Chile / Soziales

Anhaltende Polizeigewalt gegen Demonstrierende in Chile

Sowohl eine Reform als auch die Auflösung der Carabineros wird gefordert. Die Frage nach dem Umgang mit politischen Gefangenen rückt erneut in den Vordergrund

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Immer mehr Stimmen werden laut, welche die Reform oder gar die Auflösung der Carabineros fordern
Immer mehr Stimmen werden laut, welche die Reform oder gar die Auflösung der Carabineros fordern

Santiago de Chile. Bei einer Demonstration für die Freilassung aller politischen Gefangenen am vergangenen Freitag ist die chilenische Polizei erneut massiv gewaltsam gegen Demonstrierende vorgegangen. Mindestens zwei Personen wurden schwer verletzt. Eine von ihnen war mit Prellungen am Kopf vorrübergehend im Krankenhaus, nachdem sie auf der Flucht von der Einheit der Carabineros auf den Bordstein aufgeschlagen war.

Die brutalen Repressionen auf dem Plaza Dignidad, dem zentralen Schauplatz der monatelangen massiven Proteste in den Jahren 2019 und 2020, führten zu einer Erneuerung der Forderung, die Carabineros aufzulösen. Keine zwei Wochen nachdem der linke Politiker Gabriel Boric das Präsidentenamt übernommen hat, wird der Druck aus dem Parlament stärker, eine Reform der Sicherheitskräfte voranzutreiben. Die Abgeordnete Carmen Hertz forderte als Reaktion auf das anhaltend gewaltsame Vorgehen "eine tiefgreifende Reform der Carabineros von Chile".

Die Carabineros fallen seit langem als besonders brutales und korruptes Organ des chilenischen Sicherheitsapparates auf. Neben laufenden Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen bei den sozialen Protesten sind weitere Verfahren wegen Fälschung von Beweisen, illegalen Abhörtechniken im Zusammenhang mit den Protesten in der Region Araucanía und Korruption anhängig.

Während die Zahl der Verurteilungen vergleichsweise gering ist, könnten politische Konsequenzen folgen. Angesichts der jahrelangen Kritik am hochmilitarisierten Polizeiapparat, nachweislich kriminellen Strukturen und der kritischen öffentlichen Debatte nach der sozialen Revolte stehen die Zeichen auf Reform.

Zwischen Februar und April letzten Jahres herrschte über Parteigrenzen hinweg nahezu Konsens über die Notwendigkeit einer Neugründung der Polizei, nachdem ein Straßenkünstler bei einer Ausweiskontrolle von einem Beamten getötet worden war.

Die ehemalige Aktivistin in der Studierendenbewegung und heutige Sprecherin der Regierung Camilla Vallejo versicherte das "unumgängliche Engagement für die notwendige Reform der Carabineros, an der bereits gearbeitet wird" und stellte einen "grundlegenden und strukturellen Wandel“ in Aussicht.

Dementgegen befürchten viele Kritiker:innen eine Rechtsruck des neuen Präsidenten Boric und einen Schulterschluss mit den Carabineros bei der Reform. "Wir müssen die Polizei neu organisieren, und wir haben bereits mit General Ricardo Yáñez, dem Direktor der Carabineros, darüber gesprochen, und ich sehe eine sehr gute Bereitschaft der Institution, sich einem Reformprozess zu stellen, der es uns ermöglichen wird, die Effizienz der Polizei bei der Verfolgung von Verbrechen zu verbessern. Wir brauchen […] eine Stärkung der Institution der Carabineros durch eine tiefgreifende Reform", sagte Boric noch im Januar.

Neben der konkreten Forderung, das Vorgehen der Carabineros bei der Demonstration vergangene Woche eingehend zu untersuchen, unterstrichen Abgeordnete auch erneut das Recht auf Demonstration und die Forderung nach Freiheit für politische Gefangene. Die Abgeordnete Lorena Pizarro forderte die Exekutive auf, "die Protokolle zu überprüfen", und verlangte Erklärungen "für die brutalen Repressionen, die weiterhin das legitime Recht auf Demonstration in einer Demokratie verletzen".

Die Debatte über die Definition von politischen Gefangenen und den juristischen Umgang mit Personen, die teilweise seit mehr als 22 Monaten in verlängerter U-Haft sitzen, schwelt in Chile seit der sozialen Revolte. Schätzungen zufolge sitzen mehr als 70 Personen im Zusammenhang mit den Protesten im Gefängnis.

Der Senator Juan Ignacio Latorre sagte, er sei dafür, dass "die Regierung das Amnestiegesetz für die Gefangenen des Aufstandes dringend vorantreibt", da "wir schon zu lange darüber diskutieren". Der Abgeordnete erinnerte daran, dass in der Gesetzesvorlage "im Januar auf Wunsch vieler Mitte-Links-Senatoren Änderungen vorgenommen wurden, die dahin gehen, dass der Katalog der Straftaten eingeschränkt wird und dass es sich um eine Amnestie und nicht um eine präsidentielle Begnadigung handeln sollte".

Der Präsidialamtsminister Giorgio Jackson kündigte am Montagnachmittag im Beisein von Senatorin Fabiola Campillai an, dass die Exekutive die Gesetzesvorlage mit äußerster Dringlichkeit behandeln wird. Die Initiative liegt derzeit dem Senat vor.