Indigener Aktivist in Chile bei Sabotageakt gegen Forstbetrieb erschossen

Umstände sind bislang nicht vollständig geklärt. Mapuche-Organisation wirft Carabineros vor, Pablo Marchant hingerichtet zu haben

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Ein Leichenwagen, hinter ihm protestierende Mapuche.
Demonstration bei der Abholung des Leichnams von Pablo Marchant von der Rechtsmedizin in Temuco

Carahue. Die chilenische Polizei (Carabineros de Chile) hat am 9. Juli gemeldet, dass sie bei einem Angriff auf einen Forstbetrieb einen Mapuche erschossen hat. Eine Gruppe Aktivisten habe drei Fahrzeuge des Unternehmens in Brand gesetzt, bei dem anschließenden Zusammenstoß mit den Carabineros sei es zu einem Schusswechsel gekommen.

Bei dem Toten handele sich um Ernesto Llaitul, den Sohn des Anführers der militanten indigenen Organisation Coordinadora Arauca Malleco (CAM), erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst. Der Vater, Hector Llaitúl, verneinte diese Aussage, nachdem er den Leichnam noch vor Ort zu sehen bekam. Der Tote sei das CAM-Mitglied Pablo Marchant. Die Polizei habe ihn "vor Ort hingerichtet", so Llaituls Vorwurf. Mitglieder der Mapuche-Gemeinde und Mitstreiter:innen bestätigten die Identität des jungen Mannes.

Am Wochenende kam es nach dem Todesfall vielerorts zu Protesten. Ihr Tenor richtete sich gegen die Polizei und Staatsanwaltschaft, die die falsche Identität des Toten verbreiteten, und gegen die Militarisierung des Konflikts im Wallmapu, dem Gebiet der Mapuche, bei dem regelmäßig Indigene getötet werden.

Nach Aussagen von Llaitul ereignete sich der Vorfall, als mehrere Mitglieder der CAM versuchten, einen Sabotageakt gegen das Forstunternehmen Mininco zu verüben. Minico gehört zur CMPC-Holding, einem der größten Forstwirtschafts- und Industriekonzerne in Chile und Lateinamerika. Die Ländereien wurden von der Polizei bewacht. Laut offizieller Version kam es zu einem Schusswechsel. Dabei sei ein Arbeiter schwer verletzt und der Aktivist, der ein M16-Gewehr mit sich führte, aus nächster Nähe direkt im Gesicht getroffen worden, so die Polizei.

Llaitul bestätigte, dass Marchant bei einem Sabotageakt umgekommen ist. Umstritten ist jedoch, ob es tatsächlich einen Schusswechsel gab. Eine erste Version der Geschehnisse durch die Polizei besagte, dass die Waffen "schussbereit" gewesen wären, es aber nicht zu einem Schusswechsel kam. Neben den verschiedenen widersprüchlichen Aussagen streut auch die Abwesenheit von üblichen Bodycams beim Einsatz der Polizist:innen Zweifel an der offiziellen Darstellung.

Laut Llaitul handelte es sich um eine geplante Hinrichtung. Gegenüber Radio Universidad de Chile sagte er, dass nach Angaben der Forstarbeiter vor Ort eines der CAM-Mitglieder beim Sabotageakt von der Polizei festgehalten wurde. Offiziell gibt es allerdings keine Festnahmen. Die Leiche weise zudem eine Schussverletzung am Hinterkopf und eine direkt im Gesicht auf. "Aufgrund der Schussnähe können wir davon ausgehen, dass er hingerichtet wurde", so Llaitul gegenüber dem Radio.

Bei dem angegriffenen Betrieb handelt es sich um eines der größten Forstunternehmen, die sich im gesamten Süden Chiles während der Militärdiktatur ausgebreitet haben. Die Ländereien werden von den indigenen Gemeinden zurückgefordert und der industrielle Anbau von Tannen und Eukalyptus für eine fortschreitende Trockenheit verantwortlich gemacht.

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CAM-Totenwache für den Mapuche-Aktivisten Pablo Marchant
CAM-Totenwache für den Mapuche-Aktivisten Pablo Marchant

In diesem Konflikt kommt es immer wieder auch zu militanten Sabotageakten gegen die Forstbetriebe, wobei meist Lastwagen in Brand gesetzt werden. Die 1998 gegründete CAM, die sich für die Rückgewinnung und Unabhängigkeit der Territorien der Mapuche einsetzt, bekennt sich dabei meist als Urheber. Die Organisation wurde aufgrund ihres militanten Auftretens mehrfach als Guerrilla bezeichnet. Gegenüber dem staatlichem Fernsehsender gaben sie 2016 in einem Wald mit selbstgebauten Waffen und Jagdgewehren ein Interview. Am 12. Juli wurden Fotos verbreitet, die den Sarg von Marchant zeigen, bewacht von vier bewaffneten Männern der CAM.

Auf die Proteste der Indigenen und die Sabotageakte gegenüber Forstunternehmen und Großgrundbesitzer reagierten alle vergangenen Regierungen mit einer massiven Militarisierung des Gebiets. Schulen wurden in Kasernen umgewandelt. Der Einsatz der militarisierten Polizei wird seit Jahren durch Skandale begleitet, wie Festnahmen aufgrund gefälschter Beweise, Ermordungen im Kontext erfundener Schusswechsel und Schutzgelderpressungen der Polizist:innen gegen die kleineren Forstunternehmen vor Ort.

Zwei Tage vor dem Todesfall forderte aufgrund der Tragweite des Konflikts der neue Verfassungskonvent in seiner ersten Sitzung eine Demilitarisierung der Region und die Freilassung der im Kontext des Konflikts inhaftierten Mapuche. In diesem Sinn verurteilten breite Teile der Opposition den Tod des Aktivisten durch Polizeikugeln und forderten eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls.

Die Abgeordnete und Mapuche Emilia Nuyado forderte ein weiteres Mal die Regierung auf, "die Rückgabe der Ländereien voranzutreiben. Es kann nicht sein, dass weiterhin unsere Weychafes [auf deutsch etwa: Kämpfer] sterben, weil sie die Rückgabe unserer Ländereien wollen."

Die Regierung ihrerseits reagierte zuerst nicht auf den Vorfall. Erst am 12. Juli kündigte sie wegen der gezeigten Waffen bei der Beerdigung von Pablo Marchant an, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, gegen die Beteiligten wegen Verstößen gegen das Waffenkontrollgesetz zu ermitteln. Parlamentsabgeordnete der Regierung, wie Miguel Mellado, forderten derweil die Ausrufung des Ausnahmezustands, um gegen die bewaffneten Gruppen vorzugehen.