Latifundisten in Brasilien attackieren Indigene, Regierung greift ein

Indigene erobern bereits demarkiertes Land zurück, das von Agrargroßbetrieben genutzt wird. Mehrere Verletze bei bewaffneten Überfällen

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Angehörige der Kaingang auf dem rückeroberten Land Fág Nor, wo sie angegriffen wurden
Angehörige der Kaingang auf dem rückeroberten Land Fág Nor, wo sie angegriffen wurden

Brasília et al. Mit einer Vermittlungsmission will die brasilianische Regierung Auseinandersetzungen zwischen indigenen Gemeinschaften und Großgrundbesitzern der Agrarindustrie schlichten.

Anlass sind gewaltsame Übergriffe auf Indigene im Süden und Westen Brasiliens. Beamte des Ministeriums für indigene Völker, des Ministeriums für Menschenrechte sowie der Nationalen Stiftung für indigene Völker (Funai) sollen nun in diese Regionen entsendet werden, um die Landkonflikte zu entschärfen und den Schutz der indigenen Gruppen sicherzustellen.

In verschiedenen Regionen des Bundesstaates Mato Grosso do Sul wurden mindestens vier Angehörige der Guarani Kaiowá bei Angriffen einer Gruppe von 50 Männern mit Pick-ups angeschossen und verletzt. Auslöser der Konflikte in Douradina, Caarapó und vier weiteren Gemeinden war die Rückeroberung bereits demarkierter Gebiete wie Panambi-Lagoa und Amambaipeguá durch Mitglieder von indigenen Gruppen am vergangenen Wochenende. Der Grund für die Aktion war die Nutzung ihrer Ländereien durch landwirtschaftliche Großbetriebe.

Obwohl das indigene Gebiet Panambi-Lagoa offiziell anerkannt und auf 12.100 Hektar festgelegt worden war, wurde in den letzten 13 Jahren der Demarkationsprozess nicht abgeschlossen.

Die Guarani Kaiowá begründen die Rückeroberung ihres angestammten Gebiets mit den "langen Jahren des Wartens". Die Folgen seien "das Überleben in Hütten aus Plastikplanen, ohne angemessene Lebensbedingungen", und dabei weiter "der Bedrohung und Verfolgung durch die Latifundisten" ausgesetzt zu sein.

In einer Erklärung der Aty Guasu, einer Organisation der Guarani Kaiowá, heißt es, dass der Angriff von Landwirten aus der Region verübt worden sei und diese in ihre Gemeinde eingedrungen seien. "Sie schießen, um zu töten und drohen mit einem Massaker. Wir bitten dringend um Hilfe."

Über Instagram machten die Betroffenen auf den Vorfall aufmerksam und richteten ihren Hilferuf an Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. "Das Volk der Guarani und Kaiowá hatte die Geduld zu warten, als Lula sagte, dass wir eine Priorität seien. Jetzt werden wir mehrere Rückeroberungen durchführen und uns drohen deshalb Blutvergießen und Tod."

Die Vorfälle im Westen Brasiliens sollen nun von der Funai und der Bundesstaatsanwaltschaft untersucht werden.

Auch der Süden wurde im Zuge von zwei Landrückeroberungen zum Schauplatz von Gewalt seitens der Latifundisten. In Pontão im Bundesstaat Rio Grande do Sul wurden Angehörige der Kaingang binnen fünf Tagen zweimal mit Waffen angegriffen. Auslöser war die Rückkehr indigener Familien in ein Gebiet in der Nähe ihres ursprünglichen Territoriums. Auch hier ist der Demarkationsprozess der Funai seit Jahren im Stillstand.

Viehzüchter aus Paraná attackierten zudem die Avá-Guarani Arapoty im indigenen Land Guasu Guavirá. Sie setzten Waffen ein und brannten deren Hütten und Lebensmittel nieder. Ein Mitarbeiter des Indigenen Missionsrats (Cimi) wurde bedroht und verfolgt.

Nicht zum ersten Mal ereigneten sich Gewalttaten gegen Indigene in den genannten Orten. In den letzten Jahren und Monaten wurde Ähnliches im Zusammenhang von Landkonflikten dokumentiert. Bei diesen Angriffen auf indigene Gemeinschaften kam es zu Brandstiftungen, Morden oder durch Schüsse verursachte Verletzungen.

In einer Erklärung prangert der Cimi die bewaffneten Angriffe auf die indigenen Gemeinden in Mato Grosso do Sul, Rio Grande do Sul und Paraná an. Der Missionsrat kritisiert, dass es trotz der Versprechungen tiefgreifender Veränderungen in der Indigenenpolitik kaum Fortschritte bei der Demarkation der indigenen Schutzgebiete gäbe. Das Jahr 2023 sei weiterhin von Angriffen auf die Rechte der Indigenen geprägt gewesen.

Der Cimi fordert sofortiges Handeln und "die Verabschiedung politischer, rechtlicher und administrativer Maßnahmen, um den Schutz der indigenen Bevölkerung zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Angreifer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden und dass indigenes Land abgegrenzt wird".

Laut dem Missionsrat fühlen sich die Großgrundbesitzer durch ein vorläufiges Rahmengesetz in ihren Taten legitimiert, "immer mit der Gewissheit der Straflosigkeit". Gemeint sind hierbei das Gesetz 14.701/23 und die Vorlage für eine Verfassungsänderung, PEC 48, die von Indigenen und Aktivist:innen als "PEC des Todes" bezeichnet wird.

Diese würde die indigenen Gebietsansprüche an den Tag der Verkündung der Verfassung am 5. Oktober 1988 koppeln. Wenn eine indigene Gemeinschaft Anspruch auf ein Gebiet erhebt, müsste sie folglich nachweisen, dass sie dort bereits vor dem Stichtag gelebt oder versucht hat, das Gebiet auf juristischem Wege einzufordern.

Die Neuregelung berücksichtigt jedoch nicht, dass zu diesem Zeitpunkt bereits Völker aus den historisch von ihnen besiedelten Landstrichen vertrieben worden waren. Tritt die Verfassungsänderung in Kraft, würde der Prozess des Landverlusts und der Vertreibung der Indigenen aufgrund der Interessen und Macht des Agrobusiness weiter vorangetrieben werden.