Bolivien: Erneute Gewalt in Santa Cruz, Rechte greifen Straßenhändler:innen an

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Stellungnahme APDHB
Vorwurf des versuchten Genozids durch die Ständige Versammlung für Menschenrechte in Bolivien

Santa Cruz de la Sierra. Auf dem belebten Großmarkt Barrio Lindo in Santa Cruz ist es erneut zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Straßenverkäufer:innen und Mitgliedern rechtsgerichteter Gruppen gekommen. Wie auf Bildern zu sehen ist, setzten letztere Steine, Feuerwerkskörper und selbstgebastelte Pyrotechnik ein, wodurch mindesten 30 Personen leicht sowie ein 21-Jähriger schwer verletzt wurden. 

Zum Vorfall kam es, als sogenannte "mañaneros", mobile Straßenverkäufer:innen, die nur mittwochs und samstags früh ihre Ware anbieten, gegen 4:30 Uhr ihre Stände vor dem Großmarkt aufschlagen wollten und von ortsansässigen Händler:innen sowie eigens dafür eingesetzten "Wachmannschaften" attackiert wurden. Bei den gewalttätigen Gruppen handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Mitglieder der rechtsradikalen Jugendorganisation Unión Juvenil Cruceñista (UJC), die als verlängerter Arm der Lokalregierung von Gouverneur Luis Fernando Camacho agiert. Dies war bereits der vierte Überfall auf die Straßenhändler:innen innerhalb von zwei Wochen.

Die Ständige Versammlung für Menschenrechte in Bolivien (APDHB) sieht im Einsatz gewaltbereiter Gruppen vor Ort eine gezielte Maßnahme rechter Kräfte, um die "fliegenden Händler:innen" zu vertreiben. Da es mehrheitlich Indigene und Migrant:innen sind, spricht die APDHB sogar von einem "versuchten Genozid aus Gründen des Hasses und der Rasse". Die Menschenrechtsorganisation forderte eine umgehende juristische Aufarbeitung der Vorfälle und kündigte an, selbst eine Untersuchung durchzuführen.

Auch die linke Zentralregierung von Präsident Luis Arce verurteilte die Geschehnisse und sieht die Verantwortung für die anhaltende Gewalt bei den rechten Anführern von Santa Cruz, Gouverneur Camacho und dem Leiter des Bürgerkomitees, Rómulo Calvo. Der Sprecher des Präsidenten, Jorge Richter, warnte vor einer "gesponserten und organisierten Gewalt".

Der gewaltsame Vorfall reiht sich ein in eine allgemein aufgeheizte Stimmung im wirtschaftsstärksten Departamento Santa Cruz. Besonders während des 36-tägigen Generalstreiks, zu dem Camacho aufgerufen hatte (amerika21 berichtete), kam es zu zahlreichen rassistischen und gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rechten Gruppierungen und Gegner:innen des Streiks, Indigenen und Regierungsanhänger:innen. 

Nachdem mit dem Gesetz zur Volkszählung der 24. März 2024 als Termin des Zensus festgeschrieben und damit die Hauptforderungen der rechten Opposition erfüllt wurden, gehen die Konflikte in Santa Cruz unvermindert weiter. Camacho fordert nun ein föderales System für Bolivien und mehr Autonomie seines Departamentos im zentralistisch regierten Andenstaat.

Am Montag trafen sich indes Vertreter:innen der " mañaneros ", des Bürgermeisteramtes von Santa Cruz und Anwohner:innen des Barrio Lindo zu ersten Gesprächen, um eine friedliche Lösung für künftige Markttage zu finden. Zu einer Einigung kam es jedoch bislang nicht.