Kongress von Peru ignoriert die zentralen Forderungen der landesweiten Proteste

Indigene Aymara rufen unbefristete Mobilisierung gegen Dina Boluarte aus. Regierung sucht Wege, um die Bewegung zu kriminalisieren

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Die Hauptforderungen der Proteste seit der Entfernung von Präsident Pedro Castillo aus dem Amt
Die Hauptforderungen der Proteste seit der Entfernung von Präsident Pedro Castillo aus dem Amt

Lima. Der peruanische Kongress hat mit 75 Gegenstimmen den Vorschlag des Abgeordneten Jaime Quito (Perú Libre) für vorgezogene Wahlen im September 2023 und für ein Referendum über eine verfassungsgebende Versammlung abgelehnt.

Der Gesetzentwurf sah vor, dass das neu gewählte Staatsoberhaupt sein Amt am 31. Dezember 2023 antritt. Mit der Abstimmung wurden zugleich weitere Diskussionen über vorgezogene Parlamentswahlen auf August verschoben und damit eine der Hauptforderungen der Proteste gegen Präsidentin Dina Boluarte ignoriert.

Vertreter:innen der indigenen Aymara in Puno haben beschlossen, dass sie so lange protestieren und Straßen blockieren werden, bis die Präsidentin zurücktritt. "Wir sind keine Terroristen. Wir haben gesehen, wie viele unserer Brüder getötet worden sind. Wir fordern den Rücktritt von Dina Boluarte", so ein Gemeindemitglied aus Plateria gegenüber La Republica.

In einer Pressekonferenz in Talara (Piura) verkündete Boluarte erneut, dass sie nicht von ihrem Amt zurücktreten werde. Sie wies darauf hin, dass die Vorverlegung der Parlamentswahlen in den Händen des Kongresses liege. "Mein Rücktritt steht in dieser Situation nicht zur Debatte. Ich weiß, dass es einen kleinen Teil der Bevölkerung gibt, nämlich die Gruppen, die Gewalt und Chaos im Land verursachen, die den Rücktritt von Präsidentin Boluarte erpressen wollen. Wir werden dieser politischen Erpressung nicht nachgeben", versicherte die durch die Absetzung und Verhaftung des gewählten Präsidenten Pedro Castillo ins Amt gekommene.

Die Präsidentin hatte wiederholt den Vorwurf geäußert, dass die Proteste gegen sie von Drogenhändlergruppen, der illegalen Bergbauindustrie und politischen Aktivist:innen organisiert würden. Außenministerin Ana Cecilia Gervasi hatte nun am Donnerstag eingeräumt, dass die Regierung keine Beweise dafür habe, dass die Demonstrationen im Land von kriminellen Gruppen gesteuert werden. Sie bestand jedoch darauf, dass man "die Beweise" für die Verbindungen der Demonstrierenden zu kriminellen Vereinigungen finden werde. Auf die Frage, wie dies geschehen solle, lieferte sie keine Antwort.

Das Centro Estratégico Latinoamericano de Geopolítica (Celag) hat am 29. Januar einen Bericht veröffentlicht, in der die Regierung Boluarte als diejenige mit der zweithöchsten Zahl an menschlichen Opfern bei Protesten von 2000 bis heute in Lateinamerika aufgeführt ist. Übertroffen wird sie lediglich vom ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Iván Duque, der während seiner Amtszeit zwischen 2018 und 2022 83 Todesfälle bei zu verzeichnen hatte. Die kurze Amtszeit Boluartes ist geprägt von der gewaltsamen Unterdrückung durch die Streitkräfte und die Nationalpolizei, die bisher mehr als 60 Tote und tausende Verletzte bei Massenprotesten in verschiedenen Regionen des Landes gefordert hat (amerika21 berichtete).

Vorvergangenen Samstag wurde der erste Todesfall bei Protesten in der Hauptstadt Lima bekannt. Das Opfer war Víctor Santisteban Yacsavilca (55), wie das peruanische Ombudsbüro bestätigte. Kameraaufzeichnungen zeigen, wie das Opfer von einer Tränengasgranate der Polizei am Hinterkopf getroffen wurde und daraufhin zu Boden ging. Die Anwältin Ruth Luque sagte, der Tod sei aufgrund eines schweren Schädel-Hirn-Traumas eingetreten. "Eine schmerzliche Nachricht, die dringende politische Antworten erfordert", twitterte sie. Auch die Gesundheitsbehörde EsSalud teilte zunächst mit, dass der Verstorbene mit einem "schweren Schädel-Hirn-Trauma“ eingeliefert worden sei. Später veränderte sie das Kommuniqué, in dem es nun hieß, dass er mit einer "starken Prellung" und in einem "schlechten Allgemeinzustand“ in Folge eines "Schlages" eingetroffen sei.

Nach Angaben des nationalen Journalistenverbands Perus (ANP) nehmen auch Repression und Gewalt gegen Pressevertreter:innen zu. So seien bisher 153 Journalist:innen im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Regierung angegriffen worden, die meisten von ihnen von Polizeikräften. Zu den schwerwiegendsten Vorfällen zählt der ANP die von Polizeibeamten ausgesprochene Morddrohung gegen den Fotojournalisten der spanischen Nachrichtenagentur Efe, Aldair Mejía am 7. Januar in Juliaca ( Puno). Wenige Stunden später wurde der Journalist von einem Granatsplitter im rechten Bein getroffen, der einen Knochenbruch verursachte.

Soziale Organisationen und indigene Gemeinschaften hatten für den vergangenen Samstag zu einer Großdemonstration in der peruanischen Hauptstadt aufgerufen. In den kommenden Tagen werden weitere Menschen aus anderen Provinzen erwartet. Viele von ihnen haben ihr Vieh und die von ihnen produzierten Waren verkauft, um sich während der Proteste versorgen zu können. Die Organisator:innen haben auch für den 9. Februar Demonstrationen in der Hauptstadt sowie in den Regionen Ayacucho und Arequipa angekündigt.

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Volle Unterstützung für Boluarte durch die US-Regierung: Sherman mit Gervasi am Dienstag in Washington
Volle Unterstützung für Boluarte durch die US-Regierung: Sherman mit Gervasi am Dienstag in Washington

Unterdessen kann die Regierung Boluarte weiterhin auf die Unterstützung der USA zählen. US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman traf sich am vergangenen Dienstag mit der peruanischen Außenministerin Ana Cecilia Gervasi in Washington. Wie aus einer Pressemitteilung des State Department hervorgeht, "bekräftigte Sherman die Unterstützung der USA für Peru und Präsidentin Boluarte und ihre Bemühungen, die peruanische Demokratie zu stärken und Frieden, Stabilität und die Einheit des peruanischen Volkes zu sichern". Die Vizeaußenministerin habe die Regierung Boluarte "ermutigt, weiterhin Schritte zu unternehmen, um die Verantwortlichen für Gewalttaten zur Rechenschaft zu ziehen".