlichen Todeszahlen seit 2013 deutlich angestiegen. Der Aktivist Antônio Carlos "Rumba" Gabriel kritisiert, dass auch eine Reform der UPP kaum Besserung bringen werde. Es brauche stattdessen eine sozialere Politik, die sich tatsächlich für die Menschen im Viertel einsetze.
Allerdings gibt es auch gute Nachrichten: So hat die Stadt Rio de Janeiro in Zusammenarbeit mit der Gruppe Casa do Menor (Haus der Minderjährigen) eine Aktion zur psychologischen Betreuung einiger Jugendlicher gestartet. 30 Jugendliche, welche direkt oder indirekt vom Polizeieinsatz betroffen waren, werden nun psychologisch betreut. Sie sollen wöchentlich zweistündige Sitzungen mit Therapeut:innen erhalten sowie Telefone, um ihre weitere Betreuung und Unterstützung sicherzustellen. Aktuell gilt das Projekt als Pilotprojekt, jedoch besteht die Idee, das Projekt auch auf andere Stadtteile oder Städte auszuweiten.