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Neues Gesetz bewahrt die privaten Krankenkassen in Chile vor dem Bankrott

Mit höchstrichterlichem Druck werden private Versicherungen zu Rückzahlungen verpflichtet und Diskriminierungen beendet. Große Reform bleibt aus

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Parlament stimmt über Krankenkassengesetz ab
Das Parlament stimmt über das Krankenkassengesetz ab

Santiago. Das Zweikammerparlament von Chile hat eine Reform des privaten Krankenkassensystems verabschiedet, das auch die staatliche Krankenkasse stärkt. Das entsprechende Gesetz wurde notwendig, weil der Oberste Gerichtshof im Dezember 2022 die privaten Versicherer zur Rückzahlung von unrechtmäßig erhobenem Beitragen in Höhe von etwa 1,3 Milliarden US-Dollar verurteilt hatte. Diese Verpflichtung drohte die Privaten an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen.

In Chile besteht ein zweigleisiges System der Krankenversicherung. Neben dem staatlichen Nationalen Gesundheitsfond Fonasa (Fondo Nacional de Salud) gibt es die privaten Institutionen der Gesundheitsfürsorge, Isapre (Instituciones de Salud Previsional), die etwa 20 Prozent aller Versicherten bedienen. Die jetzige Krise der Privaten hatte sich schon seit längerem angekündigt. Ihre jährlichen Preiserhöhungen wurden mit Widersprüchen überhäuft, denen entweder stillschweigend stattgegeben wurde oder sie endeten vor Gericht. Während der Pandemie und danach verloren die Isapres viele Versicherte aus den unteren Einkommensschichten. Wegen Lohnausfall und Arbeitslosigkeit wechselten bis 2023 etwa 600.000 Versicherte in das staatliche System Fonasa, weil sie die Kosten nicht mehr tragen konnten.

Im Jahre 2022 kam es zur Klage gegen drei der sechs Privaten wegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Im Dezember des gleichen Jahres fällte der Oberste Gerichthof ein richtungsweisendes Urteil, um dem Wildwuchs von etwa 42.000 verschiedenen Versicherungsverträgen ein Ende zu bereiten. Die große Anzahl verschiedener Verträge hatte ihren Ursprung in der Ausdifferenzierung der Versicherten und ihrer Familienangehörigen nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen. Dieses Vorgehen wurde nicht nur von den Versicherten als ungerecht angesehen, sondern verstieß auch gegen die Verfassung, die diese Ungleichbehandlung verbietet. Das Urteil verpflichtet alle privaten Versicherer, die Beiträge, die dieser Ungleichbehandlung entsprangen, rückwirkend zurückzuzahlen. Daraus errechnet sich eine Summe von etwa 1,3 Milliarden US-Dollar, die, falls sie auf einmal fällig geworden wären, den Zusammenbruch der privaten Krankenkassen verursacht hätte. Für deren Überleben musste ein Gesetz versabschiedet werden, das eine Stundung der Schulden erlauben könnte.

Das Gericht hatte den 12. Mai als Datum zur Erfüllung des Urteils festgesetzt und so standen Parlament und Senat unter Druck, ein mehrheitsfähiges Gesetz auf den Weg zu bringen. Eine Kommission aus Senatoren und Parlamentariern handelte einen Kompromiss aus, der mit Stimmen von Opposition und Regierungsallianz in beiden Kammern verabschiedet wurde. Neben der Rückzahlung der unrechtmäßig erhobenen Beiträge wurde die geschlechtsspezifische Diskriminierung beseitigt und die Alterstabelle vereinfacht. Die Privaten dürfen auch einmalig die Beiträge um 10 Prozent erhöhen.

Während der Verhandlungen erreichte die rechte Opposition die Verlängerung des Zeitraums für die Rückzahlungen in Raten um drei auf insgesamt 13 Jahre. Jedoch erhalten über 80-Jährige ihr Geld bereits innerhalb von zwei Jahren, während die Altersgruppe von 65 bis 80 Jahre nur fünf Jahre warten muss. Während der Schuldentilgung werden die Gewinnausschüttungen der Privaten sanktioniert.

Die Regierungskoalition konnte bei der Aushandlung erreichen, dass die staatliche Aufsicht über das Gesundheitswesen erweiterte Aufsichts- und Kontrollrechte erhält. Die wichtigste Neuerung für Fonasa ist, dass sie in Zukunft eine freiwillige Zusatzversicherung anbieten kann, um den Eigenanteil der Behandlungskosten zu senken und den Zugang zu den privaten Krankenhäusern zu erleichtern. Aus dem Regierungslager wird diese Zusatzversicherung hervorgehoben, da damit die Hoffnung verbunden ist, dass viele privat Versicherte in die staatliche Krankenversicherung wechseln werden, da sie zu günstigen Bedingungen den gewohnten Behandlungsstandard behalten.

Das jetzt verabschiedete Krankenkassengesetz wird jedoch einer grundlegenden Reform der Krankenversicherung noch nicht gerecht, wie der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Lautaro Carmona, urteilt. Er fasste die Erwartungen seiner Partei für eine zukünftige Reform so zusammen: "Ich hoffe, dass wir damit in die Debatte über die großen Themen, über Wartelisten und über die Ausweitung der Leistungen eintreten können." Jährlich versterben in Chile viele Tausend Menschen, die in einer Warteliste auf Behandlung und Chirurgie warten oder ohne Behandlung bleiben, weil im Land keine Versorgung angeboten wird. Dieser Tage ist eine Mutter zu Fuß von Ancud nach Santiago unterwegs, etwa 1.300 km, um Spenden für die Behandlung ihres Sohnes zu sammeln. Er leidet an Duchenne-Muskeldystrophie (DMD), für die es Chile keine Behandlung gibt. Das Medikament ist nur im Ausland erhältlich und kostet etwa 3,8 Millionen US-Dollar